Internationale Agrarjournalisten schnuppern Ostschweizer Stallluft

Die Schweiz war Gastgeberin des internationalen Kongresses der Agrarjournalisten (IFAJ). Mehr als 200 Personen folgten der Einladung nach Interlaken. Einer der Höhepunkte waren regionale Touren. Die Tour Ost bot eine bunte Mischung aus regenerativer Landwirtschaft, Braunvieh, Birchermüesli und Biervorlauf.

Um den Tag auszukosten und einen vielfältigen Einblick in landwirtschaftliche Betriebe der Ostschweiz zu erhalten, hiess es für über 40 Agrarjournalistinnen und -journalisten aus Ghana, Finnland, Island, Japan, USA, Österreich, Kanada und weiteren Ländern früh aufstehen. «Punkt viertel vor sechs ist der Car in Interlaken gestartet, um uns zum ersten Familienbetrieb nach Rapperswil-Jona zu fahren», sagte Melanie Graf, Redaktionsleiterin «St. Galler Bauer» und Organisatorin der Tour Ost. «Die Höfe habe ich aufgrund der Route, aber auch unter dem Motto ‚Tradition trifft Innovation‘ ausgewählt. Mir war es auch wichtig, authentische Familienbetriebe zu zeigen.»

David Prevost, Hofleiter des Bächlihofs in Jona, erzählt den internationalen Agrarjournalisten, wie der Eventbauernhof «funktioniert» Bild: .Raphael Hünerfauth, www.huenerfauth.ch
David Prevost, Hofleiter des Bächlihofs in Jona, erzählt den internationalen Agrarjournalisten, wie der Eventbauernhof «funktioniert». Bild: Raphael Hünerfauth, www.huenerfauth.ch

Erlebnis auf dem Bauernhof

Kaum hat der Reisebus beim Bächlihof in Jona angehalten, wäre so mancher Teilnehmende gerne in den nicht weit entfernten Zürichsee gesprungen. Über schlechtes Wetter konnte sich an diesem heissen Tag niemand beklagen. Dass sich der Eventhof mit erfrischenden Getränken auskennt, war bei den Ausführungen von Hofleiter David Prevost schnell klar: «Unser Hofrestaurant mit Laden ist weit über die Region hinaus bekannt; wir bieten eine Menge eigener Kreationen wie Rhabarberlimonade oder Kirschenhoftee an.» Viele Rohprodukte wachsen denn auch auf den vier Eventfarmen, die zur Jucker Farm AG gehören. Zum Bächlihof Jona gehören 6000 Obstbäume, Heidelbeeren kann man selbst pflücken. «Vor allem im Herbst ist das Besucheraufkommen gross, wenn die beliebte Kürbisausstellung stattfindet», führte David Prevost aus, der seit 18 Jahren das ganze Erlebnisangebot leitet. Die Landwirtschaft soll jedoch nicht aus dem Fokus verschwinden. Dies ist dem Besitzer Stefan Bächli, gelerntem Obstbauer und für die Jucker Farm AG als landwirtschaftlicher Fachberater zuständig, enorm wichtig. Das zeigten die abschlies-senden Ausführungen des Hofleiters: «Die Pflanzen werden mit Komposttee behandelt und in den Anlagen scharren Hühner und Kunekune-Schweine herum, die dem Ungeziefer den Gar-aus machen.» Diese und neue Aspekte sollen den Betrieb auch zukünftig weiter in Richtung regenerative Landwirtschaft führen. Das dichte Programm drängte – Reiseleiterin Melanie Graf gab das Kommando zur Weiterfahrt nach St. Gallenkappel zu Familie Andrea und Urs Tschümperlin. Ihre Attraktion ist im Agrotourismus anzusiedeln.

Die interessierten Agrarjournalisten stellen Landwirt Urs Tschümperlin (Edelweisshemd) aus St. Gallenkappel viele Fragen. Bild: Raphael Hünerfauth, www.huenerfauth.ch
Die interessierten Agrarjournalisten stellen Landwirt Urs Tschümperlin (Edelweisshemd) aus St. Gallenkappel viele Fragen. Bild: Raphael Hünerfauth, www.huenerfauth.ch

Der Braunviehkanton

«Schlafen im Stroh ist für uns ein langfristiger Nebenerwerb. Auch, weil unser Bauernhof an einer Route des Jakobswegs nach Santiago de Compostela liegt. So beherbergen wir jährlich rund 150 Gäste aus aller Welt», erzählte Urs Tschümperlin der Besucherschar. Nebst Innovationen liegt der Familie auch die Tradition am Herzen. Zieht der Herbst ins Land, hängt Urs Tschümperlin etwa 15 Kühen eine Glocke um, wenn er die Tiere auf die Weide lässt. Der Klang der Glocken berührt das Herz und erfüllt den Züchter mit Stolz. Leidenschaftlich züchtet er die Rasse Brown Swiss. Sie überzeugen ihn durch problemlose Haltung, Robustheit und dem Gehalt der Milch. Dass er nicht der einzige begeisterte Braunviehhalter ist, zeigen die Daten von Simon Schlebusch, Fachbereichsleiter Data und Entwicklung von Braunvieh Schweiz. Er war ebenfalls für ein Kurzreferat auf dem Hof von Tschümperlins anwesend: «Der Kanton St. Gallen ist mit Abstand der grösste Braunviehkanton der Schweiz.» Das weiss auch Redaktionsleiterin Melanie Graf, weshalb sie bei der Tourplanung den Fokus zusätzlich auf das Braunvieh legte.

Köbi Hagmann vom Adelbach-Hof in Necker (rechts) erklärt, wie er seine Produkte vom Hof selbst vermarktet. Bild: Raphael Hünerfauth, www.huenerfauth.ch
Köbi Hagmann vom Adelbach-Hof in Necker (rechts) erklärt, wie er seine Produkte vom Hof selbst vermarktet. Bild: Raphael Hünerfauth, www.huenerfauth.ch

Auf dem nächsten Familienbetrieb, demjenigen von Leandra und Köbi Hagmann in Necker im Neckertal, grasen auch Kühe der Rasse Brown Swiss. Die Milch ihrer Tiere wird in der eigenen Hofmolkerei verarbeitet. «Wir produzieren laktosefreie Joghurts, Joghurtquark, Birchermüesli und verkaufen Milch in Plastikflaschen. Der Rest wird extern in einer Käserei verarbeitet», zählte Köbi Hagmann das Angebot auf, das die Familie sowohl ab Hof als auch auf per Onlineshop verkauft. Da sie grossen Wert auf die Gesundheit des Viehs legt, gibt es kein Kraftfutter, sondern das Vieh frisst, was auf der Wiese wächst. Das gilt auch für ihre Edelschweine, die mit einem besonderen Clou aufwarten: der Kamerasau. Über eine Webseite können die Konsumenten die Schweine 24 Stunden lang beobachten, wie sie sowohl auf dem Feld als auch im Stall ihrem schweinischen Leben nachgehen. Hayato Ishii, Agrarjournalist aus Japan, findet das beeindruckend: «Toll, wie man dadurch einen realen Einblick ins Leben eines Schweines erhält.» Für Michaela Sandmayr, Agrarkommunikationstrainerin aus Österreich, ist dies ein gelungenes Beispiel.

 

Einmal Bier für alle

Den Abschluss der Tour Ost bildete der Kabierhof von Magdalena und Sepp Dähler im appenzellischen Stein. Kabier ist ein von Sepp Dähler entwickeltes Konzept – der Name ein Wortspiel aus Kalb und Bier. Seine rund 30 Kälber und Rinder erhalten zweimal täglich mit der Handbürste eine Massage. Morgens mit Biervorlauf und abends mit Rapsöl. Bei der Vorführung zückten die Journalisten ihre Smartphones und filmten drauflos. «Eine Massage mit Bier bei Kühen. Das sehe ich zum ersten Mal», sagte Emma Davies vom grössten Medienunternehmen in Ghana. Da Sepp Dähler seit bald 30 Jahren für die Brauerei Locher in Appenzell Weizen anbaut, kam ihm mit Inhaber Karl Locher wenige Jahre später die Idee, auch das Nebenprodukt des Brauens zu verwenden wie Biervorlauf oder -treber. Mittlerweile ist die Kabieridee weit über die Region hinaus bekannt und das Fleisch kommt bei Privathaushalten und auch in den Gourmetküchen sehr gut an. Für die Gäste gab es das Fleisch, grilliert von Sepp Dähler und seiner Jungmannschaft, bei einem Nachtessen zu kosten, dazu ein, zwei Biere der Brauerei Locher. Während der Mensch den Alkohol spürt, bekommt das Vieh nie einen Schwips. «Rinder sind Wiederkäuer und bauen den Alkohol in den Pansen ab», erklärte der Landwirt, der alles tierärztlich abklären liess. Zum Schluss erhielt jeder Tour-Teilnehmende eine gut gefüllte Geschenkstasche, in der die aktuelle Ausgabe des «St. Galler Bauer» nicht fehlen durfte.

Sepp Dähler vom Kabierhof in Stein erläutert vor den Journalisten die Haltung seiner Kabierrinder. Bild: Raphael Hünerfauth, www.huenerfauth.ch
Sepp Dähler vom Kabierhof in Stein erläutert vor den Journalisten die Haltung seiner Kabierrinder. Bild: Raphael Hünerfauth, www.huenerfauth.ch

 

Internationaler Agrarjournalistenkongress

Unter dem Motto «High Elevations, High Expectations» lud der Schweizer Verband der Agrarjournalisten (SAJ) die Kollegen aus aller Welt zum internationalen Kongress ein, der vom 14. bis 18. August in Interlaken stattfand. Mehr als 260 Teilnehmer aus 37 Ländern nahmen daran teil. Das Motto bezog sich auf die topografischen Bedingungen für die Schweizer Landwirtschaft, wie auch die hohen Erwartungen, welche die Gesellschaft an die Landwirtschaft, in Bezug auf Klima, Biodiversität, Tierschutz und Rückverfolgbarkeit stellt. Im Rahmen des Kongresses wurden Touren in die Ostschweiz, ins Seeland, Emmental/Simmental, Zentralschweiz und ins Wallis organisiert. Ein Besuch aufs Jungfraujoch war ein weiterer Höhepunkt. Der Kongress findet jährlich statt, allerdings nur alle 20 bis 25 Jahre in der Schweiz. Im nächsten Jahr ist Kenia Gastgeber. meg.

 

Bild: mas.
Bild: mas.

Emma Davies: «In meiner Heimat Ghana kannst du von heute auf morgen Bauer werden; dafür suchst du dir ein Stück Land aus und los gehts. Daher hat es mich sehr überrascht, dass es in der Schweiz eine Ausbildung für diesen Beruf gibt und es nicht möglich ist, sich kostenlos irgendwo mit seinen Tieren und Maschinen niederzulassen und einen Bauernhof aufzubauen.» mas.

 

Bild: mas.
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Hayato Ishii: «Ich fand es total beeindruckend, dass hier die landwirtschaftlichen Betriebe frei zugänglich sind und es die Möglichkeit gibt, einen Einblick zu bekommen. In Japan ist die Landwirtschaft eine riesige Industrie, zu der man keinen Zutritt hat. Japanische Kinder können beispielsweise nicht live vor Ort sehen, wie eine Kuh gemolken wird und dass von ihr die Milch stammt.» mas.

 

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Michaela Sandmayr: «Es war sehr schön zu sehen und zu hören, wie offen und begeistert die Bäuerinnen / Bauern über ihre Betriebe gesprochen haben. Diese Leidenschaft für ihre berufliche Tätigkeit fand ich bemerkenswert. Davon werde ich meiner Kundschaft berichten, wenn ich in meinem Job als Agrarkommunikationstrainierin auf den Höfen in Österreich unterwegs bin.» mas.

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