«Als Vergeltung zerstörten sie die Farm»

Zu Beginn des russischen Angriffskrieges besetzten russische Truppen das Land des Getreidebauern Serhii Iakovenko. Nach einigen Tagen zogen sie ab und hinterliessen eine zerstörte und verminte Farm.

Als ich die Farm betrat, sah ich als Erstes die Konstruktion eines Gebäudes. Was bauen Sie?

Serhii Iakovenko: Am 26. Februar 2022 eroberten Russen das Dorf, die sich auf dem Weg von Belarus nach Kyiv befanden. Vom 26. Februar bis zum 30. März besetzten sie den Hof. Die Russen kamen in der Überzeugung, sie hätten uns befreit. Aber als sie erfuhren, dass sie hier nicht willkommen waren und als Besatzer galten, begannen sie zu wüten. Als Vergeltung zerstörten sie das Eigentum der Farm. Sie sprengten Lagerhallen mit einer Fläche von 4500 Quadratmetern, in denen vier Tonnen Getreide gelagert waren und die komplett vernichtet wurden. In diesen Lagerhallen waren auch Pflanzenschutzmittel und 400 Tonnen Dünger gelagert. Fast alles verbrannte. Nach dem Brand konnte ich eine kleine Menge Dünger retten, die ich später bei der Aussaat im vergangenen Jahr verwendet habe. Aber bevor die Russen die Lagerhäuser in die Luft jagten, stahlen sie 70 Tonnen Diesel. Da ich das Getreide der neuen Ernte lagern musste, entschied ich mich, ein neues Lager zu bauen, anstatt zu versuchen, die zerstörten zu restaurieren. Vielleicht repariere ich sie später. Ich hoffe, den Bau des neuen Lagers vor Beginn der neuen Ernte abschliessen zu können.

Serhii Iakovenkos Hof wurde besetzt. Bild: Iurii Mykhaylov
Serhii Iakovenkos Hof wurde besetzt. Bild: Iurii Mykhaylov

Ich sah auch Gruppen von Arbeitern, die an der Konstruktion und Restaurierung von Maschinen beteiligt sind. Wie schwer wurde die Ausrüstung durch die Russen beschädigt?

Iakovenko: Die Ausrüstung wurde komplett zerlegt. Die Russen entwendeten Batterien, Scheinwerfer, elektrische Geräte, Anlasser, Elektronik von Sämaschinen. Sie entfernten sogar die Sitze und die Lenkräder von Erntemaschinen und dem Sprühgerät. Vor der russischen Invasion standen auf dem Hof 15 Traktoren, 15 Lastwagen, sieben Erntemaschinen und ein Kverneland-Sprühgerät, das ich nur wenige Tage vor der Invasion bezahlt hatte. Ich restaurierte die Ausrüstung, nutze einige zerlegte Maschinen für Ersatzteile. Ausserdem kaufte ich Ersatzteile überall in der Ukraine, bestellte im Internet, reiste persönlich durch die Ukraine auf der Suche nach den Teilen.

Beschäftigen Sie die gleiche Anzahl von Arbeitern wie vor der russischen Invasion?

Iakovenko: Vor dem Krieg arbeiteten etwa 30 Arbeiter auf dem Hof. Fünf Arbeiter halfen dabei, die russischen Kriegsgeräte ausfindig zu machen und die Informationen an die ukrainischen Streitkräfte weiterzuleiten. Diese starteten dann Artillerieangriffe auf die identifizierten Ziele. Vier der fünf Arbeiter wurden von den Russen gefangen genommen und mitten im Dorf erschossen. Danach wurden an ihren Leichen Stichwunden festgestellt, sie wurden also zuvor gefoltert. Ein weiterer Arbeiter wurde in die Reihen der Streitkräfte der Ukraine eingezogen. Aktuell sind 25 Arbeiter auf dem Hof beschäftigt.

Ihr Hof befindet sich in der Nähe des Dorfes. Wie hat sich die Besetzung auf die Gemeinde ausgewirkt?

Iakovenko: Vor dem Krieg lebten etwa 900 Menschen in unserer Gemeinde, heute sind es etwa 200 Menschen weniger. Die meisten von ihnen haben die Ukraine verlassen und sind bis heute nicht zurückgekehrt. Auch wurden mehrere Familien durch Beschuss und Bombenangriffe getötet. Mehrere Häuser wurden komplett zerstört, viele Häuser beschädigt. Obwohl wir vor dem Krieg eine eigene Kranken- und Hebammenstation hatten, war unsere Gemeinde nach der Ankunft der Russen komplett umzingelt und wir hatten grosse Probleme mit der medizinischen Versorgung, vor allem wegen des Mangels an Medikamenten. Es gab einen Fall, als wir einen Krankenwagen aus einer nahe gelegenen Stadt riefen, aber die Russen ihn nicht passieren liessen. Die Psyche der Menschen erlitt den grössten Schaden, sie erlitten ein gewaltiges Trauma.

Sie sind in der Getreideproduktion tätig. Wie haben sich Ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit dem russischen Angriff verändert?

Iakovenko: Die Böden hier sind lehmig-sandig, daher habe ich vor der russischen Invasion etwas mehr als 2000 Hektar Land bestellt, auf dem ich Roggen, Weizen, Sonnenblumen, Mais und Raps anbaute, etwa 400 Hektar je Kultur. Nach dem Rückzug der Russen stellte sich heraus, dass grosse Flächen vermint waren. Das ukrainische Militär half, 1500 Hektar Land rasch von Minen zu befreien, sodass ich auf nicht verminten Feldern Feldfrüchte anbauen konnte. Aber noch immer sind etwa 500 Hektar vermint. Da es drei- bis viermal weniger Geräte gibt als vor der Invasion, mussten wir rund um die Uhr arbeiten. Wir haben letztes Jahr Ende Mai mit der Aussaat abgeschlossen – drei Wochen später als üblich. Glücklicherweise waren vor der Invasion noch nicht alle gekauften Betriebsmittel geliefert worden, darunter Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Wir erhielten diese nach der Befreiung. In diesem Jahr haben mir die Lieferanten, kostenlos Saatgut zur Verfügung gestellt, um je 100 Hektar Sonnenblumen und Mais anzubauen.

Die Truppen hinterliessen ein Bild der Zerstörung. Bild: Serhii Iakovenko.
Die Truppen hinterliessen ein Bild der Zerstörung. Bild: Serhii Iakovenko.

Was haben Sie mit dem Getreide nach der Ernte gemacht, nachdem Ihre Lagerhäuser zerstört worden waren?

Iakovenko: Da die Kornspeicher zerstört waren, war ich gezwungen, den grössten Teil nach der Ernte zu verkaufen. Glücklicherweise habe ich meine eigenen Getreidelaster, die schnell repariert wurden. Dadurch war es möglich, das Getreide im Hafen von Odessa unter Umgehung von Zwischenhändlern direkt an Exporteure zu verkaufen.

Wie werden Sie mit der diesjährigen Ernte umgehen?

Iakovenko: Im Moment weiss ich nicht, wie und wo ich die Ernte verkaufen soll, da die Häfen von Odessa nicht in Betrieb sind. Wenn das Getreideabkommen, das am 18. Juli ausläuft, nicht verlängert wird, wird es grosse Schwierigkeiten beim Verkauf der Ernte geben, da es zu einem Zustrom von Getreideverkäufern in die Häfen an der Donau kommen wird (Anm. der Redaktion: Das Interview fand vor dem Entschluss Russlands, das Abkommen nicht zu verlängern und den Drohnenangriffen auf Donauhäfen statt). Autoschlangen an den Donauhäfen können sich über Dutzende oder gar Hunderte von Kilometern erstrecken. Obwohl die ukrainischen Donauhäfen ausgebaut werden, beträgt ihre Kapazität noch immer nur 20 Prozent der Kapazität der Häfen von Odessa. Die Situation wird der Situation im vergangenen Frühjahr vor dem Beginn des Getreidekorridors ähneln.

Was sind Ihre Pläne für die nächste Zeit?

Iakovenko: Ich habe die Absicht, den Hof schrittweise wieder herzustellen. In der Ukraine ist es derzeit schwierig, einen Bankkredit zu bekommen. Deshalb muss ich den Hof auf eigene Kosten restaurieren. Vielleicht gibt es staatliche oder ausländische Hilfe. Ohne diese Hilfe kann die Erholung des Hofes Jahre dauern.

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