Intensive Tätigkeit und viel Freude
Lavendel, Kamille und Einjähriger Majoran werden von Raphaela Fässler gehegt, geerntet und als Zutat für den berühmten Appenzeller Kräuterlikör geliefert. Eine Arbeit, die der gelernten Gärtnerin Freude bereitet, aber auch viel Zeit in Anspruch nimmt.
Bei der Haltestelle Sammelplatz der Appenzeller Bahn führt eine schmale Strasse hinauf zum Hof der Familie Fässler. Raphaela Fässler, ihr Ehemann Alfred und die beiden Töchter Svenja und Darja geniessen ihr Daheim, das mitten in der Natur am Fusse des Hohen Hirschbergs liegt. Das Naherholungsgebiet wird von Einheimischen und Gästen rege für Spaziergänge und Wanderungen genutzt. Obwohl der Hof etwas abseits liegt, wenn Besorgungen anstehen, ist die Familie mit dem Auto in wenigen Minuten im Zentrum von Appenzell und hat eine gute Zugverbindung nach St. Gallen.
Bereits 2016 wurde Raphaela Fässler – sie hat Topf- und Schnittblumengärtnerin gelernt – auf die Möglichkeit der Kräuterproduktion aufmerksam gemacht. «Der Start verlief harzig; es war ein nasskalter Frühling und so fiel die Ernte im ersten Jahr buchstäblich ins Wasser», blickt sie auf den nicht ganz einfachen Beginn zurück. Doch die Frohnatur vermag auch in einer schwierigen Situation das Positive zu sehen: «Dafür konnten die kleinen Lavendelpflanzen wachsen und im zweiten Jahr hatte ich eine gute Ernte.»
Zusammensetzung geheim
Die Appenzeller sind weit über die Region hinaus bekannt für ihre Geheimnisse, wobei diese auch als Marketingstrategie begriffen werden dürfen. Mit der Produktion von Lavendel, Kamille und einjährigem Majoran ist Raphaela Fässler Teil eines Teams von Bäuerinnen aus der Umgebung von Appenzell. Im Auftrag des Unternehmens bauen sie seit 2014 Kräuter für den «Alpenbitter» an. Dabei geht es um Produkte, die in den sanften Hügellandschaften gut gedeihen. Den Frauen sichert die Arbeit auf dem eigenen Hof einen finanziellen Zustupf.
Die Arbeit auf den zwei Aren, die Raphaela Fässler mit den drei verschiedenen Kräutern bepflanzt hat, wobei der Einjährige Majoran jährlich neu gepflanzt werden muss, erledigt sie gerne. «Zeitintensiv ist die Ernte, und vor allem bringen mich die Mittagsstunden oft ins Schwitzen, denn Kräuter sollten zwischen elf Uhr und nachmittags um zwei Uhr geerntet werden, wenn die ätherischen Öle ihre volle Kraft entwickeln.» Glücklicherweise könne sie die Feinarbeiten, nach dem Schnitt auf dem Feld, an einem Schattenplatz erledigen. Sie geniesse die Arbeit mit den Kräutern, «denn der unvergleichliche Duft und die vielen Insekten begeistern mich immer wieder aufs Neue.»
Vom Kanton Zug nach Appenzell
Aufgewachsen ist die 1978 geborene Raphaela Fässler in Baar im Kanton Zug. Während ihre Grosseltern noch einen Bauernhof betrieben und zehn Kinder grosszogen, hat sie ihre Wurzeln in einer Handwerkerfamilie. Als Jüngste von drei Geschwistern entschied sie sich nach langem Nachdenken für eine Schnupperlehre in einer Gärtnerei und fand Gefallen an dieser Arbeit. Dank einer Arbeitskollegin, die einen Teil ihrer Jugend in Appenzell verbrachte, besuchte sie die Stubete auf der Meglisalp. «Dort lernte ich Alfred kennen, und zwischen uns hat es von Anfang an gepasst.» Nach einem Jahr hin- und herpendeln zog die junge Frau 2004 nach Appenzell. Ein Jahr später übernahm das Paar den elterlichen Pachthof, heiratete, und schon bald kam die erste Tochter zur Welt.
Ende der 1940er konnte der Grossvater von Alfred Fässler den Hof (dieser ist im Besitz Bezirk Rüte) pachten, später übernahmen ihn seine Eltern und seit 18 Jahren sind nun Raphaela und Alfred Fässler für den Betrieb verantwortlich. Auf dem knapp acht Hektaren grossen Betrieb werden Mutterkühe gehalten. Zur Sicherung der Existenz ist es nötig, dass sowohl Raphaela Fässler als auch Ehemann Alfred einem Zusatzverdienst ausserhalb des Hofes nachgehen. Während die gelernte Gärtnerin in einem Unternehmen, das sich auf Gartenunterhalt spezialisiert hat, mit einem 50-Prozent-Pensum arbeitet, lässt sich der gelernte Landwirt jeweils stundenweise engagieren.
Ausgleich zur Arbeit
Für Raphaela Fässler gibt es, wenn die Aufgaben im Haus, im Garten, im Job und je nach Jahreszeit auch das Heuen erledigt sind, keine bessere Entspannung, als ein Buch zu lesen. «Da kann ich abschalten und in eine andere Welt eintauchen.» Ihr Lieblingsleseplatz ist auf dem bequemen Sofa neben dem Fenster in der gemütlichen Stube, «ich kann aber auch an jedem anderen Platz im und ums Haus lesen.» Auch Spaziergänge oder Wanderungen in der Natur – Möglichkeiten bieten sich rund um den Hof – werden von der Bäuerin und Gärtnerin geschätzt.
Ehemann Alfred liebt es, alte Motoren und Fahrzeuge wieder auf Vordermann zu bringen. Sein jüngstes Werk, ein Willis-Jeep, Jahrgang 1955, ist sozusagen zum Paradestück der Familie geworden. Eine kleine Ausfahrt nach einem anstrengenden Tag oder ein paar Ferientage im Sommer, verbunden mit einem Campingaufenthalt, wird von der ganzen Familie geschätzt. «Diese Freiheit können wir dank der Umstellung auf Mutterkuhhaltung und der Unterstützung eines Nachbarn geniessen», freut sich Kräuterproduzentin Raphaela Fässler. Sie arbeite gerne, und das gelte auch für ihre Familie. Aber ab und zu brauche es einfach eine kleine Auszeit, sind sich die beiden einig.