Den Osterhasen gibt es wirklich
In der Karwoche ist Valentin Fässler aus dem thurgauischen Hohentannen als Osterhase verkleidet mit seinem Velo unterwegs. Der frühere Landwirt wünscht den Leuten frohe Ostern und verteilt gefärbte Eier.
Erst mit bunt gefärbten Eiern ist das Osterfest komplett – das weiss der Osterhase ganz genau. Dieser steht vor seinem Zuhause und schüttet Heu in seine Chränze. Bevor er sich auf sein Fahrrad schwingt, versteckt er noch die bunten Eier im mit Heu gepolsterten hölzernen Behältnis. Wie ein echter Osterhase sieht er nun aus mit seiner Chränze auf dem Rücken. In den Tagen vor Ostern ist Valentin Fässler aus dem thurgauischen Hohentannen als Osterhase verkleidet mit dem Velo unterwegs und wünscht Jung und Alt frohe Ostern. «Freude bereiten ist für mich die grösste Freude», erzählt der 68-Jährige mit einem zufriedenen Lächeln. Er könne die Karwoche jeweils kaum erwarten. Um anschliessend all die positiven Erlebnisse und Emotionen zu verarbeiten, brauche er auch noch einige Tage danach.
Bereits zum dritten Mal radelt Valentin Fässler dieses Jahr in der Karwoche (von Montag bis Samstag), verkleidet als Osterhase, durch Hohentannen und Umgebung und verteilt bunte Eier. Heuer seien es rund 650 bemalte Hühnereier. Die bereits gefärbten Eier stammen von einer Eierfarm in der Umgebung. Valentin Fässler macht alles aus eigener Initiative, auch für die Kosten kommt er selber auf. «Ich mache es aus purer Freude. Die Begegnungen und Emotionen sind einzigartig», lässt Valentin Fässler während des Gespräches immer wieder verlauten. Er beschenke nicht nur Leute auf der Strasse mit Ostereiern, er gehe auch von Haus zu Haus und erfreue damit Kollegen und Bekannte. Allerdings werde der Umkreis von Jahr zu Jahr grösser und es brauche dadurch auch immer mehr Ostereier. Als er im vorletzten Jahr erstmals als Osterhase verkleidet die Bevölkerung erfreute, habe er sich 300 Eier besorgt. Viel zu wenig, wie sich im Nachhinein herausstellte. «Scho am Mektig (Mittwoch) ha i ke Eiä me ka», sagt Valentin Fässler in seinem ausgeprägten Innerrhoder Dialekt. Valentin Fässler verrät dabei, dass Hohentannen zwar sein Daheim sei, doch in seinem Herzen sei er ein Appenzeller.
Oftmals euphorisch
Und warum überhaupt ist Valentin Fässler auf die Idee gekommen, verkleidet als Osterhase den Leuten eine Freude zu bereiten? «Ganz einfach», sagt er. Auf den bekannten Blechostereiern, die es früher gab, habe er einmal einen Osterhasen auf einem Töff gesehen. Das habe ihn inspiriert, es diesem gleichzutun. Aber statt für ein Mofa habe er sich für ein Fahrrad entschieden. Die Reaktionen der Leute seien oftmals richtig euphorisch. So würden beispielsweise Autofahrer und Passanten anhalten, um den Osterhasen auf seinem Fahrrad zu fotografieren. «Es wird auch immer wieder gesagt, dass es so etwas kein zweites Mal gebe. Noch niemand hat zuvor einen Osterhasen in dieser Art gesehen», sagt Valentin Fässler und schmunzelt. «Ich selber kann es nicht beurteilen, aber die Leute erzählen mir dies immer wieder», sagt er.
Valentin Fässler erzählt, dass sein massgeschneidertes Osterhasenkostüm von Yvonne Grüninger-Edelmann aus Berschis, einer Ortschaft in der Gemeinde Walenstadt, genäht wurde. Er kenne die Frau, weil sie in Hohentannen im Restaurant Hummelberg aufgewachsen sei. Die Redewendung «Halt die Ohren steif» ist wohl hier berechtigt. Valentin Fässler weiss nämlich, dass die Hobbynäherin aus Berschis für die Osterhasenohren Pfeifenputzer verwendet hat, damit diese Wind und Wetter trotzen und steif bleiben. «Bis jetzt habe ich aber immer Glück gehabt mit dem Wetter. Es war in den vergangenen beiden Jahren in der Karwoche immer schön.»
Die Schuhe, welche er als Osterhase jeweils trägt, habe er von seiner Mutter geschenkt bekommen. 17-jährig sei er damals gewesen, getragen habe er die braunen Lederschuhe aber nie. Diese seien ihm dann aber plötzlich wieder in die Hände gekommen und er habe sich entschieden, sie auf seiner Osterhasentour zu tragen. «Wenn meine Mutter heute diese Schuhe sehen könnte, sie hätte bestimmt ihre Freude daran», ergänzt er. Und offenbar sind sie in all den Jahren richtig gelagert worden, sonst wären sie bestimmt nicht mehr so schön.
Obwohl Valentin Fässler seit drei Jahren pensioniert ist, denkt er noch nicht an den Ruhestand. Der frühere Landwirt besitzt und pflegt noch immer rund 380 Mostobstbäume, die er hobbymässig betreut. Diese Arbeit sei eine sinnvolle Beschäftigung. Und solange es seine Gesundheit erlaube, möchte er die Tätigkeiten, die im Obstbau anfallen, auch selber verrichten.
Bauer und Strassenmeister
Valentin Fässler erzählt, dass sein Vater in Brülisau, seine Mutter in Gonten aufgewachsen sei. 1953 verschlug es Fässlers dann vom Appenzellerland in den Thurgau. In Hohentannen konnten sie einen Bauernhof erwerben, den der frühere Besitzer altershalber verkaufen musste. Den landwirtschaftlichen Betrieb hat Valentin Fässler 1990 von seinen Eltern übernommen. Im Nebenerwerb habe er während 24 Jahren als Strassenmeister in Hohentannen gearbeitet. Dies habe sich mit der Arbeit auf dem Hof gut ergänzt. Auch als Strassenmeister habe er eine gewisse Selbstständigkeit geniessen können.
Gerne erinnert sich Valentin Fässler an seine Kindheit. In Hohentannen gab es früher eine Gesamtschule. Rund 80 Kinder, von der ersten bis zur achten Klasse, seien von einem Lehrer in einem Schulzimmer unterrichtet worden. Erst 1963 seien dann die Klassen aufgeteilt und die Unter- und die Mittelstufe separat unterrichtet worden. «In der Schule hatte ich mich anzupassen. Dort musste ich Thurgauer Dialekt sprechen. Erst zu Hause durfte ich den Appenzeller Dialekt mit seinen schönen und speziellen Wörtern wieder in den Mund nehmen», erzählt er.
Noch heute pflege er gerne die Appenzeller Kultur und deren Bräuche. «Ich mag Viehschauen und das Öberefahre. Zudem bin ich auch gerne im Alpstein unterwegs. Trotzdem, ich könnte es mir nicht vorstellen, woanders zu wohnen als in Hohentannen.» Und des Weiteren ist gewiss: Sein Highlight des Jahres ist die Osterhasentour in der Karwoche.