Biber in Schweizer Gewässern

Der einst in der Schweiz ausgerottete Biber ist an einen Grossteil der Schweizer Gewässer zurückgekehrt. Als grösster Nager Europas gestaltet er Landschaften und schafft Lebensräume, die äusserst wertvoll sind. Wo der Platz knapp ist, kann das aber auch zu Konflikten führen.

Vielleicht ist man ihm schon auf einem Abendspaziergang begegnet? Bestimmt hat man seine Spuren entlang der Gewässer gesehen: einen Damm, eine Burg, einen angenagten oder einen komplett gefällten Baum. In den letzten Monaten waren im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) mehr als 400 Freiwillige auf Spurensuche unterwegs. Das Ergebnis ist eindrücklich: Der in der Schweiz einst ausgerottete Biber ist heute mit gut 4900 Tieren zurück.

Eine Bibermutter ist mit ihrem Jungtier unterwegs.
Eine Bibermutter ist mit ihrem Jungtier unterwegs.

Grösstes Nagetier Europas

Mit einem Gewicht von 20 bis 30 Kilo ist der Biber schwerer als ein Reh. Seine auf den ersten Blick etwas plump wirkende Gestalt ist mit vielerlei ausgeklügelten Details ausgestattet: Da sind seine vier harten, mit einer eisenhaltigen Schmelzschicht überzogenen Nagezähne, mit denen er selbst noch so hartes Holz durchbeissen kann. Die Vorderpfoten sind sein ideales Werkzeug zum Graben von Erdbauten und zum Bauen von Dämmen und Burgen. Die Hinterfüsse dienen als Paddel beim Schwimmen. Auffälligstes Merkmal ist der Biberschwanz, die sogenannte Kelle. Sie dient zugleich als Ruder beim Schwimmen, als Fettdepot für den Winter und als Kommunikationsmittel: Klatscht der Biber mit der Kelle aufs Wasser, warnt er die Familienmitglieder vor Gefahr.Der Biber ist reiner Vegetarier. Im Sommer frisst er allerlei Pflanzen im und um das Wasser, im Winter ernährt er sich von Rinde und Knospen. Da er nicht klettern kann, fällt er die Bäume kurzerhand. Mit dem Holz baut er seine Burgen und Dämme. In Auenlandschaften, wo viel Futter vorhanden ist, befindet sich teilweise alle 500 Meter eine besetzte Biberburg, sprich eine Biberfamilie. Ist das Nahrungsangebot knapp, beansprucht eine einzige Familie einen Gewässerabschnitt von bis zu mehreren Kilometern.

Wagen es fremde Artgenossen in ein besetztes Revier einzudringen, verteidigen die Bibereltern ihre Burg und die Jungen vehement – wenn es sein muss bis zum Tod. Für uns Menschen sind sie keine Gefahr. Beim Tauchen oder Schwimmen ist es dennoch ratsam, Abstand zu den Biberbehausungen zu halten.

Im zürcherischen Marthalen hat der Biber ein Ökosystem von rund fünf Hektaren Fläche geschaffen – daraus ist ein Waldreservat von insgesamt zehn Hektaren entstanden.
Im zürcherischen Marthalen hat der Biber ein Ökosystem von rund fünf Hektaren Fläche geschaffen – daraus ist ein Waldreservat von insgesamt zehn Hektaren entstanden.

Seine Rückkehr

Den europäischen Biber gibt es bereits seit 15 Millionen Jahren. Tatsächlich war er in ganz Eurasien lange weit verbreitet – Schätzungen gehen von 100 Millionen Tieren aus. Die fast flächendeckende Ausrottung fand in den letzten Jahrhunderten statt. Aus dem wertvollen Pelz wurden Filzhüte; aus dem Bibergeil – einem Sekret, mit dem der Biber sein Revier markiert – ein Wunderheilmittel gegen allerlei Gebrechen. Sein offenbar schmackhaftes Fleisch trug ebenfalls zur exzessiven Bejagung bei. In Europa überlebten nur 1000 bis 2000 Tiere. In der Schweiz wurde der letzte Biber bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts erlegt.

Engagierte Privatpersonen setzten schliesslich zwischen 1956 und 1977 wieder 141 Tiere aus verschiedenen Regionen Europas in der Schweiz aus. Die Wiederansiedlung war damals nicht vom Bund koordiniert, ist aber trotz vieler Verluste unter den ausgesetzten Tieren erfolgreich ausgegangen: Die Bestände erholten sich ganz langsam und sind in den letzten Jahren steil angestiegen. «Eine übliche Entwicklung für ein grosses territoriales Säugetier wie den Biber», so Christof Angst, Leiter der Schweizerischen Biberfachstelle, die im Auftrag des Bafu tätig ist. «Wir gehen davon aus, dass sich das Wachstum über kurz oder lang stabilisiert. Denn viele der geeigneten Gewässerabschnitte sind heute besetzt.»

Dank der erfreulichen Entwicklung der letzten Jahre ist der Biber seit 2022 in der Roten Liste der Säugetiere nicht mehr als gefährdet eingestuft. Sein Schutz ist seit 1962 durch das eidgenössische Jagdgesetz (JSG) gewährleistet. Dem Biber kommt zugute, dass er seinen Lebensraum effizient zu seinem eigenen Nutzen gestalten kann. Aus Sicherheitsgründen sind seine Behausungen stets nur per Tauchgang erreichbar. Ist das Wasser nicht tief genug, richtet er einen Damm ein. So verändert er die Gewässerläufe und schafft neue Feuchtgebiete.

Im Biberrevier Herzogenbuchsee ist die Biberburg zu erkennen.
Im Biberrevier Herzogenbuchsee ist die Biberburg zu erkennen.

Chance für Natur und Mensch

Seit 2020 läuft ein vom Bafu in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt zum Biber. «Untersucht wird neben dem aktuellen Bestand unter anderem der Einfluss des Bibers auf die Biodiversität, auf den Kohlestoff- und den Stickstoffhaushalt in den Gewässern oder auf die Fischwanderung», so Claudine Winter, Projektleiterin und Mitarbeiterin der Sektion Wildtiere und Artenförderung beim Bafu. «Wir wollen verstehen, welche Rolle der Baumeister bei der Stärkung der ökologischen Infrastruktur, sprich dem Lebensnetz der Schweiz, einnehmen kann.» Die Resultate werden für nächsten Frühling erwartet. Ein Biber-Auenmodell soll zudem zeigen, in welchen Gewässern der Bau von Biberdämmen zu erwarten ist und welche Auswirkungen dies auf die umliegende Landschaft und die Natur hat.

Ein Besuch in Marthalen zeigt deutlich, wie sich die Landschaft durch die Präsenz des Gestalters verändert hat. Libellen, Amphibien, Fische und Wasserpflanzen sind an diesen Ort zurückgekehrt. Auch der Eisvogel jagt hier regelmässig. «Wo der Biber baut, konnten wir innert weniger Jahre einen grossen Anstieg bei der Anzahl Arten feststellen», erklärt Christof Angst. Durch das permanente Nagen, Graben, Stauen schafft der Biber eine sich ständig verändernde Landschaft. «Vom Kleinsttümpel zum tiefen Teich, vom Totholzhaufen zur sonnendurchfluteten Waldfläche entstehen Lebensräume, die zahlreichen Lebewesen Nahrung, Fortpflanzungsplätze und Versteckmöglichkeiten bieten», so Angst.

Die Arbeit des Bibers ist umso wertvoller, weil wir in der Schweiz 90 Prozent der Auen verloren haben. Sie sind mitunter die artenreichsten Lebensräume der Schweiz. Der massive Rückgang ist auf die Begradigung der Flüsse und die Trockenlegung von Feuchtgebieten im letzten und vorletzten Jahrhundert zurückzuführen. Der erst kürzlich vom Bafu veröffentlichte Synthesebericht Rote Liste zeigt, dass die Gewässerlebensräume zu den gefährdetsten der Schweiz gehören – und mit ihnen die darin lebenden Pflanzen, Tiere und Pilze.

Auch in Hersiwil ist der Biber heimisch geworden.
Auch in Hersiwil ist der Biber heimisch geworden.

Wer Grosses baut

Es gibt aber auch eine Kehrseite der Medaille. Nicht überall ist es möglich, den Biber unbeirrt arbeiten zu lassen. Gerade seine Ausbreitung in kleinen Bächen hat in den letzten Jahren zu Konflikten geführt. Viele Schäden lassen sich mit einfachen Mitteln vermeiden, zum Beispiel mit Drahtgittern zum Schutz von Bäumen oder durch Abzäunen von landwirtschaftlichen Kulturen. Frassschäden auf Landwirtschaftsflächen werden zudem entgolten. Anspruchsvoller wird es, wenn der Biber Strassen oder Wege untergräbt oder mit Dämmen Ackerland flutet.

«Die Rückkehr des Bibers ist ein Glücksfall für die Natur und für uns Menschen», so Christof Angst. «Gelingt es uns, gute Lösungsansätze für die komplexeren Konflikte zu finden, profitieren wir in vielerlei Hinsicht.» Erste Ergebnisse aus dem aktuellen Forschungsbericht sowie Studien aus dem Ausland zeigen, dass der Biber mit seinen Dämmen sowohl die Gewässerqualität als auch die Wassertemperatur positiv beeinflussen kann. In den rückgestauten Biberteichen sind Mikroorganismen, Plankton und Wasserpflanzen am Werk, die dem Gewässer überschüssige Nährstoffe entziehen und somit das Wasser reinigen.

 

Der Rückstau fördert auch den Austausch zwischen Bach- und Grundwasser. Das kann zu einer Abkühlung des Bachwassers führen und dazu beitragen, die Gewässer widerstandsfähiger gegen die Effekte der Klimaerwärmung zu machen. Claudine Winter ist überzeugt: «Wenn wir das Potenzial des Bibers gezielt nutzen und ihm den nötigen Raum zur Verfügung stellen, wird er ein wichtiger Partner für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität und damit unserer Lebensgrundlage.»

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