Der Biber ist zurück

«Gesegnet sei des fischähnlichen Bibers Fleisch.» Dieses mehr als tausend Jahre alte Tischgebet des Mönchs Ekkehard IV. aus dem Kloster St. Gallen beweist: Der Biber ist ein St. Galler Ureinwohner. Nach längerer Abwesenheit ist er jetzt wieder da.

Ein Biber im Wasser. Bilder: zVg.

Nach über 150 Jahren Abwesenheit kann der Biber heute mit etwas Glück in allen St.Galler Kantonsteilen beobachtet werden. Wegen seines Fleisches, Pelzes und dem moschusähnlichen Drüsensekret, dem sogenannten Bibergeil, war der Biber seit jeher eine heiss begehrte und stark verfolgte Jagdbeute. Dass er im 18. Jahrhundert wegen seinem beschuppten Schwanz, der so genannten Kelle, vom Jesuitenpater Charlevoix offiziell zum Fisch erklärt und deshalb sogar in der Fastenzeit verzehrt werden durfte, besiegelte wohl endgültig sein Schicksal: Anfang des 19. Jahrhunderts galt der Biber in der Schweiz als ausgerottet.

Fast 100 Reviere

150 Jahre später, zwischen 1956 und 1977, wurden dann an über 30 Stellen im Schweizer Mittelland insgesamt 141 Biber vorwiegend aus Frankreich und Norwegen und sogar einige Tiere aus der Sowjetunion ausgesetzt. 1962 wurde der Biber dann bundesrechtlich geschützt. Seither dokumentieren verschiedene Erhebungen die stetige Ausbreitung des Bibers über das gesamte Mittelland und bis in die grossen Alpentäler. Ende 2019 wurde der Bestand in der Schweiz auf etwa 3500 Individuen geschätzt. Im ganzen Kanton St. Gallen gehen die kantonalen Wildhüter aktuell von rund 90 bestehenden Biberrevieren aus. In vielen Fällen ist noch unbekannt, ob es sich um Reviere von Einzeltieren, Paaren oder Familien handelt. Näheren Aufschluss darüber wird eine schweizweit koordinierte Zählung im kommenden Winter 2021/22 ergeben.

Genügsamer Nager

An den Lebensraum stellt der Biber nur wenige Ansprüche. Neben ausreichend Nahrung in Form von Weichhölzern benötigt er lediglich grabbare Ufer und eine ausreichende Wassertiefe, welche er sich aber durch Einstauungen oft selber schafft. Wo er sich ansiedelt, macht er sich meist innert kurzer Zeit bemerkbar. Er fällt Bäume, gräbt Bauten in Uferböschungen und nimmt gewässernahe Gemüsekulturen als willkommene Nahrungsquelle an.

Zentrales Element im Biberrevier ist der sogenannte Hauptbau. Hier verbringt der Biber – geschützt vor potenziellen Fressfeinden – den Tag. Um seinen Aktivitätsradius auszubreiten, errichtet und pflegt er unermüdlich einen oder mehrere Dämme, die unter günstigen Voraussetzungen bis zu mehreren Metern hoch werden können. Damit erschliesst er sich neue Nahrungsquellen und erleichtert sich deren Transport. Für den Biber von Bedeutung ist die Stauung des Wassers aber vor allem, weil er damit sicherstellt, dass der Eingang zu seinen unterirdischen Bauten unter der Wasseroberfläche zu liegen kommt und damit geschützt vor seinen Hauptfeinden Fuchs, Wolf oder Haushund. Aus diesem Grund bewegt er sich nur ungern an Land und beschränkt hier seine Tätigkeit zu 90 Prozent auf einen Bereich von zehn Meter entlang der Ufer, die er nach Einbruch der Dämmerung aufsucht.

Der Biber hat ganze Arbeit geleistet.

Revier verteidigen

Sein Revier markiert der Biber mit Bibergeil, einem riechenden Drüsensekret, an gut erkennbaren Stellen am Gewässerufer. Damit sichert sich ein Biber oder ein Biberpaar das Monopol über die begrenzte Nahrung. Dringt ein fremder Biber über diese Duftgrenze hinaus in ein bestehendes Biberrevier, kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen. Infizierte Bisswunden gehören besonders in gesättigten Populationen zu den häufigen Todesursachen.

Neue Lebensräume schaffen

Aus ökologischer Sicht ist der Biber ein Gewinn, eine sogenannte Schlüsselart. Wo man den Biber ohne Konflikte walten lassen kann, entstehen neue Lebensräume wie Bruchwälder, Flachseen und Feuchtwiesen. Biberdämme bieten verschiedenen Fischarten schützende Strukturen, vom entstehenden Totholz profitieren spezialisierte Insekten und Pilze oder der Eisvogel nutz das Astwerk als Jagdwarte. Amphibien, Wasservögel und Libellen können sich im oder am Biberteich fortpflanzen, entstehende Feuchtwiesen bieten Lebensraum für seltene Pflanzen. Die Liste der Nutzniesser eines einzigen Bibers ist lang und wird länger, je länger der Biber da ist. Auch in anderer Hinsicht kann der Mensch vom Biber profitieren: Der Biber kann mit seinen Dämmen zum Wasserrückhalt bei Hochwasserereignissen beitragen, Trockenperioden abschwächen und gar die Wasserqualität positiv beeinflussen.

Schattenseiten des Biberreichs

So vielfältig wie seine Aktivitäten sind auch die möglichen Konflikte, die mit dem Biber in Erscheinung treten können. Über Nacht können Bäume im Durchmesser von über 30 Zentimeter Durchmesser gefällt werden. Dämme können zu eingestauten Drainageleitungen und Vernässungen von Kulturen führen oder die maschinelle Bewirtschaftung verunmöglichen. Wo Bewirtschaftungswege nahe am Gewässer liegen, können Erdbaue unter die oft direkt am Wasser liegenden Bewirtschaftungswege zu liegen kommen und somit zu Schäden an den Wegen führen.

Drohen wegen des Bibers Schäden oder gar eine Gefährdung, ist immer zuerst der kantonale Wildhüter zu kontaktieren. Er berät Betroffene zu geeigneten Präventionsmassnahmen und beurteilt, ob ein Eingriff in den Biberlebensraum zulässig ist. Denn: Nicht nur der Biber, auch seine Dämme, Baue und Burgen sind bundesrechtlich geschützt. So muss auch bei einem eingebrochenen Biberbau der Wildhüter beurteilen, ob dieser noch durch den Biber genutzt wird und somit zu schützen ist.

Durch den Damm entstandene Überschwemmungsfläche in Salez.

Gemäss Gesetzgebung des Bundes sind Eingriffe dann zulässig, wenn erhebliche Schäden oder eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit droht und keine anderen Massnahmen zum Ziel führen. Dabei kommen in erster Linie technische Massnahmen und Massnahmen am Biberlebensraum zur Anwendung. Das kann die Montage eines elektrifizierten Drahtes auf der Dammkrone, die Senkung oder die vollständige Entfernung des Biberdamms oder das Auffüllen eines eingebrochenen Biberbaus bedeuten.

Kulturen schützen

Obstbäume oder Gemüsekulturen können mittels Drahtgeflecht beziehungsweise Elektrozaun effizient geschützt werden. Mit diesen Massnahmen lassen sich die meisten Konflikte entschärfen oder lösen. Verantwortlich für das Ergreifend von Massnahmen ist derjenige, dem der Schaden droht oder der für den Unterhalt von Anlagen verantwortlich ist, dies ist jedoch immer freiwillig. Wo technische Eingriffe nicht zum Ziel führen oder aus Kostengründen nicht zumutbar sind, besteht bereits heute die Möglichkeit, regulierend in den Bestand einzugreifen. Die beste und langfristig günstigste Massnahme, um Konflikte zu lösen, ist dem Biber genügend Raum für seine Aktivitäten zu bieten. So können Konflikte vermieden und Aufwände erspart bleiben. Es lohnt sich also in jedem Fall, bei Konflikten genauer hinzuschauen. Aus seinem Lebensraum vertreiben lässt sich der Biber nämlich kaum, oder nur kurzfristig.

Das könnte Sie auch interessieren

stgallerbauer.ch Newsletter
Seien Sie die Ersten, um neueste Updates und exklusive Inhalte direkt in Ihren E-Mail-Posteingang zu erhalten.
Anmelden
Sie können sich jederzeit abmelden!
close-link