Brigitte Hickert ist dem Spinnrad verfallen
Mit Liebe zum Werkstoff und viel Geschick verarbeitet Brigitte Hickert natürliche Materialien zu Kunstwerken. Um eine Idee zu realisieren, scheint ihr kein Aufwand zu gross.
Leise surrt der Spinnflügel. Das Schwungrad dreht. Gekardete Wolle wird, dank Fingerspitzengefühl und Geschick, zu einem Faden versponnen. Es ist die Kunsthandwerkerin Brigitte Hickert, die am Spinnrad sitzt und für Wollnachschub sorgt. Schmunzelnd erklärt sie: «Ich spinne im wahrsten Sinne des Wortes.» Schon in Kinderjahren lernte sie das kreative Arbeiten. «Ob mit Salzteig, Fimo oder Batikfarben – wir haben eigentlich immer etwas gebastelt», sagt sie. Bei der Berufswahl wurden die Weichen allerdings anders gestellt. Sie wählte einen, wie sie selber sagt, kopflastigen Bereich. So wirkte sie als Export-Managerin. Sie spricht fliessend Französisch, Englisch und Italienisch. Zwischendurch gründete sie eine Familie, wurde Mutter von fünf längst erwachsenen Kindern und ist stolze Grossmutter von neun Enkeln.
Fünf Spinnräder
Das Spinnrad entdeckte Brigitte Hickert, als ihre Kinder klein waren. Sie habe sich während dieser Zeit voll und ganz der Familie gewidmet. Dabei habe sie zahlreiche Kleider genäht und sich kunsthandwerklich betätigt. Bei einem Ausflug nach Zürich wurde sie auf ein Geschäft in einer Seitengasse aufmerksam. Dieses hatte ein Spinnrad im Schaufenster. Wieder daheim, war Brigitte Hickert stolze Besitzerin einer Handspindel, einer Anleitung und etwas Wolle. Ganze fünf Spinnräder und jene Handspindel ihrer Anfänge nennt sie heute ihr Eigen. Wobei das älteste Spinnrad, mit Baujahr 1833, zugleich das jüngste ist. Dieses übernahm sie vor einem Jahr von einer Freundin aus Basel. Dort sei es nur noch herumgestanden. Eine Sünde, wie sie nebenbei bemerkt.
Schon hat die Kunsthandwerkerin den Platz gewechselt. Sitzt jetzt vor dem neuerworbenen Altertum. Wieder dreht das Schwungrad, der Spinnflügel surrt. Hinzu gesellt sich das Knacken des alten Holzes. Das liege an den Holzverbindungen, beruhigt sie. Diese seien früher ganz ohne Metallschrauben gefertigt worden. Trotz des Knackens, fixfertiger Wollfaden füllt langsam und kontinuierlich die Spule. Bewusst werden Noppen in die gesponnene Wolle eingearbeitet. «Auf diese Weise entsteht eine Struktur, die mich immer wieder zu Neuem inspiriert.»
Alles Naturgefärbt
Vom Schal zur Kappe, vom Pulswärmer zu Socken – Brigitte Hickerts Stricksachen sind aus eigener Verarbeitung. Nach strengen Vorlagen arbeitet sie wenig. Beim Stricken lässt sie sich von der Wolle leiten. Die Wolle wäscht, kardet und färbt sie selber. Vielfach mit Naturfarben. Ob Kaffeebohnen, Blütenblätter oder Nussschalen – es wird getüftelt und probiert, bis der optimale Farbton entsteht. Längst ist nicht immer klar, was beim Färben herauskommt. Diesen Überraschungseffekt empfindet sie als äusserst spannend, motiviert sie immer wieder, Neues auszuprobieren. Zum Färben verwendet sie grosse Einmachgläser und setzt auf die Mithilfe der Sonne.
Die grösste Herausforderung ist das Erwerben der Wolle. Diese sollte von Schafen stammen, die nur einmal im Jahr geschert werden. «Halbjahreswolle ist zu kurz und reisst entsprechend schnell ab», so ihr Fazit. Was tun, wenn das Gebrauchte nicht im Angebot steht? Brigitte Hickert zögerte nicht lange und kaufte kurzerhand ein Schaf. Da sich der Garten ums Einfamilienhaus wenig zur Schafhaltung eignete, mietete sie sich bei einem Kollegen ein. Selbst nach einem Umzug ins Toggenburg nahm sie das Schaf, das in der Zwischenzeit eigene Nachkommen hatte und eine kleine Herde bildete, mit. Jahre später, als es Brigitte Hickert ins Linthgebiet zog, liess sie die Schafe allerdings zurück. Bis heute hat sie mit dem Tierhalter Kontakt und weiss: «Es gibt immer noch einige Nachkommen von meinem Schaf.»
Von der Wolle zum Ton
Der Bezug zur Natur ist der Kunsthandwerkerin wichtig. «Soweit ich mich erinnern kann, haben die Schätze der Natur für mich eine grosse Rolle gespielt», erklärt sie. «Ein Steinchen, ein Blatt, ein Stück Holz, und noch so vieles mehr – was man damit alles anfangen kann? Die Ideen kommen ganz von alleine.»
In der Zwischenzeit hat Brigitte Hickert ihren Arbeitsplatz am Spinnrad verlassen und in den hinteren Teil des Ateliers gewechselt. Grosse Tische, zahlreiche Formen und ganze Behälter voller Werkzeuge sind Beweis von einem weiteren kreativen Arbeitsbereich. Hier kann sie aus dem Vollen schöpfen. Immer dann, wenn aus Ton wahre Kunstwerke werden. Wobei Figuren nebst verschiedensten Dekorationsideen parallel zu Gebrauchskeramik entstehen. In Arbeit ist derzeit eine Seifenschale. Bereits ist die Form zu erkennen. Aktuell wird an Details gearbeitet. Mit einem schmalen Spachtel entsteht ein Muster. Dieses soll später nicht nur hübsch aussehen, es dient auch dazu, dass die Seife gut trocknet. «Meine Werke sollen nicht nur schön, sondern auch praktisch sein», ist nebenbei zu erfahren.
Spinnrad immer mit dabei
Wolle, Ton und vieles mehr – doch was mag Brigitte Hickert am meisten? «Meine grösste Liebe gilt dem Ton», erklärt sie überzeugt. «Ton und die unendlichen Möglichkeiten, Ton zu verarbeiten, haben mich schon immer fasziniert.» Sie konkretisiert, dass aus einem weichen, geschmeidigen Klumpen nahezu jedes Objekt gestaltet werden kann. Dass das Arbeiten mit Ton sie die Hektik des Alltags, ja sogar die Zeit vergessen lässt. Die Liebe zum Ton gibt sie in verschiedenen Kursen weiter.
Dann schweift ihr Blick zum Spinnrad. Auch dieses mag sie sehr. Wenn es sich ergibt, gönnt sie sich zusammen mit einer Freundin eine Woche Spinnferien irgendwo an einem ruhigen Ort in der Schweiz. Das Spinnen möchte sie, wie die Liebe zum Ton, an möglichst viele Menschen weitergeben. Stellt sie an einem Kunsthandwerker- oder sonstigen Markt aus, ist das Spinnrad daher meist auch mit dabei. Das ergebe immer gute Gespräche. Oft und gerne werde es von den Passanten ausprobiert. Natürlich surrt der Spinnflügel in diesen Fällen noch nicht regelmässig und das Schwungrad holpert noch. Doch da und dort lässt sich vielleicht jemand für dieses uralte Handwerk begeistern. Brigitte Hickert würde ihre Wolllieferanten auf jeden Fall mitteilen – damit nicht noch jemand wegen seiner Passion ein Schaf kaufen muss.