Holzwurmsanatorium: «Nichts ist bei alten Möbeln im Winkel»

Claudia Helblings Arbeitsplatz ist das Holzwurmsanatorium in Benken. Dort restauriert die ursprünglich gelernte Uhrmacherin nicht nur alte Möbel, damit sie in neuem Glanz erstrahlen, sie fertigt auch neue Möbel aus altem Holz.

Eine Trouvaille steht zur Restauration bereit.
Eine Trouvaille steht zur Restauration bereit.

Gedankenverloren streicht Claudia Helbling, Inhaberin des Holzwurmsanatoriums, über das alte Tannenholz eines Küchenbuffets. Dieses befindet sich zusammen mit mindestens 999 anderen Möbelstücken in der grossen Ausstellung. Hier stehen Schränke, Kommoden, Schafreiten, Tische, Stühle, Kinderbettli und vieles mehr. «Sie alle haben eine Vergangenheit, erzählen aus ihrem Leben – allerdings nie vom Erlebten», sagt Claudia Helbling schmunzelnd. Den Blick durch die Ausstellung schweifend, konkretisiert sie: «Das sind allesamt Unikate, die viele 100 Stunden liebevolles Können und viel Feingefühl zur Fertigung forderten.»

Seit über 40 Jahren wird in ihrer Familie alten Möbelstücken besondere Beachtung geschenkt. Den Grundstein für dieses Geschäft legte Margrit Helbling, Claudia Helblings Mutter. Sie wäre gerne Möbelschreinerin geworden. Doch daran war damals nicht zu denken. Ihre Liebe zum Holz hatte Bestand. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Max Helbling restaurierte sie hobbymässig für Freunde und Bekannte alte Möbel.

Dann verunfallte Max Helbling schwer. Ausgerechnet kurz nachdem er beschlossen hatte, auf dem Bau selbstständig zu werden. Knapp versichert, drückte dieser Umstand aufs Familienbudget. Also begann Margrit Helbling kurzerhand, alte Möbel im Auftrag zu restaurieren. Der Grundstein für das Holzwurmsanatorium war gelegt. Die Helblings lebten damals zusammen mit ihrer ersten Tochter in Jona. Die Geburt der zweiten Tochter, die heute das Holzwurmsanatorium führt, zog einen Umzug nach sich. Dieser führte die Familie zu ihrem heutigen Sitz an die Unterhaldenstrasse in Benken.

Was klein begann, wuchs im Laufe der Zeit zu einem beachtlichen Ganzen heran. Nebst der Ausstellung mit all den restaurierten Möbeln in der alten Scheune befindet sich im dortigen Dachgeschoss ein Museum. Darin werden die verschiedensten historischen Werkzeuge und Verarbeitungsmethoden gezeigt. Sie zeugen von einem Schreinerhandwerk aus längst vergangenen Tagen.

In der Ausstellung warten über 1000 Exponate auf ein neues Plätzchen.
In der Ausstellung warten über 1000 Exponate auf ein neues Plätzchen.

Feinstes Handwerk

Die Werkstatt befindet sich im Haupthaus. Sie ist einfach eingerichtet. Auf die heute in vielen Schreinereien omnipräsente CNC-Maschine wird bewusst verzichtet. Dafür lagern schubladenweise Profilmesser. Mit deren Hilfe werden an der guten alten Kehlmaschine Ersatzteile für die Trouvaillen nachgefertigt.

Auch das Furnierlager birgt ganz besondere Raritäten. Stockmaser- und Pyramidfurnier lassen so manches Schreinerherz bluten. Im Holzlager befinden sich massive Bretter. Sie sind für Tischblätter bestimmt. Die Spezialität des Hauses sind solche, die sogar noch die Borkenkante des Baumes aufweisen. «Als wir diese Tischblätter zu produzieren begannen, wurden wir anfänglich ausgelacht», erinnert sich Max Helbling. Er führt zusammen mit seiner Tochter den Besuch des «St. Galler Bauer» durch den Betrieb. Heute lache längst niemand mehr über diese Idee. Die Tische sind gefragt. Auch andere Neuanfertigungen werden im Holzwurmsanatorium produziert, da es teilweise an den gewünschten Massen fehlt. Aus Altholz stellt sie regelmässig Kommoden und Schubladenkorpusse her. Stets mit einem neuzeitlichen Element, wie zum Beispiel einem Sperrholzschubladenboden, damit diese Möbel niemand als Antiquität weiterverkaufen kann. Mit «Bschiss» und krummen Geschäften will sie nichts zu tun haben.

Zu Hause eingestiegen

Es ist dem grossen Hochwasser im Jahr 2006 zu verdanken, dass die heutige Geschäftsinhaberin den elterlichen Betrieb übernahm. Als gelernte Uhrmacherin arbeitete sie zuvor einige Jahre auf ihrem Beruf. Der Wechsel der Branche gelang ihr gut. Das Schreinerhandwerk brachte ihr der Vater bei. Nur an die grosszügigen Masse der Holzverarbeiter musste sie sich erst gewöhnen. «Gar nichts, aber wirklich überhaupt gar nichts ist bei alten Möbeln im Winkel», versichert sie und betont: «Ein Millimeter war für mich, die bei den Uhrwerken äusserst präzises Arbeiten gewöhnt war, eine Weltreise.» Heute schätzt sie den vielseitigen Arbeitsbereich. Mit einer eigenen Ablaugerei werden hier sämtliche Arbeitsschritte bis zum fertigen Bijou direkt vor Ort gefertigt.

Immer wieder dienen die restaurierten Möbel als Leihgaben. Vor allem Restaurants, Filmproduktionen und Theatergruppen nutzen die grosse Auswahl in der Ausstellung, um zu möblieren. Die Kundschaft ist äusserst vielseitig. Wobei Claudia Helbling das Wort Kundschaft gar nicht mag. «Wir haben keine Kundschaft. Zu uns kommen Menschen.» Ihnen allen werde Respekt erboten, ganz gleich,

Nebst dem Renovieren von alten Möbeln fertigt Claudia Helbling auch neue Möbel aus altem Holz an.
Nebst dem Renovieren von alten Möbeln fertigt Claudia Helbling auch neue Möbel aus altem Holz an.

ob einer reich ist oder arm, ob jemand nur ein einziges Möbel kaufen will oder mehrere.

Kleinmöbel sind beliebter

Immer wieder erhält sie Anfragen, wenn bei Hausräumungen alte Möbel auftauchen. Sind historische Stücke mit dabei, schaut sich Claudia Helbling diese gerne an. Für zu neue hat sie keine Verwendung. Auch bei grossen Schränken wird es schwierig. «Kleinmöbel finden schneller ein neues Daheim», so Helbling. Das Platzangebot in der Ausstellung ist beschränkt. Bereits jetzt ist die Auswahl derart gross, dass längst nicht immer jemand auf Anhieb den definitiven Kaufentscheid trifft.

Interessierte finden den Weg ins Holzwurmsanatorium, wenn sie etwas Beständiges suchen und ihren Hausrat mit einem Exponat ergänzen möchten. Die Geschäftsinhaberin sieht ihr Angebot als Gegensatz zu den wenig nachhaltigen Industriemöbeln. «Die sind mit gepresstem Hühnermist gefertigt», spottet Claudia Helbling. Gemeint sind Spanplatten, die aus Holzspänen verleimt werden. Solche finden im Holzwurmsanatorium definitiv keinen Platz. Denn hier wird auf altes Handwerk gesetzt. Damit alte Möbel wie das Küchenbuffet in der Ausstellung nicht einfach verschwinden, sondern auch künftig von einer längst vergangenen Zeit berichten.

 

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