Projekt wird überarbeitet

Auf einer Strecke von 4,5 Kilometern soll die Thur in Wattwil saniert und der Hochwasserschutz sichergestellt werden. Es wird mit Kosten von mehr als 110 Millionen Franken gerechnet. Das Projekt ist umstritten.

Sechs Hektaren bestes Kulturland sollen für die Thursanierung geopfert werden.
Sechs Hektaren bestes Kulturland sollen für die Thursanierung geopfert werden.

Zwischen 1907 und 1914 wurde die Thur im Gebiet Wattwil korrigiert und der Hochwasserschutz nachhaltig sichergestellt. Die über 100 Jahre alten Verbauungen sind zwischenzeitlich ins Alter gekommen und sanierungsbedürftig. Die Thur ist bei Starkniederschlägen im oberen Toggenburg eine ernst zu nehmende Gefahrenquelle für den Siedlungsraum. Bei Starkniederschlägen kann der Wasserspiegel innert weniger Stunden stark ansteigen. Die letzten grossen Hochwasser mit Überflutungen ereigneten sich 1965, 1977 und 1978. In den letzten Jahrzehnten ist das Siedlungsgebiet zudem näher an die Thur herangewachsen. Für die Gemeinde Wattwil ist es wichtig, dass die Hochwassersicherheit auch künftig gewährleistet ist.

Jahrelange Planungsphase

Bei einem 100-jährigen Hochwasser, also einem Ereignis, wie es statistisch in 100 Jahren einmal auftritt, könnten die Schäden laut Philipp Gyr, Projektverantwortlicher des Kantons, 50 Millionen Franken übersteigen. Das Schadenspotenzial nehme mit der Siedlungsentwicklung laufend zu. Ein 100-jähriges Hochwasser sei gleichbedeutend mit einer Abflussmenge von 370 bis 430 Kubikmetern Wasser pro Sekunde.

Die Thur ist im Abschnitt zwischen Ebnat-Kappel und Bischofszell ein kantonales Gewässer. Entsprechend ist der Kanton Bauherr bei der Sanierung. Seit 1980 wird geplant und in den vergangenen zwei Jahrzehnten war der Hochwasserschutz an der Thur immer wieder Thema. 2016 hat der Kanton das Projekt neu gestartet und laufend weiterentwickelt. An verschiedenen Informationsanlässen wurde die Bevölkerung in den letzten Jahren informiert und konnte sich proaktiv einbringen.

Projekt in maximaler Ausführung

Im Rahmen der Thursanierung soll das Gerinne der Thur ausserhalb der Siedlung von 20 auf 45 Meter Breite erweitert werden. Im Zentrum Wattwils sind 30 Meter das Ziel. Mit Rücksicht auf das Grundwasser dürfe die Flusssohle nicht weiter erodieren. Daher sei diese zu verbreitern, so die Projektverantwortlichen. Die heutigen Thurufer seien zu monoton und strukturarm. Sie würden einen unzureichenden Lebensraum für Tiere und Pflanzen bilden. Die Thur soll als Erholungsraum für die Bevölkerung einen Mehrwert bringen. Der Zugang zum Wasser wird dank abschnittsweise abgeflachtem Flussufer oder flachen Rampen, Sitzstufen und Treppen vereinfacht. Die Wege entlang der beiden Flussufer werden an die unterschiedlichen Nutzungsbedürfnisse angepasst. Am rechten Ufer wird ein asphaltierter Velo- und Gehweg mit einer Breite von 3,50 Metern und am linken Ufer ein teils bekiester Wanderweg mit einer Breite von 2,50 Metern entstehen. Die Revitalisierung der Gewässer ist bei Wasserbauprojekten gesetzlich vorgegeben. Die Thur soll aus diesem Grund ausserhalb der Siedlung massiv ausgeweitet und revitalisiert werden. Die Schaffung von artgerechten Lebensgrundlagen für Fische wie auch Moose, Flechten, Fledermäuse, Vögel und Käfer steht dabei im Vordergrund.

Die projektierte Ausweitung der Thur.
Die projektierte Ausweitung der Thur.

Kritische Stimmen

Das Projekt bewegt die Bevölkerung in der Region. Bereits 2017 wurde eine Petition von 680 unterzeichnenden Personen eingereicht. Diese forderte eine Beschränkung der Sanierung auf den reinen Hochwasserschutz, ein absolutes Minimum an Landverbrauch und die Einsicht, dass die Wege entlang der Thur nicht verbreitert werden sollen. Zudem verlangten die Petitionäre, die Gesamtkosten im Projekt tief zu halten. Ebenfalls seit 2017 ist die Interessengemeinschaft Vernünftiger Hochwasserschutz Thur (IGVH) aktiv. Sie vertritt die betroffenen Anstösser und die kritischen Stimmen in der Gemeinde. Das überdimensionierte Projekt ist nach Meinung der IGVH von den Kosten her unverhältnismässig, es werde mehr als sechs Hektaren bestes Kulturland vernichtet und die unter Schutz stehende beidseitige Thurallee mit einem Bestand von rund 500 Bäumen werde vernichtet.

Als besonders störend für die IGVH ist der Interessenkonflikt bei der Ökologie. So fordere der Kanton vermehrt die Beschattung der Gewässer, um die Temperaturen in den Fliessgewässern zu senken und die Lebensbedingungen der Fische zu verbessern. Mit der geplanten Rodung der Thurallee bewirke der Kanton aber das Gegenteil. Der Nutzen der 100 Jahre alten Allee als Schattenspender wird aufgegeben. Ebenso die grosse ökologische Leistung der Bäume entlang der Thur.

Meinung kundtun

Die Bevölkerung konnte vom 12. Mai bis 30. Juni anlässlich des offiziellen Mitwirkungsverfahrens ihre Meinung kundtun. Über 180 Eingaben von Personen und Organisationen erfolgten, mehrheitlich kritisch. Am meisten bemängelt wurden die Beseitigung und Neuanpflanzung der Baumallee, der Bedarf an Kulturland, mögliche Klimafolgen, die Gesamtkosten und der Projektumfang. Die Massnahmen für den Hochwasserschutz als solchen werden von keiner Seite infrage gestellt.

Informationen im 2024

Die zuständigen Stellen des kantonalen Baudepartementes werden nun die Kritikpunkte und Wünsche in das Projekt einarbeiten. Über die Ergebnisse der Prüfaufträge werde die Bevölkerung 2024 wieder informiert. Anschliessend erhalten die Gemeinde sowie die Fachstellen von Kanton und Bund das überarbeitete Projekt zu einer weiteren Vernehmlassung. Danach werde das Vorhaben an den Kantonsrat überwiesen. Die öffentliche Auflage des Gesamtprojekts sei frühestens im Jahr 2026 zu erwarten, so die Stellungnahme des Baudepartementes. Für die IGVH geht dies zu wenig weit. Wendelin Brand, Sprecher der IGVH, fordert: «Eine Gesamtüberarbeitung des Projektes ist notwendig. Der Hochwasserschutz der Thur muss innerhalb der bestehenden Baumallee gewährleistet werden.»

Auch die kantonale Politik ist zwischenzeitlich aktiv geworden. In einem politischen Vorstoss haben die beiden Toggenburger Kantonsräte Adrian Gmür und Hansruedi Thoma das Projekt und die ausufernden Kosten hinterfragt und eine Überarbeitung des Projekts gefordert.

Wie in anderen Hochwasserschutzprojekten gehen auch bei der Thursanierung in Wattwil die Meinungen weit auseinander. In einem Punkt herrscht Konsens: Der Hochwasserschutz muss langfristig sichergestellt werden. Bevor die Bagger an der Thur auffahren werden, ziehen aber wohl noch einige Jahre ins Land.

Die Thurallee soll zugunsten des Hochwasserschutzes weichen.
Die Thurallee soll zugunsten des Hochwasserschutzes weichen.

Das könnte Sie auch interessieren

stgallerbauer.ch Newsletter
Seien Sie die Ersten, um neueste Updates und exklusive Inhalte direkt in Ihren E-Mail-Posteingang zu erhalten.
Anmelden
Sie können sich jederzeit abmelden!
close-link