Historisches Handwerk: Wie Adalbert Fässler Degen und Appenzeller Geschichte bewahrt
Adalbert Fässler bewahrt in seiner Werkstatt in Appenzell die Kunst der Degenherstellung und -restaurierung – ein Handwerk, das in seiner Familie seit sechs Generationen weitergegeben wird. Mit Präzision und Liebe zum Detail haucht er historischen Waffen neues Leben ein und erhält so ein Stück Schweizer Tradition.
Beim Treppenaufstieg zur Werkstatt ist ein feines Hämmern zu hören. Adalbert Fässler ist dabei, einen Degen wieder in Form zu bringen. «Bei einer Hausräumung wurde dieser Degen gefunden», erklärt Adalbert Fässler. Über Jahre hat der Degen im Estrich geschlummert. Der kunstvoll verzierte Griff wirkt matt, bei einem Ornament ist ein Teil abgebrochen. «Es ist selten, dass ein Degen komplett ist. Meistens fehlt auch die Lederscheide.» Für Adalbert Fässler ist jeder Degen ein Unikat, historisch spannend. Mit der Restaurierung wird dieses kulturelle Erbe über Generationen lebendig erhalten. Adalbert Fässler lernte sein Handwerk in der elterlichen Werkstatt, schaute oft seinem Vater bei der Arbeit oder bei der Herstellung von Hosenträgern oder Sennengürteln zu und entwickelte so die Leidenschaft für das traditionelle Sennenhandwerk. Danach arbeitete er im Historischen Museum in Basel als freier Restaurator für Blankwaffen und Kunsthandwerk. Es folgte der Besuch der Höheren Schule für Gestaltung in Luzern, wo er danach als Assistent wirkte. Wieder zurück in Appenzell, führt der mittlerweile 65-Jährige das appenzellische Kunsthandwerk in der sechsten Generation weiter. «Wenn ich etwas restauriere, will ich immer mein Bestes geben. Manchmal muss ich Kompromisse eingehen, da gewisse Bestandteile nicht mehr vorhanden sind. Auch Kosten und Nutzen sind zu hinterfragen», sagt Adalbert Fässler. Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine hohe Präzision und Liebe zum Detail aus.
Symbol für politische Tradition
Im Appenzellerland haben die Degen einen familiären, geschichtlichen und hohen emotionalen Wert. Oftmals handelt es sich um ein Erbstück, das über viele Generationen weitergegeben wird. Den Degen muss man lieben, er hat einen inneren Wert. «Wenn du einen Degen in der Hand hast, bist du ein Ehrenmann», erklärt Adalbert Fässer. «Das kommt von früher her. Der Mann ist in den Krieg gezogen und zeigte damit, ich bin wehrfähig und kann helfen.» Bajonette, Degen und Säbel gelten traditionell als Berechtigung, um an der Landsgemeinde in Appenzell abstimmen zu dürfen. Während die Bauersleute einen Säbel hatten, trugen die noblen Bürger und Standeskommissionsmitglieder eher einen Degen. Der Säbel oder Degen zeigte dannzumal die gesellschaftliche Herkunft. Seit 1991, der ersten Landsgemeinde mit Stimmrechtsbeteiligung von Frauen, gilt die Stimmkarte für beide Geschlechter als Stimmrechtsausweis, für die Männer jedoch nach wie vor wahlweise auch der Degen. «Es ist weltweit einmalig, mit einer Blankwaffe eine Landsgemeinde zu besuchen», so Fässler. «Gerade die jungen Männer hängen an den alten Schätzen, es ist ein Symbol für die politische Tradition.»
Hochwertige Materialien
Der Landsgemeindedegen wird aus hochwertigem Material hergestellt. Militärische Symbole verzierten die Blankwaffen, später kamen Wappen dazu. Die Gravuren können auch historische oder kulturelle Bezüge haben, welche die Geschichte und den Stolz des Kantons darstellen. Fehlende Teile am Degen müssen vom Restaurator so ergänzt werden, dass es zur entsprechenden Epoche passt. Ein besonders wichtiger Teil ist der Griff. Dieser wird individuell geformt und auf die Klinge angepasst. Die verschiedenen Teile des Degens, darunter die Klinge, der Griff und die Parierstange (Querbügel) werden sorgfältig zusammengefügt. Dies erfordert eine präzise Arbeit, damit der Degen stabil ist und die einzelnen Komponenten gut zueinander passen. Oftmals ist der Degen ein beliebtes Geschenk an Weihnachten, zum 18. Geburtstag oder auf die Landsgemeinde. Einen Ehrenplatz erhalten die Degen gerade auch bei Heimweh-Appenzellern, die in der Fremde leben. Es ist eine Erinnerung an ihre Herkunft, hat Tradition und macht sie stolz. Auch der Standespfarrer von Appenzell Innerrhoden erhält jeweils zu seiner Amtseinsetzung von der Standeskommission einen handgefertigten Degen mit christlichen Symbolen überreicht. Adalbert Fässler durfte sowohl für den ehemaligen Standespfarrer Guggenbühl als auch den jetzigen Standespfarrer Hidber die Degen herstellen. Eine Anfertigung, die Adalbert Fässler mit Stolz erfüllt: «Es sind schöne Aufträge.»
Atelier in der «Bleiche»
Das Atelier von Adalbert Fässler befindet sich in der geschichtsträchtigen «Bleiche». Die Gebäudegruppe östlich vom Dorfkern von Appenzell gilt als besterhaltenes Beispiel alter Fassadenmalerei. Im Lauf der Jahrhunderte wurde hier Leinwand gebleicht, Korn gemahlen, Brot gebacken und Holz gesägt. Die Gebäudegruppe ist zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert entstanden. Unmittelbar vor der Haustür fand im vergangenen September das Jubiläumsschwingfest statt. Zwei Monate später erinnert nur noch der teilweise abhumusierte Boden an die Schwingerarena. «Hoffentlich ist bis im Frühling wieder alles grün. Mitte Juni findet hier auf der Bleiche das Mittelalterspektakel statt», sagt der OK-Chef. Handwerker, Gewerbetreibende oder Bauersleute werden die Besucher auf eine Zeitreise ins Mittelalter mitnehmen. «Was mit den Händen geschaffen wird, gefällt mir», so der Kunstschaffende. Der «Sattleli», so der Spitzname der Familie Fässler, wird an einem Marktstand seine Druckwerkstatt aus dem 15. Jahrhundert zeigen, deren Druckplatten er selber gefertigt hat. Er liebt das Ursprüngliche.
Tradition aus Süddeutschland
Für Adalbert Fässler ist es selbstverständlich, dass er seit über 40 Jahren im Fasnachtsverein Appenzell die «Trömmeler ond Botzerössli» leitet. «Botzerössli» sind einfache Pferdeattrappen aus Holz, die von Kindern bis hin zu Erwachsenen in ausgedienten Uniformen getragen werden. Adalbert Fässler bildet die rund 50 Trömmelibuebe und -meedle aus. Schon sein Grossvater und sein Vater waren Tambouren, der Bruder ist ebenso Tambour an der Fasnacht. «Es ist ein schönes Gefühl, wenn Kinder und Erwachsene am Vorabend des Schmutzigen Donnerstags die Appenzeller Fasnacht eröffnen», sagt er. Es wird vermutet, dass der Brauch der «Botzerössli» aus dem süddeutschen Raum stammt und von den Appenzeller übernommen wurde. Eine Tradition, die gelebt und an die künftige Generation weitergegeben wird.