«Die Geschichte dahinter fasziniert mich»
Seit mehr als 30 Jahren sammelt Jörg Schweizer aus dem thurgauischen Tägerwilen Oldtimer. Nutzfahrzeuge und ausgefallene Traktoren stehen bei ihm besonders hoch im Kurs. Ausserdem darf ein bisschen Zirkusluft nicht fehlen.
Ein grosser Kreisel schmückt den Ortseingang von Tägerwilen. Dreh- und Angelpunkt auf dem Weg nach Kreuzlingen, Konstanz, Zürich, Wil oder Schaffhausen. Was dies zu bedeuten hat, ist schnell erklärt: Auf der Hauptstrasse des schmucken Ortes am Untersee ist verkehrsmässig eine Menge los. Das mag in den Kindertagen des 57-jährigen Jörg Schweizer noch etwas anders ausgesehen haben, doch sein Elternhaus stand direkt an besagter Hauptstrasse. Für den kleinen Bub damals das reinste Paradies, hatte er doch die beste Sicht auf die vorbeifahrenden Industrietraktoren und Fuhrwerke, die meist mit Langholz beladen waren. Vom Fenster aus konnte er die Strasse stundenlang beobachten. Die Liebe des Kindes zu gewerbsmässigen Nutzfahrzeugen ist dem Tägerwiler bis heute erhalten geblieben, denn seine grosse Oldtimer-Sammlung besteht hauptsächlich aus ebensolchen.
Zwei Hallen gefüllt
Heute besitzt der Oldtimerfan, der seit 25 Jahren den «Freunde alter Landmaschinen» (Falso) angehört, circa 30 Fahrzeuge und jede Menge weitere Maschinen und historische Gebrauchsgegenstände. Die Sammlung ist mittlerweile auf zwei Standorte verteilt und noch lange nicht abgeschlossen. «Ich bin eigentlich immer am Schauen, ob ich etwas finde, auch online», sagt Jörg Schweizer, während er mit dem Besuch durch seine zweistöckige Halle schlendert. Wenn er für etwas brenne, könne er durchaus besondere
Ich bin eigentlich immer am Schauen, ob ich etwas finde, auch online.
Hartnäckigkeit an den Tag legen, weiss Jörg Schweizer zu berichten. «Manchmal muss man viel Geduld mitbringen. Die Leute hängen an ihren Fahrzeugen, auch wenn sie sie überhaupt nicht pflegen oder benutzen. Es kommt vor, dass ich alle zwei bis drei Jahre erneut nachfrage, bis sich die Leute trennen können.»
So geschehen auch bei einem Diesellastwagen von Saurer. Dieser hatte 20 Jahre im Regen gestanden. Die hölzerne Innenkabine des Fahrzeugs war mittlerweile komplett verfault, bis sich die Familie zu einem Verkauf durchringen konnte.
Altes Handwerk
Bei einem Besuch seien die ehemaligen Besitzer meist gerührt darüber, ihre restaurierten Fahrzeuge in neuem Glanz zu sehen. Restaurationsarbeiten versucht Jörg Schweizer möglichst in Eigenregie durchzuführen. Wenn es seine Zeit erlaubt. Denn der Tägerwiler betreibt seit 30 Jahren eine Garten- und Landschaftsbaufirma. «Natürlich habe ich auch Mechaniker, die mich unterstützen.» Oft sei die Suche nach Ersatzteilen nicht immer einfach und markenspezifisch unterschiedlich. Bei einem Oldtimer sei ein Kotflügel total verrostet gewesen. Über Mitglieder des Falso habe er einen ostdeutschen Herrn ausfindig machen können, der in Ermatingen in einer Garage beschäftigt war. Dieser habe den Kotflügel per Hand angefertigt, genauso, wie man es früher gemacht habe. Jörg Schweizer wird nachdenklich: «Es gibt immer weniger Menschen, die solch altes Handwerk verstehen.»
Raritäten und andere Schätze
Jörg Schweizer ist nicht «festgefahren» auf eine Marke, wie er selber sagt. Meist seien es die Geschichten dahinter, die ihn an einem Fahrzeug fesseln. So besitzt er zum Beispiel das erste Fahrzeug der Bürgergemeinde Tägerwilen. Vier Schlepper von Lanz Bulldog schmücken ausserdem seine Sammlung. Eine Traktorenmarke, die in der Schweiz nicht sonderlich verbreitet ist. Deshalb stammen Jörg Schweizers Lanz-Traktoren auch aus Deutschland und Holland. Einen 100-jährigen Bührer-Traktor nennt Jörg Schweizer sein Eigen, genauso
Früher wollte niemand ausrangierte Zirkusfahr- zeuge haben. Heute sind sie Sammlerstücke.
wie einen besonderen Autotraktor. Dieser wurde in den 1920er-Jahren in Landschlacht von einem alten Schmied gefertigt. Jörg Schweizer kaufte das Fahrzeug in Köln von einem Händler und brachte es zurück in die alte Heimat. Neben Fahrzeugen haben es Jörg Schweizer auch historische Maschinen angetan. So besitzt er einen 100-jährigen Steinbrecher und eine alte Holzfräse. Die Fräse war von 1940 bis in die 1960er-Jahre in Tägerwilen im Einsatz. Der ehemalige Besitzer war Nachtwächter des Ortes und am Tage zog er von Haus zu Haus, um den Leuten das Holz zu fräsen.
Ein Hauch von Zirkusluft
Um Standschäden zu vermeiden, ist Jörg Schweizer bemüht, alle Fahrzeuge regelmässig zu bewegen. Zwei Mal im Jahr nimmt er an Ausfahrten teil. Die buntgemischte Gruppe aus Schweizern und Deutschen verbringt die gemeinsame Zeit meist im Schwarzwald. Ganz besondere Ausfahrten unternimmt Jörg Schweizer allerdings mit seinem Zirkuswagen, den er zum Camper umgebaut hat. Als Zugmaschine dient dem 57-Jährigen dabei einer seiner Traktoren aus dem Fuhrpark des Circus Knie, ganz standesgemäss also. «Die Zirkuswelt hat mich immer schon fasziniert und ich finde es unglaublich, was die Firma Knie geschäftlich macht. Ich informiere mich gerne über Familiendynastien.» Jörg Schweizer fügt mit einem Schmunzeln auf den Lippen hinzu: «Früher wollte niemand ausrangierte Zirkusfahrzeuge haben, die landeten nicht selten in Rumänien. Heute sind es begehrte Sammlerstücke.»
Der Schweizer Circus Knie und sein Fuhrpark
Der 1919 gegründete National-Circus Knie ist der grösste Zirkus der Schweiz und zeigt pro Jahr über 300 Vorstellungen in rund 25 Ortschaften. Er wird in siebter Generation von der aus Österreich stammenden Familie Knie geführt. Der Fuhrpark des Circus Knie umfasst über 240 Fahrzeuge mit 19 Lastwagen, vier Staplern und 70 Wagen für Personal und Artisten. Seit dem Jahr 2021 setzt der Zirkus auf Lastwagen von Renault Trucks. np.