Der Wanderhirte zieht mit Schafen durchs Land

Schafhirt Pieter Kerckaert zieht noch bis Mitte März durch die Gegend. Begleitet wird er von seiner Frau Lien und Tochter Roa. Der Belgier hat die Zelte in seiner Heimat abgebrochen und möchte weiterhin in der Schweiz arbeiten, zwischendurch aber seine Angehörigen in Belgien besuchen.

Der Wanderschäfer Pieter Kerckaert wird von seiner Frau Lien und Töchterchen Roa begleitet.
Der Wanderschäfer Pieter Kerckaert wird von seiner Frau Lien und Töchterchen Roa begleitet.

Das unverkennbare «Määäähhh» in verschiedenen Tonlagen ist schon von Weitem zu hören. Idyllisch präsentiert sich dann das Bild: Während die Sonne vom tiefblauen Himmel strahlt, grasen unzählige Schafe friedlich auf einer Wiese vor dem Wald. Inmitten der Herde steht Pieter Kerckaert und beobachtet die Tiere. Der Schafhirt aus Belgien wird von seiner Frau Lien und der achtmonatigen Tochter Roa auf seiner ganzen Wanderschaft begleitet. Mit dabei sind auch drei Hütehunde sowie zwei Welpen, die der Schäfer aus seiner Heimat mit in die Schweiz genommen hat, sowie die beiden Esel Luna und Pina. Der «St. Galler Bauer» hat den Wanderschäfer auf seiner Durchreise im Naturschutzgebiet Hudelmoos bei Muolen getroffen.

Zeitpunkt für Veränderung

Rund 750 Kilometer ist Pieter Kerckaert mit seiner Familie im Wohnmobil an seinen derzeitigen Arbeitsort gefahren. Der gelernte Landwirt hatte zuvor einen Biobauernhof gepachtet, unweit von Gent, einer Hafenstadt im Nordwesten Belgiens. Dieser Hof wird nun vom Besitzer geführt. Die Milchziegen, die Pieter Kerckaert gehörten, habe er verkauft. Der Betrieb sei zu klein gewesen, um langfristig rentabel zu bewirtschaften, gibt der 37-Jährige zu bedenken. Es sei für ihn der Zeitpunkt für eine Veränderung gekommen. «Ich möchte unsere Tochter Roa aufwachsen sehen und mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Als Wanderhirt kann ich das.»

Der Wanderschäfer Pieter Kerckaert mit den Eseln Pina und Luna.
Der Wanderschäfer Pieter Kerckaert mit den Eseln Pina und Luna.

Er habe im vergangenen Jahr dann eine Winterarbeit in der Schweiz gesucht und sei dabei auf die ausgeschriebene Stelle als Schäfer gestossen. Erste Erfahrungen habe er bereits als Hirt in Österreich gesammelt und im Sommer mit Rindern auf einer Alp. «Die Arbeit in der Natur und mit Tieren hat mir schon immer viel Freude bereitet», erzählt Pieter Kerckaert und bemerkt, dass sein Grossvater bereits einen Landwirtschaftsbetrieb geführt habe.

Schafe aus Thaler Umgebung

Mit etwa 900 Tieren verschiedener Schafrassen ist Pieter Kerckaert Anfang Dezember im thurgauischen Horn am Bodensee gestartet. Unterwegs ist er im Auftrag eines Grossschafhalters aus Thal bei Rheineck. Die Schafe, mit denen der Hirt aus Belgien zur Winterfütterung auf der Reise ist, gehören drei Bauern aus der Umgebung von Thal. Diese achten auf die Gesundheit ihrer Tiere und führen regelmässig gründliche Gesundheitschecks durch. Die Wanderschaft sei bis jetzt problemlos verlaufen, Schafkrankheiten habe es keine gegeben. Auch sei in dieser Gegend nicht mit Wölfen zu rechnen. Der Belgier ist über Tübach nach Roggwil gewandert und von dort über Häggenschwil ins Hudelmoos. Von hier aus geht es wieder zurück nach Thal, wo der Schäfer voraussichtlich Mitte März eintreffen wird.

Die Schafe befinden sich im Naturschutzgebiet Hudelmoos bei Muolen.
Die Schafe befinden sich im Naturschutzgebiet Hudelmoos bei Muolen.

Grundsätzlich bleibt Pieter Kerckaert ein bis drei Tage am gleichen Ort. Da es aber zahlreiche Wiesen mit viel Gras im Hudelmoos hat und die Hauptstrasse weit weg ist, bleibe er etwa eine Woche hier. Besonders die Lämmer müssten nun gegen das Frühjahr hin gut beobachtet werden. «Sie fressen nahrhaftes, junges Gras und nehmen so ausreichend Eiweiss für das Wachstum auf. Doch besonders die Jungtiere dürfen nicht zu viel Eiweiss zu sich nehmen, denn dies könnte zu Durchfall oder sogar zu Clostridien (Darmentzündung mit schweren Durchfällen) führen.»

Meistens willkommen

Pieter Kerckaert erzählt, dass er mit seinen Tieren bei den Landwirten zumeist ein willkommener Gast sei. «Die Schafe machen Landschaftspflege, indem sie das vor dem Winter nicht mehr geschnittene und zu hohe Gras fressen, das sonst erfrieren würde. Mit ihren Klauen zertreten sie auch die schädlichen Mausgänge und fördern die Bestockung», erklärt er den Nutzen dieser Art der winterlichen Landbewirtschaftung. Weil die Böden noch nass sind, achtet der Schafhirt darauf, dass sich die Tiere nicht allzu lange auf der gleichen Wiese aufhalten, damit keine Trittschäden entstehen. Gefrorener Boden sei für die Klauen viel besser als morastige und versumpfte Stellen.

Hütehunde der Rasse Australian Kelpie halten die Schafherde zusammen.
Hütehunde der Rasse Australian Kelpie halten die Schafherde zusammen.

«Tagsüber Sonnenschein und nachts frostige Temperaturen, das lieben meine Tiere und ich gleichermassen», sagt Pieter Kerckaert schmunzelnd. Wenn viel Schnee liegt, werden die Schafe mit Heu gefüttert, das von Bauern zur Verfügung gestellt wird. Dies sei in dieser Saison allerdings noch nicht nötig gewesen. Als es im Dezember geschneit hat, sei er auf Wanderschaft in der Nähe des Bodensees gewesen. Dort hätten die Schafe genug Gras gefunden, weil nur wenig Schnee lag. Ihr Wasserbedarf könne grösstenteils aus nassem Grünfutter gedeckt werden. Trotzdem achte er darauf, dass die Tiere stets Zugang zu Bächen oder Brunnen hätten, erklärt der Schafhirt. Die Freilandhaltung im Winter sei eine naturnahe und artgerechte Methode. Schafe sind anspruchslos, genügsam und anpassungsfähig an klimatische Bedingungen.

Frühe Tagwache wegen Tochter

Die beiden Esel Luna und Pina tragen auf der Wanderschaft die Netze, mit denen die Schafe in ihrem Nachtlager eingezäunt werden. Den Zaun stellt Pieter Kerckaert jeden Abend vor Einbruch der Dunkelheit auf und entfernt ihn am darauffolgenden Morgen wieder. Das Nachtlager der Tiere befindet sich immer gleich neben dem Wohnmobil, in dem die Familie Kerckaert übernachtet. Die Nächte seien bis jetzt genauso ruhig verlaufen wie die Tage, es gab nie ein unerwartetes Vorkommnis. Tagwache sei jeweils um 6 Uhr. «Nicht wegen den Schafen, sondern wegen unserer Tochter Roa», sagt der Schäfer und lacht. Er geniesse die Familienzeit, obwohl es nicht immer ganz einfach sei, mit einem Kind auf so engem Raum zu leben. Auf die Frage, wo denn die Kleider gewaschen werden, gibt er zur Antwort: «Unsere Wäsche besorgt die Frau meines Arbeitgebers sowie eine weitere Bäuerin. Auch dürfen wir bei den beiden Familien duschen. Überhaupt, wir werden enorm gut von den Landwirten unterstützt, die mir ihre Schafe anvertraut haben.»

Der Wanderschäfer Pieter Kerckaert zäunt die Schafe vor Einbruch der Dunkelheit ein.
Der Wanderschäfer Pieter Kerckaert zäunt die Schafe vor Einbruch der Dunkelheit ein.

Obwohl drei Hütehunde und zwei Welpen auf der Wiese sind, ist kaum ein Bellen zu vernehmen. Sie verhalten sich äusserst ruhig und beobachten wachsam die Wolltiere. Es sind Hütehunde der Rasse Australian Kelpie – bewegungsfreudig, ruhig, selbstständig und sehr sozial. Ihre Aufgabe ist das Treiben und Zusammenhalten der Schafe.

Weiter auf die Alp

Wenn die Herde im März wieder in Thal angekommen ist, werden dort die Schafe von den Bauern abgeholt, denen sie gehören. Die Tiere werden im Frühjahr geschoren, bevor sie dann Anfang Juni zur Sömmerung auf eine Alp gebracht werden. «Ich liebe meine Arbeit als Wanderschäfer und bin gerne unterwegs. Mir fällt auch auf, wie die Leute hier in der Schweiz freundlich sind. Die Bauern sind ebenfalls sehr hilfsbereit. Wir fühlen uns willkommen», schwärmt er. Nach der Wanderschaft wird Pieter Kerckaert mit seiner Familie ein bisschen Ferien geniessen und mit dem Wohnmobil hierzulande unterwegs sein. Anschliessend geht er mit Frau und Kind auf eine Alp im Bündnerland, wo er im Sommer wiederum eine Schafherde betreuen wird. Er verrät, dass er noch längere Zeit in der Schweiz arbeiten und zwischendurch von hier aus seine Angehörigen in Belgien besuchen möchte. Roa soll dann aber sicher in Belgien eingeschult werden. Seine Zukunft plane er allerdings nicht. «Ich möchte viel lieber von Tag zu Tag leben.»

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