Fortschrittlichkeit hinter historischen Mauern

Schloss Gündelhart und Familie Engeler sind in langer Tradition miteinander verbunden. Denn die Familie bewirtschaftet bereits in vierter Generation das Hofgut. Dabei ist den Landwirten der Erhalt der historischen Substanz ein grosses Anliegen. Auf eine weitblickende und fortschrittliche Betriebsführung des Biohofes wird dennoch nicht verzichtet.

Porträt Engler
Das Ehepaar Engeler zeigt Fortschritt und Erhalt bei der Führung ihres Biobetriebs.
Bild: Schweizer Bauernverband

Gänse in einem Teich vor der Kulisse eines historischen Schlosses. Fast unwirklich mutet es wie die Szenerie einer Märchenverfilmung an. Jeden Moment erwartet man das Erscheinen einer Prinzessin in seidenen Gewändern. Schritte auf der gekiesten Einfahrt kündigen tatsächlich eine Ankunft an. «Das sind unsere Hausgänse», ist eine Stimme zu hören. Statt im Ballkleid steht plötzlich Gudrun Engeler in Arbeitskleidung vor ihrem Gast. Gemeinsam lässt man das Bild der acht Gänse wirken, bevor die Gastgeberin fortfährt: «Gänse haben auf Schloss Gündelhart eine lange Tradition. Historische Bilder, auf denen stets Gänse abgebildet sind, belegen das.» Deshalb sei es für sie selbstverständlich, immer ein paar Hausgänse zu halten, die nicht geschlachtet werden. Sie unterstützen das romantische Schlossbild mit ihrer Anwesenheit. Derzeit seien einige Diepholzer Gänse darunter. Diese Weidegansrasse ist vor allem für ihre Robustheit, Beweglichkeit, Brutlust und Genügsamkeit bekannt. Schnatternd zieht der federnde Trupp von dannen.

Eine vergessene Tradition

Das Interesse an Gänsen ist für Gudrun Engeler mit den Hausgänsen noch lange nicht gestillt. Auch den wirtschaftlichen Aspekt deckt sie auf eine andere Art und Weise. Seit seiner Gründung im Jahr 2015 sind die Engelers Mitglied bei Weidegans.ch, einem schweizweit agierenden Verein rundum weidebasierte und natürliche Gänsehaltung. Für seine rund 40 Mitglieder bietet weidegans.ch die Möglichkeit der jährlichen Sammelbestellung von sogenannten Gösseln, den Gänseküken. Davon macht auch Schloss Gündelhart Gebrauch. 240 Gössel werden in den ersten Juniwochen direkt nach dem Schlüpfen bei Familie Engeler eintreffen. In diesem Jahr handelt es sich um die Mastrasse Dänische Gans. Die Hälfte der 240 Tiere wird bis zu ihrer Schlachtung zu Martini und Weihnachten auf dem Hofgut bleiben. Die andere Hälfte zieht Gudrun Engeler einen Monat lang gross, bevor sie auf einen weiteren Biobetrieb umziehen.

Porträt Engler
Fast wie im Märchen: Die acht Hausgänse des Hofguts bewegen sich frei auf dem weitläufigen Gelände und sind an Besucher gewöhnt.

Einen Teil des Fleischs vermarkten Englers in der Direktvermarktung über weidegans.ch, einen anderen verkaufen sie jedes Jahr an einen Abnehmer im Bündnerland. Die Weidegansvermarktung stellt nur einen kleinen Betriebszweig von Schloss Gündelhart dar. Der 80 Hektaren grosse Betrieb konzentriert sich vielmehr auf Ackerbau und Mutterkuhhaltung. Doch für Gudrun Engeler ist es dennoch ein bedeutender. Es passe einfach zum Gesamtbild des Hofs und sei für sie ein nachhaltiges Projekt. Die Gänse weiden auf den Wiesen unter den Hochstammbäumen, liefern dort wieder wertvollen Naturdünger – so schliesse sich der Kreislauf. «Früher gab es viele Gänse auf Schweizer Höfen. Heute werden sie nur noch von wenigen Bauern gehalten. Dabei ist es so ein tolles Tier», bedauert die Bäuerin. Sie hofft, dass mehr Schweizer Bauern auf den Geschmack kommen und ihrem Beispiel folgen.

Porträt Engler
240 frisch geschlüpfte Gössel bevölkern ab Anfang Juni das Anwesen.
Bild: Gudrun Engeler

Netzwerken und soziale Medien

Engelers erwecken den Eindruck, dass ihnen der Austausch und die Weitergabe von Wissen ein Anliegen sind. «Für mich ist es sehr wichtig, auch mal zu sehen was andere machen», sagt Gudrun Engeler. Dafür nutzt sie soziale Medien. Der eigene Instagram-Account wird regelmässig mit Geschichten gefüttert. Die Bioproduzentin sieht die Wichtigkeit von modernen Medien für die Höfe. Man müsse sich zeigen. Ohne Transparenz in der Landwirtschaft funktioniere es für den Konsumenten letztlich nicht. Die rege Nutzung von sozialen Medien bringt der Familie einige Vorteile. Als einer von drei Bio-Weidegansproduzenten in der Schweiz hat der Hof Seltenheitscharakter. So ist es nicht verwunderlich, dass selbst Kunden aus Zug auf den Hof aufmerksam werden – das Internet macht es möglich.

Lehrlingssuche mal anders

Seit dem letzten Jahr haben Dominic und Gudrun Engeler tatkräftige Unterstützung auf dem Hof. Ein fester Mitarbeiter und ein Lehrling sind Bestandteil des Teams geworden. Den Lehrling mussten die Landwirte nicht etwa händeringend suchen. «Er selbst ist der Grund, warum wir überhaupt einen Lehrling haben», erklärt Gudrun Engeler. Der junge Mann aus dem Kanton St.Gallen hatte Schloss Gündelhart auf Instagram gesehen und ging mit der Frage auf die Betriebsleiter zu, ob die Möglichkeit einer Ausbildungsstelle bestünde. Das Ehepaar fackelte nicht lange und sagte zu. Diesen Schritt haben sie bis heute nicht bereut. «Es ist toll und wichtig, dass Jugendliche auch noch in die Landwirtschaft gehen.» Für das Ausbildungsjahr 2023 auf 2024 ist bereits die nächste Anfrage eingetroffen.

Vielfältiges Hofgut

An Arbeit mangelt es nicht. Dominic Engeler und seine Mitarbeiter sind auch am heutigen Tag geschäftig zugange. Das weitläufige Hofgut besteht aus unzähligen Wohn- und Betriebsgebäuden. Rund um das historische Schloss gilt es parkähnliche Grünflächen zu pflegen. Des Weiteren sind ein Gemüsegarten und Streuobstwiesen vorhanden. Das Hofgut betreibt biologischen Ackerbau und baut in regelmässiger Fruchtfolge Weizen, Urdinkel, Triticale und Körnermais an. Für die Ölproduktion sät das Ehepaar Sonnenblumen, Kürbisse und mitunter auch Hanf an. Hinzu kommt ein Stück Wald, das bewirtschaftet werden muss. Auch hier beweisen die Engelers Weitblick in Sachen Nachhaltigkeit: Das Holz wird der Hackschnitzelheizung zugeführt, die über Fernwärme das Schloss, das Wohnhaus und die Werkstatt heizt. Auch bei neuen Bauprojekten kommt das eigene Fichtenholz zum Einsatz, wie bei der Erneuerung eines Schopfes im letzten Jahr.

Porträt Engler
Nachhaltigkeit im Blick: Im letzten Jahr wurde ein neuer Schopf fertig gestellt. Dafür wurden eigenes Fichtenholz und alte Dachziegel verwendet.

Alle haben einen Namen

40 Mutterkühe der Rasse Original Braunvieh sowie ein Limousin Stier sind auf Schloss Gündelhart zuhause. Der Betrieb produziert Bio-Rindfleisch für das Label Natura Beef und für die eigene Direktvermarktung. Hier bestellen die Kunden in der Regel online. Es gibt vier bis fünf Schlachttermine im Jahr. Die Mischpakete können zu festen Abholterminen direkt vor Ort abgeholt werden. Vielen Kunden sei das sehr wichtig, weiss Gudrun Engeler. «Sie wollen sehen, wie die Tiere leben und woher das Fleisch kommt.» Die Kühe dürfen solange auf dem Hof bleiben, wie sie tragen. Das können schon mal 18 Jahre werden. Die Bindung der Bioproduzenten zu ihren Tieren ist spürbar, alle haben eigene Namen. Auch die tierfreundliche Haltung liegt den Engelers am Herzen und das bis zum Schluss. Aufgrund der Distanzen zwischen den verschiedenen Weiden gehört das Fahren im Transporter für die Tiere zur Gewohnheit. Wenn die Kälber im Alter von zehn Monaten zur Schlachtung ausrücken, sind sie dadurch ruhiger.

Porträt Engler
40 Mutterkühe der Rasse Original Braunvieh und ein Limousin Stier leben auf Schloss Gündelhart und geniessen die umliegenden Weiden.

Events und Erhalt

Ein weiterer Betriebszweig sind Events aufdem Hof. Das Schloss ist nämlich Zivilstandort des Kantons Thurgau. Regelmässig werden zivile und freie Trauungen durchgeführt. Grillevents, Geburtstage, Wandergruppen, Schulklassen – das Spektrum der Veranstaltungen ist breit.

Bei all der Umtriebigkeit und Ideenflut kommt Gudrun Engeler ihre Ausbildung als Historikerin zugute. Ihr ist es ein Anliegen die Anlage nachhaltig zu erhalten und Renovierungen sanft vorzunehmen. «Wir arbeiten gut mit dem Amt für Denkmalpflege zusammen», erklärt sie, während sie ihren Mann dabei beobachtet, wie er ein Fenster im Schloss aushängt. «Das müssen wir noch putzen. Wir haben am Wochenende einen Event.» Ihr Mobiltelefon klingelt. Sie muss etwas mit dem Jäger besprechen. „Was, schon so spät? Ich muss meine Tochter gleich von der Schulreise abholen“, spricht sie und saust davon. Beim Verlassen des Anwesens schweift der Blick über die umliegenden Wiesen. Das satte Grün wird von weissen Tupfern gesprenkelt. Die Hausgänse sind zu einem frühabendlichen Streifzug aufgebrochen.

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