Die Lawinengefahr unter Kontrolle
Das Dorf Amden befindet sich an exponierter Lage. Lawinenniedergänge gehören hier zur Dorfgeschichte. Aus diesem Grund überwacht die Lawinenkommission die Situation und ordnet, bei Bedarf auch Massnahmen an.
Noch dominiert sattes Grün die Natur. Schneegestöber lässt auf sich warten. Doch das kann sich schnell ändern. Dann werden mit den Wetterprognosen wieder die obligaten Lawinenwarnungen ausgesprochen. Für Manuel Gmür bedeutet dies erhöhte Bereitschaft. Er ist Präsident der Lawinenkommission Amden und somit hauptverantwortlicher für die Einschätzung der Lawinensituation vor Ort. «Ab der Alarmstufe 3+ sind wir im Einsatz», erklärt er auf die Skala des Lawinenbulletins verweisend. Die Alarmstufe 3 ist orange, das Gefahrenpotenzial wird als erheblich eingestuft. An solchen Tagen sieht man Manuel Gmür regelmässig am Computer, wo er die Daten, die direkt von der Messstation am Mattstock übermittelt werden, auswertet.
Seit 1997 verfügt die Gemeinde Amden über eine solche Station. Auf 1600 Meter über Meer wird der Schnee gemessen und ausgewertet, auf 1900 Meter Wind und Luftfeuchtigkeit. Zusätzlich prüft Manuel Gmür regelmässig den Wetterbericht. Prophezeit dieser in den nächsten Stunden das Ende des Schneefalls, ist alles gut. Schüttelt Frau Holle allerdings weiter ihre Daunen, wird es Zeit, sich mit Clemens Angehrn in Verbindung zu setzen. Er ist ebenfalls in der operationellen Leitung des Gremiums. «Sobald die Situation kritisch wird, beurteilen wir das weitere Vorgehen gemeinsam», versichert er Manuel Gmür. Bereits in diesem Stadium kann es sein, dass erste Strassen gesperrt und Anwohner benachrichtigt werden. Richtig viel Arbeit gibt es bei der Alarmstufe 4 und 5. Dann bezieht die Kommission die Einsatzzentrale. Von dort aus werden die nötigen Massnahmen eingeleitet. Gmür und Angehrn erhalten in diesem Fall Verstärkung. Ein dafür bestimmter Gemeinderat und die Aktuarin werden beigezogen. Von nun an wird telefoniert, benachrichtigt und aufgeboten, damit möglichst schnell alle betroffenen Anwohner über die Gefahr informiert und Strassen gesperrt sind.
Das grosse Unglück
Evakuiert wird in der Gefahrenstufe 5. Diese hat Manuel Gmür in seiner 15-jährigen Zeit in der Lawinenkommission der Gemeinde Amden noch nicht miterlebt. Was zu tun wäre, weiss er trotzdem. Im Reglement ist alles schriftlich hinterlegt. Dort steht, dass auch der Schulbetrieb eingestellt und Ausgangsperren verhängt werden. In diesen Momenten sind auch weitere Hilfskräfte, wie die Feuerwehr im Einsatz. Das sei das letzte Mal beim grossen Schnee von 1999 eingetroffen. Zum Glück gab es damals keine Leben zu beklagen.
Im Jahr 1945 war das anders. Damals ist auf der ganzen Breite des Mattstocks eine Lawine ausgebrochen. Nur gerade 200 Meter vor dem Dorf kam sie zum Stillstand. Dennoch forderte sie zwei Menschenleben und zwei Verletzte. Zudem zerstörte sie eine Alphütte und acht Ställe, weitere Gebäude wurden beschädigt. Neun Jahre später, trotz erster Verbauungen, folgte der nächste Schlag. Da kam die Mattstocklawine erst mitten im Dorf beim Gemeindehaus zum Stehen. Nur mit Glück mussten keine Menschenleben beklagt werden. Obwohl ein Hotel, drei Wohnhäuser, eine Sägerei und zwei Ställe der Druckwelle zum Opfer fielen.
Es liegt auf der Hand, dass in Amden auch auf bauliche Massnahmen gesetzt wurde. 728 Schneebrücken aus insgesamt 4000 Tonnen Eisen und Stahl sichern mittlerweile das Dorf. Die Gesamtlänge der Werke misst beinahe vier Kilometer. Auch hier ist Manuel Gmür ein wichtiger Mann. Er ist Revierförster und in dieser Funktion obliegt ihm die jährliche Pflicht, jedes einzelne Werk auf Schäden zu überprüfen und die Reparaturen einzuleiten. Ebenfalls Schutz übernimmt der Wald, der sich natürlich auch in seiner Obhut befindet.
Maximum reicht nicht immer
Trotz Schutzwald und Schneebrücken, die Schnee- und Wetterdaten sind ein wichtiges Hilfsmittel für die Entscheidungsfindung der Lawinenkommission. «Die Brücken sind für vier Meter Schnee ausgerichtet. Was darüber liegt, ist durch diese nicht mehr abgesichert», gibt Gmür zu bedenken. Dies, weil es keine mächtigeren Werke gibt. Es ist aber gar nicht zwingend nur der grosse Schnee, der die Lawinenkommission zum Handeln zwingt. «Manchmal reichen auch nur einige Zentimeter, um Massnahmen einzuleiten.» Wie Manuel Gmür versichert, liegt das am Aufbau der Schneeschichten und der Schneekonstellation. Ein Phänomen, das zunimmt, ist zudem die Gleitschneerutsche. Immer dann, wenn die Temperaturen das Gefrieren des Bodens vor dem Schneefall nicht zulassen. «Diese Rutsche ist im Verhältnis zu einer Staublawine, die mit 200 Kilometer pro Stunde ins Tal donnert, relativ unspektakulär, kann aber grosse Schäden anrichten.»
Um für den Notfall gerüstet zu sein, nehmen Manuel Gmür und Clemens Angehrn regelmässig an Weiterbildungskursen teil. Einmal pro Wintersaison sind sie zudem am Mattstock anzutreffen. Dann schaufeln sie, unmittelbar neben der Schneestation ein grosses Loch. «Wir überprüfen das Schneeprofil, für den Fall dass die Wetterstation einmal ausfällt», erklärt Gmür. Das komme immer dann vor, wenn wildes Schneegestöber die Messstellen mit Eis und Schnee einhüllt, die Station folgend an Sendekraft verliert. Dass ausgerechnet neben der Messstation geschaufelt wird, ist bewusst geplant. «So können wir unsere Einschätzungen mit den effektiven Daten kontrollieren.» Selbstverständlich würden sich die Männer im Ernstfall nicht ins Gefahrengebiet begeben, sondern an einer sicheren Stelle die Schneeschichten überprüfen.
Schwierige Entscheide
Mit der Verantwortung seiner Funktion kommt Manuel Gmür gut zu Recht. «Wir müssen alle unsere Entscheidungen dokumentieren. Auch handeln wir nach fixen Vorlagen, die auf langjährige Erfahrungswerte gründen.» Viel schwieriger sei hingegen zu entscheiden, wann eine Sperrung wieder aufgelöst wird. Doch davon ist dieser Winter zum Glück noch weit entfernt. Auch wenn sich Manuel Gmür eine schöne Schicht von der weissen Pracht wünscht, so hofft er doch, dass diese in normalem Ausmass fällt. Damit die Menschen in Amden sicher ihrem Tagwerk nachgehen können und er in seiner Funktion als Präsident der Lawinenkommission möglichst keine Strassen sperren und Menschen evakuieren muss.