Bei Wind und Wetter unterwegs

Wanderschäfer Julius Greif zog in den vergangenen Wochen mit über 900 Schafen durch die Gegend. Er und seine Herde haben den Winter gut überstanden. Begleitet wurde der Schafhirte aus Deutschland von seinen zwei Hütehunden und zwei Eseln.

Eselin Pina begleitet Wanderschäfer Julius Greif auf seiner Reise.
Eselin Pina begleitet Wanderschäfer Julius Greif auf seiner Reise.

Friedlich grasen Hunderte Schafe an diesem grauen Märznachmittag auf einer Weide in der Nähe von Wittenbach. Ab und zu ist ein leises Blöken zu vernehmen, dazwischen ein lautes Bellen der Hunde. Während Julius Greif die Tiere beobachtet, ruft er: «Frieda, komm her!» Frieda und Lore sind die beiden Hütehunde. Pina und Luna die zwei Esel, die den Schafhirten und die Herde auf der Wanderschaft begleiten. Der Wanderschäfer Julius Greif verbrachte die Wintermonate bei Wind und Wetter draussen. Er zog mit seinen Schafen von Wiese zu Wiese. Gestartet ist er Anfang Dezember im thurgauischen Horn am Bodensee.

Der Schäfer aus Deutschland erzählt, dass er bereits seit Ende November vergangenen Jahres in der Schweiz sei. Beim Schafhalter Mario Heller in Thal habe er in der Zeit vor seiner Wanderschaft gearbeitet und sich auf die Wanderung vorbereitet. «Ich bin in diesem Winter im Auftrag von ihm als Schäfer unterwegs. Er unterstützt mich in allen Belangen und ist für mich eine wichtige Bezugsperson. Wenn ich ein Problem habe, kann ich mich an ihn wenden», äussert sich Julius Greif dazu.

Regelmässige Checks

Mit etwa 950 Tieren verschiedener Schafrassen ist Julius Greif gestartet. Zurzeit seien es knapp über 900 Schafe. Etwa 50 seien inzwischen in den Schlachthof gekommen. «Der Herde gehören auch Mastlämmer an, die geschlachtet werden, sobald sie schwer genug sind», erklärt er. Die Schafe, mit denen der Hirt zur Winterfütterung in der Bodenseeregion unterwegs ist, gehören fünf Bauern aus der Umgebung. Die Schafhalter achten sehr auf die Gesundheit ihrer Tiere und machen regelmässige und gründliche Gesundheitschecks. Dabei werde unter anderem auf die Klauengesundheit geachtet, denn eine gesunde Klaue sei die wichtigste Voraussetzung für das Wohlbefinden von Schafen. Die Wanderschaft sei bis jetzt problemlos verlaufen. Es sei auch noch nie ein Wolf aufgetaucht.

Auf der Suche nach Wiesen

«Von Horn ging es über Tübach nach Roggwil. Längere Zeit war ich mit den Tieren dann rund um Häggenschwil. Ich kann gar nicht aufzählen, wo ich überall war. Es würde den Rahmen sprengen», erklärt der Hirt. Stets ist dieser auf der Suche nach den besten Wiesen für die Tiere. Angeführt wird die Herde von den beiden Eseln. Unverzichtbar seien ausserdem seine Hütehunde, denn diese halten die Herde zusammen. Sie wurden für das ruhige Herantreiben von Schafen gezüchtet. Auf dem Weg zur nächsten Weide muss Julius Greif seine ihm anvertrauten Schafe auch sicher über die Strassen bringen. Müsse er mit den Tieren stark befahrene Strassen überqueren, werde er von seinem Arbeitgeber Mario Heller unterstützt. «Er regelt dann den Verkehr und sperrt manchmal Strassen ab.» Verweilt wird nur wenige Tage am selben Ort. Die Geschwindigkeit, in der die Herde wandert, richte sich nach dem jeweiligen Nahrungsangebot und der Witterung.

Wanderschäfer Julius Greif rollt den Netzzaun auf.
Wanderschäfer Julius Greif rollt den Netzzaun auf.

Willkommener Gast

Julius Greif erzählt, dass er bei den Bauern meist ein willkommener Gast mit den Wolltieren sei. Denn sie machen Landschaftspflege. «Die Schafe fressen oftmals das vor dem Winter nicht mehr geschnittene und zu hohe Gras, das sonst erfrieren würde. Zudem zertreten sie mit ihren Klauen die schädlichen Mausgänge und fördern die Bestockung.» Schafe seien sehr anpassungsfähige und genügsame Tiere. Die Haltung im Freien komme ihren natürlichen Bedürfnissen weitgehend entgegen. Schafe kommen besonders gut mit kalten Umgebungstemperaturen zurecht. Ihr Wollkleid bietet Schutz gegen Kälte. «Sie werden auf der Winterwanderung nachts in umzäunten Wiesen gehalten, zum Schutz vor unbeaufsichtigten Hunden, vor dem Verkehr und der Bahn», sagt Julius Greif. Das Wetter sei in den vergangenen Wintermonaten nicht schlecht gewesen. «Wir hatten wenig Regen, zwischendurch war es auch kalt.» Gefrorener Boden sei natürlich viel besser als morastige und versumpfte Stellen, betont der Hirt.

Die Esel tragen auf der Wanderschaft die Netze, welche die Schafe im Nachtlager umzäunen. Um zwischendurch die Schafe kurz alleine zu lassen, stellt der Schafhirte manchmal auch mittags den Netzzaun auf, den sogenannten Pferch. Schafe decken ihren Wasserbedarf zu einem grossen Teil aus frischem Gras und krautigen Pflanzen. Denn diese bestehen grösstenteils aus Wasser. Julius Greif achtet darauf, dass die Tiere auf der Wanderschaft Zugang zu Bächen oder Brunnen haben. Nebst dem Grünfutter bekommen die Kleinwiederkäuer auch noch Mineralstoffe und Salz. Diese Mineralfutter-Leckmasse stellt ihnen der Schafhirt regelmässig in Kübeln auf die Wiese.

Mit der Schafherde ist Wanderschäfer Julius Greif seit Anfang Dezember unterwegs.
Mit der Schafherde ist Wanderschäfer Julius Greif seit Anfang Dezember unterwegs.

Fachrichtung «Schäferei»

Der Hirt übernachtet in seinem ausgebauten Auto – in seinem selbstgebauten Zuhause, wie er es nennt. «Am Morgen stehe ich um 6 Uhr auf und bereite mich für den Tag vor.» Zuerst frühstücke er und streiche seine Brote, die er während des Tages dann isst, und packe seinen Rucksack. «Hartes Brot als Leckerlis für die Schafe und ‚Möhrchen‘ für die Esel gehören natürlich auch dazu», erzählt der 29-jährige Julius Greif, der aus Mitteldeutschland hierhergekommen ist. Am Abend sei er jeweils müde und gehe früh ins Bett; manchmal schon um 19 Uhr. Der gelernte Gärtner ist in diesem Winter zum ersten Mal als Wanderschäfer unterwegs. Er macht derzeit eine Berufsausbildung in der Fachrichtung «Schäferei». Diese anerkannte Berufsausbildung in der Schaf- oder Ziegenhaltung gibt es nur in Deutschland. In der Schweiz gibt es keine reglementierte Ausbildung, jedoch einen modularen Kurs, verteilt auf zwei Jahre. «Meine Vollzeitausbildung in der Praxis mit Schwerpunkt Schafhaltung dauert rund vier Jahre», erklärt Julius Greif und ergänzt, dass es auch Zwischenprüfungen über das praktische und theoretische Wissen gibt, so wie an diesem Nachmittag. Zum Ausbildungsprogramm gehören eine Winterwanderung und ein Alpsommer.

Friedlich grasen die Schafe auf einer Wiese in der Nähe von Wittenbach.
Friedlich grasen die Schafe auf einer Wiese in der Nähe von Wittenbach.

Körperlich strenge Arbeit

Den Zugang zur Landwirtschaft hat Julius Greif in seiner Kindheit gefunden. «Die Eltern meines Freundes Raphael Schubert, der mich gerade jetzt hier in Wittenbach besucht, führten einen Landwirtschaftsbetrieb. Ich habe mich dort viel aufgehalten. Die Arbeit mit den Tieren gefiel mir schon damals gut.» Vor fünf Jahren hatte Julius Greif einen schweren Verkehrsunfall. Seine Freundin habe ihm dann Frieda, den Hütehund, geschenkt. Hunde habe er schon immer gemocht. Und irgendwann sei er auf die Idee gekommen, mit Frieda draussen in der Natur etwas zu machen und dabei auch noch etwas Geld zu verdienen. «Frieda ist der Grund, weshalb ich überhaupt Schäfer werden wollte.»

Die Arbeit als Wanderschäfer sei körperlich streng. Letztlich arbeite man rund 100 Tage am Stück ohne Freizeit. Trotzdem: Er liebe seinen Job und sei gerne draussen an der frischen Luft. Julius Greif fühlt sich nie einsam, obwohl er sich nur selten mit jemandem unterhalten kann. «Zwischendurch bin ich ja mit den Bauern oder auch mit Spaziergängern zusammen.» Seit vier Jahren sei er nicht mehr krank gewesen. Die Kälte härte ab, und da er nur wenig Leute treffe, käme er auch nicht mit Grippeviren in Kontakt.

Am 15. März ging die Wanderschaft für Julius Greif zu Ende – in Thal beim Schafhalter Mario Heller. Inzwischen ist der Schafhirte wieder in seiner Heimat in Deutschland. Er freut sich aber bereits auf den kommenden Sommer, den er zusammen mit seiner Freundin und 850 Schafen auf einer Alp in Savognin verbringen wird.

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