Das Federvieh hat Hochsaison

Aus einem tonnenschweren Dinosaurier entwickelte sich im Laufe der Zeitgeschichte unser flugfähiges Haushuhn. Zur Osterzeit wird das intelligente Tier, das oft unterschätzt wird, zum wichtigen Protagonisten.

Über Hühner gibt es viele Geschichten und Mythen. Bild: zVg
Über Hühner gibt es viele Geschichten und Mythen. Bild: zVg

Aufregung im lichtdurchfluteten Wintergarten des Hühnerstalls: Laut gackernd tippelt oder flattert die Federviehschar von dannen und vergisst für einen Moment sogar die Lieblingsbeschäftigung: Futter picken und scharren. Doch sogleich spüren die intelligenten Tiere, dass ihnen keine Gefahr droht. Auch bei den eher zurückhaltenden und scheuen unter ihnen siegt die angeborene Neugier. So folgen sie mutig ihren vorwitzigen Artgenossen, um den Besuch aus nächster Nähe zu begutachten. Derweil geniesst eine weitere Hühnerschar den Komfort im abgedunkelten Innenbereich. Dort gönnen sich einige eine Zwischenverpflegung. Die «Tussis» unter ihnen setzen sich nach vollendeter Schönheitspflege auf den Sitzstangen ebenso in Szene wie ihre männlichen Pendants. Vereinzelte Hennen erfüllen in den Legenestern gerade die tägliche Pflicht als Lieferantinnen des Osterhasen.

Vom Dinosaurier zum Haushuhn

Seit Jahrtausenden ist das Federvieh ein wichtiger Weggefährte der Menschen. Allerdings waren die Urahnen unseres Haushuhns noch gefährliche Eier legende Dinosaurier. Die Veränderung von der tonnenschweren, zweibeinigen Echse aus der Linie der Raptoren bis hin zum flugfähigen Huhn von heute brauchte ihre Zeit. Schon vor gut 150 Millionen Jahren tauschten sie die Reptilienschuppen gegen Federn ein. Nur die Schuppen an den Füssen zeugen bis heute von ihrer Evolution. Knochenfunde aus der Jungsteinzeit belegen, dass die Umwandlung von Wildtier zum Haustier vor fast 8000 Jahren anfing. Die Beziehung zwischen Mensch und Huhn begann im südostasiatischen Dschungel mit dem Bankivahuhn, das als Vorfahre des Haushuhns gilt. Von dort gelangten die Tiere allmählich in den Mittelmeerraum, wo Funde aus dem fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung auf erste Hühnerhaltung in der Schweiz schliessen lassen. Während die Tiere anfangs nur für Hahnenkämpfe und rituelle Zwecke gehalten wurden, etabliert sich das Federvieh als Fleisch- und Eierlieferanten erst im ersten Jahrhundert nach Christus. So verehrten die Ägypter 4400 vor Christus Hühner als Kulttiere und priesen mit dem ersten Hahnenschrei am Morgen ihren Sonnengott. Die Römer deuteten aus dem Verhalten der Tiere die Zukunft. Später folgte die Epoche der Hahnenkämpfe, die bis ins 19. Jahrhundert dauerte.

Die Rangordnung der Hühner verändert sich, sobald ein Hahn in der Gruppe ist. Der «Güggel» zeigt sich als Kavalier.
Die Rangordnung der Hühner verändert sich, sobald ein Hahn in der Gruppe ist. Der «Güggel» zeigt sich als Kavalier.

«Dummes Huhn»

Der Volksmund behauptet, Hühner seien dumm, unordentlich, schreckhaft und liefen ziellos herum. Entsprechend lang ist die Liste der Redewendungen, die selten einen schmeichelhaften, sondern eher einen negativen oder gar lächerlichen Kontext haben: «Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn», «Da lachen ja die Hühner», «Mit den Hühnern ins Bett gehen» oder «Mit jemanden ein Hühnchen rupfen». Kaum besser weg kommt der männliche Part, der «Hahn im Korb», der als aufgeblasener, eingebildeter und überheblicher Gockel gilt. Trotz aller Vorurteile – Hühner sind weder dumm noch einfältig, sondern faszinierende und nutzbringende Haustiere. Kein Tier ist wie das andere: Da gibt es die zickigen, die alle Artgenossinnen, die sich dem Futterplatz nähern, gleich wegpicken und sich im Hof oft aggressiv verhalten. Dann gibt es die unterwürfigen Hennen, die ihrem Brötchengeber auf Schritt und Tritt nachtippeln und sich, im Gegensatz zu den zickigen, die sich kaum zähmen lassen, ohne besondere Mühe anfassen und auf den Arm nehmen lassen. Der grösste Teil der Gruppe ist pflegeleicht. Streitigkeiten sind eher selten und die rangniedrigste Henne wird die ranghöchste nie angreifen, höchstens jene, die in der Rangordnung einen Platz höher ist als sie. In der Hühnerschar gibt es eine ganz klare Rangordnung. Diese verändert sich, wenn ein Hahn in der Gruppe weilt. Nun ist es nicht mehr die Alphahenne, die bestimmt, was läuft, sondern der «Güggel», der für Ordnung sorgt.

«Güggel» ist ein Gentlemen

Als Chef übernimmt er nicht nur die Rolle der ranghöchsten Henne, sondern brilliert als grosser Kavalier. Fürsorglich wie er ist, würde er nie einen Wurm, den er gefunden hat, selber fressen. Er ruft sein Harem zusammen und überlässt grosszügig den Leckerbissen der Schnellsten. Befindet sich kein Hahn in der Gruppe, würde die ranghöchste Henne nie einen Wurm kampflos einer Artgenossin überlassen. Der Futterneid ist so gross, dass die rangniedrigsten Hennen nie was abbekämen und elendig verhungern müssten, wenn zu wenig Futter oder zu wenig Platz an der Futterquelle zur Verfügung stünde.

Hühner sind kommunikative Wesen. Am besten ist das zu vernehmen, wenn sie ein Ei gelegt haben und dies der Umgebung lauthals verkünden. Eine brütende Henne «gluckst» und kommuniziert so bereits mit dem Küken, bevor es geschlüpft ist. Am Ton, der sich von Henne zu Henne unterscheidet, werden die Küken ihre Mutter später erkennen. Auch die Küken können schon im Ei über Pieptöne miteinander kommunizieren. Das ist der Grund, warum sie meist auch gemeinsam schlüpfen. Es gibt Jammerhennen und andere, die ruhige Töne ihre Zufriedenheit zum Ausdruck bringen. Hühner haben mehr als 30 verschiedene Laute, um vor Gefahren zu warnen, und können so verschiedene Arten von Gefahren unterscheiden. Das Geschrei, das sie machen, wenn sich ein Fuchs oder Marder Zugang zum Gehege verschafft hat, geht durch Mark und Bein. Nach einem solchen Vorfall ist das Federvieh für längere Zeit sehr scheu und flattern bei der kleinsten Aufregung wild umher.

Die Leistung einer Henne deckt bei Weitem den durchschnittlichen Jahresbedarf einer einzelnen Person ab.
Die Leistung einer Henne deckt bei Weitem den durchschnittlichen Jahresbedarf einer einzelnen Person ab.

Protagonisten zu Ostern

Normalerweise erregen Hennen in unserer Gesellschaft keine grosse Aufmerksamkeit. Die wenigsten wissen mehr über die Eierlieferanten, als dass sie Eier legen. Und so unter vielen anderem den Frühstückstisch bereichern, die traditionelle Beilage zur Rösti liefern, eine wichtige Zutat von Kuchen und Torten bieten sowie saisonal den Osterhasen beliefern. Wenn es aber auf Ostern zugeht, rückt das Eier legende Federvieh als Modell für allerlei Dekorationen ins Rampenlicht. Gemäss Statistik konsumiert die Schweizer Bevölkerung jährlich etwa 1,37 Milliarden Eier. Dies entspricht einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 200 Eiern pro Jahr. Darin enthalten sind Eiergerichte und Eier als Zutat von Kuchen, Teigwaren oder Saucen. Die Kurve schiesst nach oben und erreicht Höchstwerte, wenn im Frühling bunt gefärbte Ostereier die Blicke auf sich ziehen.

Das Ei, ein religiöses Symbol

Das Ei gehört im Christentum seit Jahrhunderten zum Osterfest. Es symbolisiert die Auferstehung Jesu am Ostersonntag und steht in vielen Kulturen für Fruchtbarkeit und neues Leben. Früher gab es noch einen anderen Grund, zum Osterfest Eier zu verspeisen und zu verschenken: Während der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern war es verboten, Fleisch und Eier zu essen. Das war den Hühnern natürlich egal. So sammelte sich eine grosse Anzahl Eier an. Um sie haltbar zu machen, wurden sie gekocht. Damit man sie von den rohen Eiern unterscheiden konnten, wurden sie während des Kochvorgangs mit Kräutern gefärbt. Im Mittelalter dienten Eier auch als Zahlungsmittel. Gemäss Überlieferung galt damals der Gründonnerstag als Zahltag für Schulden und Zinsen. So bezahlten die Bauern ihre Lehensherren mit «Zinseiern» sowie Hasen. Dies ist eine der Geschichten, wie der Brauch von Osterei und Osterhase entstand.

Während der Osterzeit wird vor allem das Ei in den Fokus gerückt. Bild: zVg.
Während der Osterzeit wird vor allem das Ei in den Fokus gerückt. Bild: zVg.

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