«Der Klimawandel hat viele Gesichter»

Auch wenn es im laufenden Jahr weniger Schäden in der Schweizer Landwirtschaft gibt, fordern die zunehmenden Wetterextreme die Agrarversicherer heraus. Die Risikostreuung wird immer wichtiger. Mit klimaresilienten Produktionssystemen sollen die Worst-Case-Szenarien verhindert werden.

 

 

Trockenheit, Starkregen mit Überschwemmungen oder Frostschäden beschäftigen die Schweizer Landwirtschaft immer stärker und haben teils verheerende Auswirkungen auf die Ernte. Das sorgt nicht nur für die Landwirtinnen und Landwirte für Herausforderungen, sondern auch für die Agrarversicherungen, welche die Schäden begleichen.

«Der Klimawandel hat viele Gesichter. Es ist nicht einfach ein Trend, der auf die Landwirtschaft zukommt», sagt Bettina Koster, Leiterin Nachhaltigkeit bei der Schweizerischen Hagel-Versicherungs-Gesellschaft (Schweizer Hagel). Es sei wichtig, dass sich die Landwirtschaft global den sich verändernden Bedingungen anpasse. Aber nicht überall auf der Welt ist die Anpassungskapazität gleich hoch. Gerade in Regionen des globalen Südens, die bereits jetzt mit grösseren Problemen zu kämpfen haben, gibt es weniger Anpassungsmöglichkeiten als in den nördlicheren Gefilden wie Europa.

Zunahme an Trockenheit

Gemäss Koster werden die Trockenperioden im Süden Europas ohne Klimaschutzmassnahmen bis 2060 um bis zu acht Tage länger dauern. «Für die Schweiz stellt sich die Frage, wie weit sich dieser Trockenheitsgürtel zu uns verschiebt», so Bettina Koster. Aber mit einer Zunahme der Trockenperioden sei zu rechnen. Ebenfalls zunehmen werden laut Koster die Starkniederschläge. Hinzu kommt Hitzestress bei Pflanzen. «Es ist also vielschichtig, was auf die Landwirtschaft und die Agrarversicherer zukommt», sagt Koster.

Die Landwirtschaft ist global herausgefordert. Bild: zVg.
Die Landwirtschaft ist global herausgefordert. Bild: zVg.

Risikostreuung wird wichtiger

Für die Versicherer bedeute dies, dass die Risikostreuung immer wichtiger werde. Einerseits mittels geografischer Diversifizierung – Schweizer Hagel ist in der Schweiz, Italien und Frankreich tätig –, andererseits durch eine Diversifizierung der Versicherungsprodukte.

Adrian Aebi, Direktor der Schweizer Hagel, verwies an der Medienkonferenz in einer Dübendorfer Gärtnerei auf ein aktuelles Beispiel zur Bedeutung der geografischen Diversifizierung: Während 2022 in Italien nur wenige Schäden an Agrarkulturen vorkamen, waren die Westschweiz und Frankreich stark betroffen. «2023 haben wir eine komplett umgekehrte Situation. In Frankreich und der Schweiz gibt es wenige Schäden, aber in Italien mit Überschwemmungen in der Emilia-Romagna sowie massiven Hagelzügen immense», so Aebi.

Neue Versicherungsmodelle

Neben der Diversifizierung hat die Schweizer Hagel ein Team im Bereich Forschung und Entwicklung aufgebaut, um die Risikobewertung zu optimieren. Ebenfalls optimieren will die Genossenschaft die Schadenabschätzung. Denn eine Zunahme der Schäden bedeutet gleichzeitig einen höheren Aufwand bei der Abschätzung. Hier können zum Beispiel indexbasierte Versicherungsmodelle zum Zug kommen, damit nicht jeder Schaden vor Ort inspiziert werden muss, oder Hilfsmittel, um die Arbeit für die Schadenexperten zu erleichtern.

«Es ist nicht einfach ein Trend, der auf die Landwirtschaft zukommt.»

Höhere Klimaresilienz

Als letzten Punkt nennt Bettina Koster die Stärkung der Klimaresilienz der Produktionssysteme durch eine nachhaltige Bewirtschaftung. Hier könnten künftig Anreize wie Prämienvergünstigungen im Falle der Umsetzung gewisser Massnahmen – etwa dem Anbau von trockenheitstoleranten Sorten – helfen. Ausserdem sollen die Landwirtinnen und Landwirte für die Thematik sensibilisiert werden.

Koster weist zudem daraufhin, dass Versicherungen grundsätzlich dafür vorgesehen seien, das Risiko von zufälligen Einzelereignissen abzudecken. «Wiederholen sich Klimarisiken in regelmässigen Abständen, handelt es sich nicht mehr um ein Zufallsereignis, sondern um eine neue Normalität», sagt sie.

Hagelschäden machen weiterhin den grössten Anteil der Schäden aus. Schweizer Hagel geht aber von einem stabilen Hagelrisiko aus. Bild: ji.
Hagelschäden machen weiterhin den grössten Anteil der Schäden aus. Schweizer Hagel geht aber von einem stabilen Hagelrisiko aus. Bild: ji.

Zusammenarbeit mit anderen

Die schlimmsten Szenarien für die Schweizer Landwirtschaft zu verhindern sei das Ziel der Schweizer Hagel, betont Adrian Aebi. Um dieses Ziel zu erreichen, sei die Zusammenarbeit innerhalb der Landwirtschaft wichtig. «Wir können als Schweizer Hagel nicht einfach alleine etwas machen. Aber wir stossen mit unseren Ideen auf viel Wohlwollen in der Landwirtschaft.»

Deutlich weniger Schäden

2023 ist für das Inlandgeschäft der Schweizer Hagel ein gutes Jahr. Die Genossenschaft hat rund 5500 Schadenmeldungen erhalten. Das ist ein deutlicher Rückgang zum Vorjahr, als 9950 Meldungen eingingen. Die erwartete Schadensumme liegt bei 22 Millionen Franken. Das Verlustjahr 2022 könne daher kompensiert werden, sagt Adrian Aebi. Am stärksten von Schäden betroffen waren Ackerkulturen, Gemüse, Wein, Obst und Beeren.

Aebi betont, dass es trotz grundsätzlich positivem Verlauf zu grösseren Schadenereignissen gekommen sei, dies vor allem durch Hagelunwetter im Juli und August. «Auffallend ist zudem die hohe Anzahl der Sturmschäden, von denen die Schweiz im Gegensatz zu Frankreich oder Italien normalerweise weitgehend verschont bleibt», so Aebi.

Grösster Schadenblock bleibt mit 70 Prozent der Schadensumme weiterhin der Hagel. Die Trockenheitsschäden liegen bei rund 19 Prozent, die Sturmschäden bei neun Prozent

Das könnte Sie auch interessieren

stgallerbauer.ch Newsletter
Seien Sie die Ersten, um neueste Updates und exklusive Inhalte direkt in Ihren E-Mail-Posteingang zu erhalten.
Anmelden
Sie können sich jederzeit abmelden!
close-link