Traumberuf Fischer
Beim Hinausfahren auf den See erzählt Timon Görtz, warum er seinen Beruf liebt und mit was für Herausforderungen Berufsfischer zu kämpfen haben. Er ist offen für neue Ideen. Nicht beim Fischfang, eher in der Verarbeitung. Wegen des Geldes den Beruf zu wechseln, kommt für ihn nicht infrage.
Timon Görtz wuchs im heimeligen Fischerdorf Altenrhein auf. An der österreichischen Grenze, wo der Alte Rhein in den Bodensee fliesst. Mit seinen 31 Jahren ist er ein Exot in der alternden Gilde der Berufsfischer. «Es hat noch eine junge Fischerin im Nachbardorf, andere Berufsfischer in meinem Alter gibt es keine.»
Fischer werden wollte Timon schon als kleiner Junge. Wie sein Vater Claudio. Und Fischer sein möchte er sein ganzes Leben, auch wenn er aus finanziellen Gründen einen Nebenjob suchen musste. Mutter Cornelia – selbst ausgebildete Fischerin – riet ihm davon ab: «Berufsfischer ist in der heutigen Zeit ein finanziell aussichtsloser Job.» Dem Frieden zuliebe absolvierte er eine Schnupperlehre als Landmaschinenmechaniker. Mehr als einen Tag hielt er es dort jedoch nicht aus. Kurz dachte er darüber nach, Archäologe oder Lehrer zu werden, aber der Weg dorthin war ihm zu lang und zu beschwerlich. Schnell wurde ihm klar: Auf den See zu fahren ist seine Berufung.
Ein Morgen auf dem See
Um 7.30 Uhr – ohne fremde Passagierin wären sie bestimmt früher aufgebrochen – marschieren Timon Görtz und sein Vater Claudio mit einem Anhänger voller Fischereiutensilien in Richtung Alter Rhein, wo ihr Fischerboot an einem kleinen Steg verankert ist, quer zur Fliessrichtung des Rheins. Der Wetterbericht sagte einen frühlingshaften Tag voraus. Zu dieser frühen Uhrzeit bedecken jedoch dunkle Wolken den Himmel und lassen ab und zu ein paar Tropfen fallen. Mehrere Schichten Kleidung anzuziehen war eine gute Entscheidung und eine warme Mütze wegen des kühlen Fahrtwinds. Mit einem Stirnrunzeln murrt Timon: «Mein Vater fährt immer zu schnell und stresst herum. Ich fahre lieber in gemütlichem Tempo.»
Trotz der frühen Stunde kommt den beiden bereits ein Ruderboot mit zwei sportlichen Herren entgegen. Rücksichtsvoll geht Claudio Görtz vom Gas. Man winkt sich freundlich zu, wie das auf dem See üblich ist. «Im Winter ist die ruhigste Zeit auf dem Wasser.» Timon liebt diese Ruhe. «Im Sommer ist der See überfüllt mit Booten, die vor dem Ufer ankern oder in Höllentempo über den See brettern. Auch Stand-up-Paddler, die rücksichtslos mitten ins Schilf des Naturschutzgebietes vordringen, machen mich wütend. Klar hat jeder Mensch das Recht auf See, aber man sollte Rücksicht nehmen auf Mensch und Natur.»
Die Bodennetze sind an Sagex-Klötzen befestigt und mit Initialen gekennzeichnet. Abwechselnd ziehen Timon und Claudio Görtz die Netze aus dem Wasser, entleeren, reinigen und setzen sie wieder neu. Anders gehen sie bei den Schwebenetzen vor. Diese sind fest zwischen zwei Bojen gespannt und mit einem Anker im Boden befestigt. Sie heben die grobmaschigen Netze an, klauben einzelne Fische aus den Maschen und lassen diese wieder ins kühle Nass fallen.
Nach ein paar Stunden kehren die beiden nicht euphorisch, aber zufrieden in den Hafen zurück. Mit zwei Kisten in Eis eingelegten Fischen. Von allem ist etwas dabei: Hecht, Felchen, Sandfelchen, Egli, Zander, Kaulbarsch und Rotaugenfisch. Bereit zur Verarbeitung in der eigenen Fischküche. Auch Möwen und Fischreiher, die hungrig über dem Schiff kreisen oder sich erwartungsvoll um den Bootssteg scharen, kommen auf ihre Rechnung. Timon lässt auch die geflügelten Flieger nicht mit leeren Mägen zurück. Schwungvoll wirft er Fischstücke in Richtung Himmel oder deponiert sie als Geschenk auf dem Steg.
Beruf und Berufung
Was genau liebt der junge Fischer an seinem Beruf? «Jeder Tag ist anders, ich bin draussen in der Natur, selbstständig, kann mich neu erfinden und meine Zeit frei einteilen.» Früh aufzustehen war noch nie ein Problem für ihn. Im Gegenteil: «Ich stehe lieber um vier statt um sechs Uhr auf.» Früher kam es schon mal vor, dass er vom Ausgang direkt aufs Boot musste. Heute ist er ruhiger geworden, verbringt viel Zeit mit seiner Freundin im kleinen Haus in Rorschacherberg. Statt im Fitnesscenter trainiert Timon seine Arme kostenlos beim Hinausziehen der Netze. «Das braucht ganz schön viel Kraft», meint er und lacht: «Leider wird der Bauch dabei nicht trainiert.»
Etwas ungewöhnlich war seine Lehrzeit. Diese absolvierte er bei seinem Vater als Lehrmeister. Da gab es nicht immer die perfekte Harmonie. Vor allem, da Timon und Claudio Görtz sich sehr ähnlich sind. In die Berufsschule musste er in das deutsche Starnberg. Eine Schule für Fischer gibt es in der Schweiz keine. Alle zwei Monate ging es für drei Wochen an den Starnberger See. Er war froh, dass für ihn als Schweizer einige Noten nicht zählten. In die Schule zu gehen war definitiv keine seiner Lieblingsbeschäftigungen.
Jede Menge Herausforderungen
Was dem jungen Fischer Sorgen bereitet, sind die vielen Vorschriften und länderübergreifenden Gesetze. «Niemanden interessiert es, wie es uns Berufsfischern geht. Alle haben Angst, wir fischen den See leer.» Verglichen mit den «goldigen» 1970er- und 1980er-Jahren ist es heute nicht mehr selbstverständlich, Fische zu fangen. «Man wird bescheiden. Fährt auch dann raus, wenn kein grosser Fang zu erwarten ist.» Die Patente haben sich im Kanton St. Gallen von 15 auf sieben reduziert. «Keiner kann heute nur noch vom Fischen leben.»
Erschwerend dazugekommen sind seit ein paar Jahren die Quagga-Muscheln. Diese breiten sich schier unaufhaltsam aus, fressen den Fischen das Futter weg und verändern das Ökosystem. Die Netze sind voll davon. Sie lassen sich sogar auf anderen Tieren wie Krebsen nieder. Eine weitere Veränderung gibt es bei der Sauberkeit des internationalen Gewässers: «Der Bodensee ist heute viel sauberer als früher. Gut für das Trinkwasser, aber nicht für die Fischerei, denn den Fischen fehlen dabei wichtige Nährstoffe.»
Demut vor der Natur
Eine Aussage des jungen Fischers erstaunt. «Ich habe höllische Angst vor dem schwarzen Wasser. Mitten im See, dort, wo ich nicht auf den Grund sehe, habe ich nur schon ein mulmiges Gefühl, ins Wasser zu greifen, um die Netze einzuziehen.» Überhaupt, sein Respekt und seine Ehrfurcht vor der Natur und ihrer Gewalt sind gross. «Am Bodensee windet es entweder gar nicht oder extrem», erzählt er. «Das Wetter schlägt manchmal von einer Minute zur anderen um, was auf dem Wasser sehr gefährlich werden kann. Aber wenn jemand etwas vom See versteht, sind es wir Fischer.»
Alternativen suchen
Wie die meisten Bauern mit ihren Hofläden erlebten auch die Berufsfischer während der Pandemie einen erfreulichen Boom. Aufgrund von fehlenden Alternativen kauften die Leute vermehrt regional ein. Auch vor Ort beim Fischer. «Leider ist diese erfreuliche Entwicklung bereits wieder vorbei. Dabei kauft man die Fische bei uns günstiger ein als beim Grossverteiler. Aber es ist halt bequemer, alles an einem Ort einzukaufen.»
Die Fische verkauft Familie Görtz in zwei Restaurants der Region und von zu Hause aus. Sie werben mit einer Tafel oder ganz einfach Mund zu Mund. Da immer weniger Hechte, Felchen oder Egli in den Netzen landen, sind neue Ideen gefragt. Die Familie Görtz geht dabei neue Wege mit einem Fisch, der bei uns bisher weder beachtet noch verwertet wurde: der Rotaugenfisch. Als einziger Schweizer Fischereibetrieb sind sie Teil der ersten internationalen Rotaugenwochen, die vom 31. März bis am 16. April stattfinden. Die «unbekannten Schätze des Bodensees» können in unserer Region im Schlosshotel Wartegg in Rorschacherberg und im Restaurant Corso in St. Gallen probiert oder bei der Familie Görtz gekauft werden.
Timon Görtz ist überzeugt, dass mit neuen Ideen und Angeboten alternative Einnahmequellen geschaffen werden können: «Meine Mutter kocht unheimlich gut und hat sogar selbst ein handgemachtes Kochbuch kreiert. Jedes ein Unikat, das sie im Laden verkauft. Neu können Kleingruppen bei uns einen Morgen auf dem See buchen.» Die Fischerei als touristisches Erlebnis? Aber sicher.