Brennende Leidenschaft: Wie Bettina Stillhart die Frucht ins Glas zaubert

In Dietfurt, wo Tradition und Handwerkskunst seit über einem Jahrhundert gelebt werden, zaubert die Familie Stillhart aus regionalen Früchten edle Tropfen. Bettina Stillhart, Brennerin und Edelbrand-Sommelière, führt die Brennerei in vierter Generation und vereint altes Wissen mit moderner Expertise. Hier entstehen aus besten Zutaten nicht nur preisgekrönte Edelbrände, sondern auch Geschichten, die den Geschmack der Region widerspiegeln.

Bettina Stillhart und Vater Franz Stillhart in ihrer Brennerei. Bild: Yvonne Aldvrovandi-Schläpfer

«Früchte gehören bei mir ins Schnapsglas und nicht nur in die Obstschale», sagt Bettina Stillhart und lacht. Sie weiss, wovon sie spricht. Denn als Brennerin und Edelbrand-Sommelière bringt sie im wahrsten Sinne des Wortes die Frucht, so wie sie riecht und schmeckt, ins Glas. Bettina Stillhart führt die Brennerei Stillhart in Dietfurt bereits in vierter Generation. Vor einiger Zeit hatte sie den Lehrgang zur Brennerin und Edelbrand-Sommelière, den sie in Deutschland besuchte, erfolgreich bestanden. Sie war Jahrgangsbeste und zugleich einzige Schweizerin.

Seit 1915 wird im Familienbetrieb Stillhart Obst zu hochwertigen Edelbränden verarbeitet. Jakob Stillhart-Artho legte damals mit einer fahrbaren Brennerei den Grundstein dafür. Über 40 Sorten Edelbrände und Liköre umfasst das Sortiment heute. Die Edelbrände werden mindestens ein Jahr bis hin zu rund 30 Jahren in traditionellen Korbflaschen oder Stahltanks gelagert. «Wir haben noch einen 30-jährigen Kirsch im Keller», erzählt Geschäftsführerin Bettina Stillhart und ergänzt, dass dieser durch das Lagern im Geschmack milder werde. Frischer Kirsch schmecke im Gaumen rau und etwas scharf. Die Schärfe baue sich über die Jahre ab. «Es ist für uns ein Highlight, ein so spezielles Exponat noch zu haben», äussert sich Vater Franz Stillhart dazu. Er ist seit 1986 mit seiner Frau Astrid Inhaber des Familienbetriebes. Beda, der Bruder von Bettina Stillhart, betreibt den gleichnamigen Getränkehandel gleich nebenan. Unterstützt wird die Geschäftsführerin auch von ihren beiden Schwestern Sabrina und Lea. Die beiden Frauen helfen in ihrer Freizeit mit, wo Bedarf besteht.

Die fahrbare Schnapsbrennerei aus dem Jahre 1915. Bilder: zVg.
Die fahrbare Schnapsbrennerei aus dem Jahre 1915. Bilder: zVg.

Alte Brennerei ersetzt

Bettina Stillhart erzählt, dass ihr Vater für den Kräuterschnaps zuständig sei. «Der Brennhafen, der dafür verwendet wird, ist speziell und stammt aus jener Zeit, als er noch die Brennerei geführt hat. Kräuter- und andere Doppelbrände produzieren wir nicht alle Tage, mein Vater hat das nötige Fingerspitzengefühl.» Der 71-jährige Franz Stillhart sagt dazu: «Ich mache es gerne. Es ist für mich zu einem Hobby geworden.» 1990 sei die alte Brennerei durch drei dampfbetriebene Kolonnenbrennhafen ersetzt worden. Seit damals werden darin Schnäpse gebrannt. Einen Grossteil der alten Gegenstände wie beispielsweise Kupferkessel, Schöpfer und Holzzuber, die bei der Brennerei Stillhart einst zum Einsatz kamen, seien noch in ihrem Besitz. Aus lebensmitteltechnischen Gründen werden jedoch die meisten dieser Gerätschaften nicht mehr benutzt. Die alte fahrbare Schnapsbrennerei sei noch funktionstüchtig und auch registriert. Doch die Produktion damit lohne sich nicht mehr. Schon als kleines Kind sei er in der Brennerei gestanden und habe seinem Vater geholfen, erinnert sich der Geschäftsinhaber. Auch Bettina Stillhart ist sozusagen mit der Brennkunst grossgeworden. Sie ist gelernte Detailhandelsfachfrau und hat jeweils in der Freizeit im Familienbetrieb mitgeholfen. «Ich habe als Verkaufsleiterin einer Grossbäckerei viele Filialen geführt, aber mein Herz ist beim Schnaps.»

Frischer Edelbrand fliesst in ein Chromstahlgefäss.
Frischer Edelbrand fliesst in ein Chromstahlgefäss.

Regionale Zutaten

In ihrer Brennerei werden Destillate aus verschiedensten Rohstoffen hergestellt. Nebst Früchten, Beeren und Kräutern sind es auch Wurzeln und Blüten. Die regionale Beschaffung sei ihnen wichtig. Das Obst und alle weiteren Pflanzenprodukte, sogenannte Botanicals, kommen aus dem Toggenburg und der Ostschweiz. «Um lange Anfahrtswege zu vermeiden, beziehen wir beispielsweise erntefrische Aprikosen und Williams-Birnen aus dem Thurgau», sagt Bettina Stillhart.

Die 37-jährige Dietfurterin erklärt, dass ihre Kundschaft – die meisten seien Landwirte, aber auch Private und Firmen – ihre vergorenen Früchte in Fässern anliefern. Die so entstandene Maische wird im Brennhafen erhitzt, wobei der Alkohol bei 78,8 Grad verdampft. Der Alkoholdampf kondensiert im Kühler und wird als Edelbrand aufgefangen. Vor- und Nachlauf seien ungeniessbar.

Als Vorlauf bezeichnet man beim Schnapsbrennen das zu Beginn entstehende Destillat. Als Nachlauf den Teil, der nach dem Mittellauf entsteht. Der Mittellauf sei das Herzstück, erklärt Bettina Stillhart. Es ist der trinkbare Alkohol, das gute Destillat.

Die Qualität eines Obstbrandes hänge im Wesentlichen von der Qualität der zur Herstellung verwendeten Früchte ab. Das Brennobst sollte genussreif sein, um das sortentypische Aroma zu erreichen. Damit könne der Obstproduzent etwa 80 Prozent der Qualität des Destillates beeinflussen, für die verbleibenden 20 Prozent sei der Brenner zuständig. «Einen guten Brand erreichen wir also nur gemeinsam», führt Franz Stillhart aus. Die Zugabe von Zucker zur Maische sei verboten, die Aromaqualität im Edelbrand würde leiden. Die Farbe der klaren Edelbrände könne nicht beeinflusst werden. Lediglich bei der Weiterverarbeitung zu Likör oder zur «Alten Birne» oder «Alten Zwetschge» mittels der Mazeration (Einlegen der getrockneten Früchte). «Wir verwenden keine Farbstoffe und keine künstlichen Zusätze.» Bettina Stillhart trinkt nur wenig Schnaps. Wichtig sei aber auch für sie, jeden Brand bei der Destillation zu degustieren, damit Vor-, Mittel- und Nachlauf richtig abgetrennt werden.

Geschäftsinhaber Franz Stillhart öffnet den Deckel eines Brennhafens.
Geschäftsinhaber Franz Stillhart öffnet den Deckel eines Brennhafens.

Nachhaltige Produktion

Beim Brennvorgang entstandenes Kühlwasser wird bei Stillharts gesammelt. Ein Teil fliesst zurück in den Betriebskreislauf, und der Rest wird für die Reinigung der Kessel und Fässer wiederverwendet. Kirschsteine werden ebenfalls gesammelt. Diese können für wärmende Kirschsteinsäckli kostenlos (ungereinigt) in der Brennerei abgeholt werden. Die restlichen Steine, zum Beispiel Zwetschgen oder Aprikosen, finden Verwendung als Brennstoff für Schnitzelheizungen. Die Maischen-Reste werden in der nahe gelegenen Biogasanlage entsorgt. Bei der weiteren Veredelung der Edelbrände zur «Alten Birne» oder «Alten Zwetschge» fallen getrocknete Birnen und Zwetschgen an. Diese werden eine bestimmte Zeit im Edelbrand eingelegt und dienen nachher als Grundlage für die Birnen-Schlorzimasse, die ebenfalls bei Stillharts erhältlich ist. Die Brennerei Stillhart ist eine Gewerbe- und Lohnbrennerei. Für ihre Gewerbebrennerei werden Früchte gekauft, um daraus Edelbrände und Liköre für den eigenen Verkauf zu produzieren. Ein Grossteil dieser sowie weitere eigene alkoholhaltige Produkte vermarkten sie in ihrem Verkaufsladen in Dietfurt. Sie beliefern zudem Gastronomiebetriebe in ihrer Region. In ihrer Lohnbrennerei werden die Fruchtmaischen der Kunden im Auftrag gebrannt. Insgesamt 2500 Brennkunden haben sie. Ihr Kundenstamm wachse von Jahr zu Jahr. «Wir brennen bereits ab 20 Kilo für unsere Kunden», sagt Bettina Stillhart. «Wir vermischen keinesfalls die Obstmaischen der Kunden. Jeder bekommt den Schnaps aus seinen eigenen Früchten.»

1990 wurde die alte Brennerei durch drei dampfbetriebene Kolonnenbrennhafen ersetzt.
1990 wurde die alte Brennerei durch drei dampfbetriebene Kolonnenbrennhafen ersetzt.

«Äntebüsi» mit Anekdote

Der Zwetschgenschnaps mit 50 Volumenprozent für «Kafi Lutz» werde am meisten verkauft. Seit rund drei Jahren produzieren Stillharts den «Äntebüsi», einen Kräuterschnaps mit Kümmellikör. Der Verkauf laufe gut, inzwischen auch in der ganzen Schweiz über den Onlineshop, so die Geschäftsführerin. Der «Äntebüsi» sei aus einem Zwist zwischen drei Bauern in einem St. Galler Dorf im 17. Jahrhundert entstanden. Gleich nebenan zeigte sich, dass Gegensätze nicht unweigerlich zu Zank führen müssen. In einem Teich tummelten sich Enten, die täglich von einem Kater besucht wurden. «Änte» und «Büsi» lebten im friedlichen Miteinander. Um den Streit zu begraben, trafen sich die Landwirte zu einem Umtrunk. Weil sie sich nicht einigen konnten, ob zuerst der Kräuterschnaps oder der Kümmellikör probiert werden soll, wurden die beiden Schnäpse kurzerhand zusammengemischt.

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