Grauvieh – die alpine Zweinutzungsrasse

Lange war das Grauvieh vom Aussterben bedroht. In jüngster Zeit aber erkennen wieder mehr Tierhalter die Vorzüge der kleinen Berggänger. Auch Andreas und Monika Steiner aus Rufi gehören dazu.

Grauviehkühe sind stolze Hornträgerinnen.
Grauviehkühe sind stolze Hornträgerinnen.

Hoch über dem Dorf Rufi auf knapp 700 Meter über Meer liegt die Untermatt. Sie ist das Daheim von Andreas und Monika Steiner-Blöchlinger und ihren drei Kindern. Da, wo sich Haus und Stall befinden, erstreckt sich eine Ebene. Ansonsten sind die Wiesen und Weiden an die Hänge gebettet. Es geht obsi und nidsi. Ein Terrain, das prächtig zu den Grauen passt, die hinter dem Haus am Weiden sind. Schliesslich zählen sie zu den klassischen Berglern unter den Viehrassen. Die mittelrahmige, trittsichere Grauviehkuh sei es gewohnt, im steilen Gelände zu grasen, ist auf der Homepage von Grauvieh-Schweiz zu entnehmen. Auch sei diese Kuh ein optimaler Verwerter von gut strukturiertem Rauhfutter aus extensiven Weiden. Es liege an der problemlosen Haltung, der Leichtkalbigkeit und der guten Muttereigenschaften sowie am ruhigen Charakter dieser Tiere, dass sie sich trotz Freilaufhaltung als langlebig erweisen.

Alles Eigenschaften, die Jasmin Steiner, die Tochter von Andreas und Monika Steiner, bestätigt. Vor allem der ruhige Charakter imponiert ihr. «Nur Wanderer mit Hund mögen sie nicht», sagt sie. Ansonsten reiche ein Pfiff und die Tiere kommen angerannt. Sie erinnert sich, wie ihr einmal die ganze Herde im Eiltempo hangabwärts entgegenstürmte. Dieses Gefühl sei schon beeindruckend gewesen. Unmittelbar vor ihr aber blieben die Tiere stehen und warteten auf weitere Anweisungen. Nach den Sommerferien beginnt Jasmin Steiner eine Lehre als Landwirtin. Sie gibt sich gerne mit dem Vieh ab, kennt den Stammbaum der meisten Tiere aus der Herde ihrer Eltern auswendig.

Jasmin Steiner bei ihren Grauen.
Jasmin Steiner bei ihren Grauen.

Dort drüben stehe Romy. Eine Kuh mit Jahrgang 2013, mit einer direkten Abstammung von Rugeli, der ersten Rätischen Grauviehkuh auf der Untermatt. Als Jasmins Vater, Andreas, den elterlichen Betrieb im Jahr 2003 von seinen Eltern übernahm, gab er das Melken auf. Der gelernte Schreiner arbeitete damals wie heute zu 100 Prozent in einer Zimmerei. Die Landwirtschaft betreibt er zusammen mit seiner Familie im Nebenerwerb. Es ist die Gebirgstauglichkeit, die überzeugte. «Wir lassen unsere Tiere so viel wie nur möglich auf die Weide. Das geht bei unserer Welt nur mit leichten Kühen», so die Tochter.

Vielfalt der Kuhrassen

In der Serie «Kuhrassen» berichtet der «St. Galler Bauer» in loser Folge über Kuhrassen, die im Einzugsgebiet gezüchtet und gehalten werden. In dieser Folge ist das Grauvieh an der Reihe. Familie Steiner aus Rufi züchtet solche Tiere. red.

Vom Aussterben bedroht

Das Grauvieh wird aktuell in zwei Schläge unterschieden – das Rätische und Tiroler. In der Schweiz wird das Rätische Grauvieh von Pro Specie Rara unterstützt. Es gilt als vom Aussterben bedroht. Gemäss der Organisation gibt es zurzeit lediglich rund 2000 Rassetiere, wovon wiederum nur rund die Hälfte Zuchttiere sind. Kaum zu glauben, dass es eine Zeit gab, in der sich in den abgeschiedenen Graubündner Tälern gleich mehrere lokale Schläge entwickelten. Dazu gehörten auch das kleinere und leichtere Rätische Grauvieh, der sogenannte Albula-Typ, und der etwas grössere und schwerere Oberländer-Schlag. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts war die Nachfrage nach Grauvieh im In- und Ausland gross. Die Grauen galten als Dreinutzungstiere, wurden für die Arbeit, die Milch- und Fleischproduktion gehalten. Es war das milchleistungsstarke Braunvieh, welches das Grauvieh verdrängte. 1920 ging Letzteres in der Schweiz gänzlich verloren.

Zum Glück waren da noch die Tiroler. Diese kauften früher oft Tiere des Albula-Schlages, sodass Mitte der 1980er-Jahre im Oberinntal und in der Finstermünzschlucht noch einzelne Tiere ausfindig gemacht werden konnten. Seither nimmt die Tierzahl in der Schweiz wieder stetig zu.

Es war nicht immer einfach, Samen des Rätischen Grauviehs zu erhalten. Darum wichen Steiners eine Zeitlang auf Tiroler Grauviehstiere aus.
Es war nicht immer einfach, Samen des Rätischen Grauviehs zu erhalten. Darum wichen Steiners eine Zeitlang auf Tiroler Grauviehstiere aus.

Kein Samen verfügbar

Wie schwierig es mit der Rätischen Grauviehzucht ist, erlebten auch die Steiners. Da ihre Kühe künstlich besamt werden, waren und sind sie auf ein entsprechendes Samenangebot angewiesen. Leider gab es temporär keine entsprechenden Samen mehr. Also mussten sie auf solche von Tiroler Grauvieh ausweichen. Die Alternative, selber einen Muni zu halten, kam für sie nicht in Frage. Wie Jasmin Steiner erklärt, sind ihnen zutrauliche Tiere sehr wichtig. «Wenn wir einen Stier haben, soll der zahm sein, und um das zu erreichen, müssten wir länger bei den Tieren sein können.» In der Zwischenzeit hat sich das Problem gelöst. Mit Arturo, Bruno, Dani, Donnerstag, Falco, Schorsch und Sebastian ist die Auswahl im Vergleich zu den grossen Rassen zwar noch beschränkt, doch immerhin führt Swissgenetics eine Auswahl Rätischer im Sortiment. Der eine und andere Tiroler ergänzt das Angebot.

In der Untermatt wird eine saisonale Abkalbung angestrebt. Die männlichen Kälber werden früh kastriert. Produziert wird Rindfleisch. Dem Fleisch werden bester Geschmack und eine feine, zarte Struktur sowie eine regelmässige Marmorierung attestiert. Einen Teil vermarkten die Steiners in ihrem Hofladen www.guetsvomberg.ch selber, der Rest geht in den normalen Handel. Auf ein Label wird verzichtet. Was daran liegt, dass die Tiere mit extensiver Fütterung nur schwerlich in der vorgeschriebenen Zeit von Natura Beef und Natura Veal das nötige Gewicht erreichen. Dafür lässt sich das Weide-RAUS mit den rund 14 Kühen und den Jungtieren dank der leichten Rasse realisieren.

Von Dichtern umschrieben

Doch, wo befindet sich der eigentliche Ursprung des Grauviehs? Dieser liegt weit zurück. Es soll gar ein Kreuzungsprodukt des Pfahlbauers Torfrind, der silbergrauen Rinder der Rätier und dem Vieh der Kelten, Alemannen und Walser sein. Somit kann es als eigentliches Kreuzungsprodukt der Völkerwanderung bezeichnet werden. Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. erwähnten römische Schriftsteller und Historiker die hohe Milchleistung des Alpviehs, und auch der Dichter Hermann Hesse widmete ihnen in den Jahren 1902 und 1903 in seinem Roman Peter Camenzind eine Zeile: «Ich sah die blaugrüne glatte Seebreite, mit kleinen Lichtern durchwirkt in der Sonne liegen und im dichten Kranz um sie die jähen Berge, und in ihren höchsten Ritzen die blanken Schneescharten und kleinen, winzigen Wasserfälle, und an ihrem Fuss die schrägen, lichten Matten mit Obstbäumen, Hütten und grauen Alpkühen besetzt.» Bis heute bestechen die kleinen Grauen mit ihrem Aussehen. Sie tragen Hörner. Das Grau ihres Fells weist verschiedene Nuancen auf und reicht von Eisen-, über Silber- und Dunkelgrau bis Graugelb.

Jasmin Steiner ist überzeugt, mit den Grauen die richtige Rasse für den Betrieb in der Untermatt gefunden zu haben. Sie lockt Romy und ihre Artgenossen mit Brot, das gemütliche Lager zu verlassen und sich für den Fototermin von ihrer schönsten Seite zu präsentieren. Die Kühe tun ihr den Gefallen, heimsen zeitgleich aber noch einige Streicheleinheiten ein. Wohlwissend, dass sie danach wieder ungestört das Leben hoch über Rufi geniessen können.

Grauviehkühe haben einen ruhigen Charakter.
Grauviehkühe haben einen ruhigen Charakter.

Steckbrief des Rätischen Grauviehs

– Widerristhöhe Kühe: 100 bis 128 Zentimeter

– Das Rätische Grauvieh ist eine der kleinsten Rinderrassen der Welt. Entgegen der weitverbreiteten Leistungszucht, die stets grössere Tiere erzeugt, hat man durch Rückzüchtungen wieder die ursprüngliche Grösse der alten Rasse erreicht.

– Langlebigkeit: 15 bis 20 Jahre

– Viele Kühe werden über 15 Jahre alt. Manche schaffen es gar, 20 Jahre alt zu werden, und bringen in ihrem Leben bis zu 18 Kälber zur Welt.

– Erstkalbealter: 24 bis 32 Monate

– Die Rätischen Grauviehkälber werden schnell geschlechtsreif. Es kann passieren, dass ein fünf Monate altes Kuhkalb von einem sechs Monate alten Stierkalb auf der Weide trächtig wird und mit knapp eineinhalb Jahren ein Kalb wirft. Dies ist zu vermeiden. bas.

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