Vom Biertreber zur Pizza Pancetta

Beim Bierbrauen fallen Nebenprodukte an, die wertvolle Inhaltsstoffe besitzen. Zu schade, diese ungenutzt zu lassen, dachte sich die Brauerei Locher und gründete vor drei Jahren ein Jungunternehmen. Unter dem Namen «Brewbee» werden Pizzen und andere Produkte mit Biertreber produziert.

 

Auf diesen mobilen Holzregalen werden die Pizzas im Kühlraum gelagert.
Auf diesen mobilen Holzregalen werden die Pizzas im Kühlraum gelagert.

Die Mitarbeitenden der Pizzaproduktion schwirren wie fleissige Bienen zwischen Teigmaschine, Kühlraum und Backofen hin und her. Sie arbeiten Hand in Hand und kennen die einzelnen Produktionsprozesse in- und auswendig, so dass die Arbeitsschritte auch untereinander abgetauscht oder übernommen werden können. Die Produktionshalle, die einer grossen Pizzabäckerei gleicht, liegt etwas ausserhalb von Appenzell. Die wichtigste Zutat, welche die typische «Brewbee-Pizza» ausmacht, kommt aber mitten aus dem Dorf, aus der Brauerei Locher in Appenzell: Beim Bierbrauen fallen Nebenprodukte, wie unter anderem der Treber, an. Dieses braune, matschige Nebenprodukt enthält nebst Ballaststoffen und pflanzlichem Eiweiss auch Vitamine. Statt diesen wegzuwerfen, war es Brauerei-Inhaber Karl Locher ein Anliegen, den Biertreber sinnvoll zu nutzen. Seiner Meinung nach kann es nicht sein, dass die guten Nähr- und Ballaststoffe der Entsorgung zugeführt werden.

Gegen Food Waste

Seit dem Durchbruch der «Brewbee-Pizzas» im Herbst 2021 ist im Arbeitsablauf von Max Bürki, dem ersten Braumeister bei der Brauerei Locher, eine weitere Aufgabe hinzugekommen. «Die Pizzacrew gibt mir jeweils einmal pro Woche Bescheid, wie viel Treber sie benötigen. Diesen entnehme ich nach dem Bierbrauprozess dem Maischekessel, fülle ihn in weisse Container ab und liefere die gewünschte Menge bei der Produktion ab», sagt der Braumeister. Des Weiteren werden auch externe Standorte mit dem Locher-Treber beliefert, die im Auftrag von «Brewbee» «Tschipps» und Müesli herstellen. «Es ist ganz klar, dass wir nicht allen Treber verwerten können, da bis zu 100 Tonnen davon anfallen. Der grössere Teil respektive der Rest wird als Viehfutter verkauft oder kommt in die Biogasanlage», erklären Max Bürki und Thomas Moesch, der die Container von Max Bürki entgegennimmt und nun Chef über das weitere Vorgehen ist. «Im Hintergrund tüfteln wir an den nächsten Möglichkeiten, wie wir beispielsweise den Treber in noch grösseren Mengen wiederverwerten und in den Lebensmittelkreislauf einbauen können», erläutert Thomas Moesch, Ressortleiter Produktion der Brauerei Locher. Mit Tüfteln ist auch die Idee von «Brewbee» entstanden. Vor rund sechs Jahren hat ein Team aus drei Personen begonnen, die Nebenprodukte aus der Brauerei, wie Treber, Hefe, Nebenwürze und Vorbier, in die Lebensmittelherstellung einzubauen. Daraus entstanden ist ein Food Upcycling Start-up der Brauerei Locher, also ein neues Jungunternehmen, das sich auf die Reduzierung von Food Waste im Brauprozess konzentrieren will. Die Pizzas und «Tschipps», wie die Kartoffelchips bei «Brewbee» genannt werden, gehörten zu den ersten Produkten: «Dieses Jahr konnten wir die Anzahl hergestellter Pizzas erhöhen sowie professionalisieren. Seit März beliefern wir nun einige grosse Detailhändler.» Daher hiess es auch für die insgesamt elf Mitarbeitenden des Upcycling-Unternehmens, die Abläufe neu zu organisieren.

Braumeister Max Bürki entnimmt den Treber aus dem Maischekessel.
Braumeister Max Bürki entnimmt den Treber aus dem Maischekessel.

Vielfältiges Pizzasortiment

Mittlerweile gilt für die Pizzacrew ein durchdachter Wochenablauf. Dieser startet bereits am Freitag, wenn der Vorteig in den grossen Industrierührgeräten hergestellt wird. Anschliessend ruht dieser bis Montag. Anfang Woche wird der Treber und das Bier, stets «Quöllfrisch», dem Teig beigegeben. «Keine Angst, unsere Kundinnen und Kunden müssen nicht befürchten, dass er oder sie nach dem Pizzaschmaus betrunken ist. Der Alkohol verflüchtigt sich und alle unsere Esswaren sind zu 100 Prozent alkoholfrei», klärt Thomas Moesch schmunzelnd auf. Gleichentags werden aus dem Teig 800 bis 1000 Teigkugeln portioniert, die eine Mitarbeiterin mit viel Fingerspitzengefühl zu runden Teigböden formt. Diese Böden werden an der nächsten Station mit selbstgemachter Tomatensauce bestrichen und in den Ofen geschoben. «Am Montagabend müssen alle Pizzas fertig vorgebacken sein. Da ist effizientes Teamwork gefragt», meint der Ressortleiter. Denn von Dienstag bis Donnerstag belegen die Mitarbeitenden die Pizzas – neun unterschiedliche Sorten sind im Onlineshop erhältlich. Ziel ist es, dass möglichst viele Zutaten, die auf die Pizza kommen, aus der Region stammen. Der Käsemischung wird nebst Mozzarella ein Teil Appenzeller Käse beigemischt und das Fleisch liefert eine Appenzeller Metzgerei. «Die Pizza Pancetta mit Speck und Lauchringen ist besonders beliebt, aber auch exotischere Varianten wie die ‚Explorer Pizza Turkish Style‘ mit Kebabfleisch finden Abnehmer», meint Thomas Moesch zu den Favoriten. Er selbst mag die «Pizza nature», die er dann gemeinsam mit seinen Kindern nach deren Gusto belegt.

Auf die Pizza Pancetta gehören Speck und Lauchringe.
Auf die Pizza Pancetta gehören Speck und Lauchringe.

«Braubienchen» schwirren aus

Bevor die Auslieferung erfolgt, werden ebenfalls am Donnerstag alle Pizzas via Verpackungsfliessband mit Folie verpackt, etikettiert und kartoniert. Die Etiketten werden einzeln von einer Mitarbeiterin auf die verpackte Fertigpizza geklebt. Wer genau hinschaut, erkennt einen Menschen mit Flügeln und einer Weizenpflanze – das Logo von «Brewbee». «Der Mensch mit Flügeln soll eine Kombination aus Mensch und Biene, bee ist das englische Wort dafür, darstellen. Fleissig wie die Bienen arbeiten und experimentieren wir mit unseren Produkten, bei denen ein ressourcenschonender Umgang im Zentrum steht. Die Weizenpflanze stellt das Wort brew, also brauen, dar», klärt Thomas Moesch auf. «Salopp übersetzt sind wir die fleissigen Braubienchen.» In der Produktionshalle ist es nun ruhiger geworden. Die Donnerstagsaufgaben sind abgeschlossen und die noch anwesenden Angestellten reinigen die Anlagen. Am Freitag schwirren die Mitarbeitenden wieder aus und stellen zwischen Rührwerk und Pizzaofen den Vorteig her.

Rund 1000 Teigkugeln werden jeweils am Montag zum typisch runden Pizzaboden geformt.
Rund 1000 Teigkugeln werden jeweils am Montag zum typisch runden Pizzaboden geformt.

Spannende Einblicke

In der Serie «Blick in die Fabrik» besucht der «St. Galler Bauer» in loser Folge Unternehmen, die mit landwirtschaftlichen Produkten zu tun haben, und zeigt, was hinter der Fassade mit diesen Produkten geschieht. red.

 

Sowohl das Verpackungsfliessband als auch die anderen Gerätschaften kann jeder Mitarbeitende der Produktion bedienen.
Sowohl das Verpackungsfliessband als auch die anderen Gerätschaften kann jeder Mitarbeitende der Produktion bedienen.

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