Sharenting: Die unsichtbaren Gefahren hinter Kinderbildern im Netz

Mit leuchtenden Augen vor dem Weihnachtsbaum: Ein Schnappschuss, den viele Eltern stolz online teilen. Doch was harmlos beginnt, birgt weitreichende Folgen. Sharenting – das Veröffentlichen von Kinderfotos im Internet – ist längst Alltag geworden. Doch wie sicher sind die Bilder wirklich? Und wie wirkt sich das auf die Privatsphäre und Zukunft unserer Kinder aus?

Der dreijährige Tom steht vor dem Weihnachtsbaum mit leuchtenden Augen und seinem neuen Traktor in den Händen. Er strahlt vor Glück, seine Wangen sind gerötet. Er gibt das ideale Fotosujet ab, mit dem man dann allen Verwandten und Bekannten eine Frohe Weihnacht wünschen kann. Heutzutage macht man dies mit einem Whatsapp-Status oder einem Post auf Instagram. Das Kinderfoto landet im Netz. Tom hat niemand gefragt, ob er das will. In zehn Jahren, wenn er in der Pubertät ist, stören ihn vielleicht die Pausbacken und der Babyspeck an den Beinen. Das Bild ist immer noch online.

Sharenting steht für das Phänomen, wenn Eltern Fotos von Kindern online stellen und teilen», schreibt Pro Juventute. Sharenting setzt sich zusammen aus «share» (teilen) und «parenting» (Kindererziehung). Bei Kinderschutz Schweiz heisst es, dass bereits vor über zehn Jahren 81 Prozent der Kinder aus zehn Industrieländern noch vor ihrem zweiten Geburtstag einen digitalen Fussabdruck hatten. Auch diese Babys von damals sind heute Jugendliche, zwischen zehn und zwölf Jahren. Von ihnen befinden sich immer noch Babybilder im Internet, vermutet Kinderschutz Schweiz. Die Kinder gaben keine Einwilligung zu der Veröffentlichung dieser Bilder. So einfach löschen lassen sich die Bilder jedoch auch nicht mehr.

Natürlich ist davon auszugehen, dass das Teilen von Bildern auf den unterschiedlichen Kanälen durch Eltern, Grosseltern und anderen Bezugspersonen früher wie heute grundsätzlich in bester Absicht geschieht. Aber im Internet lauern Gefahren, derer sich viele Mütter und Väter beim schnellen Klicken und Posten nicht bewusst sind, ist Kinderschutz Schweiz überzeugt.

Kinder sind beliebte Sujets

Auf der einen Seite ermöglichen uns digitale Medien, unsere Sozialkontakte zu pflegen und miteinander in Verbindung zu bleiben. Beispielsweise mit der Familie der Schwester, die nach Amerika ausgewandert ist. Ausserdem nimmt man als Eltern sicher auch gerne Einblick, wie andere mit Erziehung und Problemen in der Familie umgehen. Die unzähligen erfolgreichen Profile von Müttern und Vätern, die als Influencer im Bereich Familie ihr Geld verdienen, beweisen dies.

Die sozialen Medien machen auch vor der Landwirtschaft nicht halt. Immer mehr Landwirtinnen und Landwirte nutzen diese Kanäle, um der Gesellschaft ein positives Bild ihrer Arbeit zu vermitteln, zu informieren und Produkte bekannt zu machen. Bauernverbände suchen aktiv nach sogenannten Farmfluencern. Schnell wird dabei klar: Bilder mit Babys und Kindern – seien diese menschlich oder tierisch – erhalten am meisten Klicks.

Doch zu viel preiszugeben kann heikel sein. Laut einer Erhebung der Universität Fribourg von Mai 2023 postet etwa jeder zehnte Elternteil regelmässig Bilder seiner Kinder online. Weitere 43,3 Prozent geben an, dies wenige Male im Jahr zu tun. Fast die Hälfte der befragten Eltern bitten ihre Kinder vor dem Posten nicht um Erlaubnis.

Einwilligung wäre nötig

Das Recht am eigenen Bild und das Recht auf Selbstbestimmung gehören jedoch zu den Grundrechten einer jeden Person. Die UN-Kinderrechtskonvention hält zudem fest: Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre. Das bedeutet laut Kinderschutz Schweiz: «Ohne Einwilligung dürfen die Eltern nichts posten. Dabei müssen Eltern auch überlegen, ob das Kind über die nötige Medienkompetenz verfügt und ob es sich die Dimension des Internets überhaupt vorstellen kann.» In der Schweiz nutzen 91,7 Prozent der Bevölkerung soziale Medien. Weltweit sind es mehr als fünf Milliarden Social-Media-Nutzer, wie es im «Digital 2024 Report» heisst. Als Baby kann man natürlich schlecht einwilligen, ob die Eltern ein Bild teilen dürfen oder nicht. Das Selbstbestimmungsrecht kann allerdings von den Kindern auch rückwirkend eingefordert werden, dessen sollten sich Eltern bewusst sein.

Die Kinder nur von hinten zu zeigen wahrt deren Anonymität. Bilder: Pixabay
Die Kinder nur von hinten zu zeigen wahrt deren Anonymität. Bild: Pixabay

Das Posten kann Folgen haben

Bilder im Internet können schnell in die falschen Hände geraten. Es gibt Personen im Netz, die gezielt nach Kinderbildern suchen. Diese können auch völlig harmlos scheinen. Dennoch werden sie für sexualisierte Kontexte missbraucht und unter Menschen mit sexuellem Interesse an Kindern verbreitet. So kann sogar ein sommerlicher Spielplatzschnappschuss auf Facebook plötzlich als kinderpornografisches Material dienen. Das Bild kann hundert- oder tausendfach weitergeleitet werden und verbleibt im Internet. Längst hat der Elternteil die Kontrolle über das Bild verloren. Selbstredend sollten auch keine Informationen wie Namen, Alter, Wohnort oder Schule der Kinder beim Posten von Bildern preisgegeben werden.

Auch peinliche Kinderbilder sind problematisch. Ein breiverschmiertes Gesicht, ein Tobsuchtsanfall mit drei Jahren oder der längst abgelegte Babyspeck können später Anlass dazu geben, dass das Kind ausgelacht wird. Selbst harmlose Bilder lassen sich digital nachbearbeiten, um sich lustig zu machen. Das Internet verstärkt so das Risiko von Mobbing im Kindes- und Jugendalter. Ausserdem wird durch die fortschreitende digitale Vernetzung von Kindern Mobbing in seinem Wirkungskreis noch stark vergrössert. Plötzlich kennen nicht nur die Jugendlichen im Heimatdorf das peinliche Foto, sondern auch jene in den umliegenden Dörfern. So können Kinder langfristig grossen Schaden durch Fotos im Netz nehmen. Das gut gemeinte Teilen von Kinderfotos im Netz kann schlimmstenfalls zur psychischen Belastung für unsere Kinder werden.

Kinderbilder im «St. Galler Bauer»

Der «St. Galler Bauer» erhält jeweils zahlreiche Kinderbilder für die Leserbilder-Seite. Auch über Instagram oder Facebook werden dem «St. Galler Bauer» Kinderbilder zugeschickt. Der «St. Galler Bauer» übernimmt Verantwortung und veröffenlicht aus den Gründen, die im Artikel zu lesen sind, keine Kinderbilder in den sozialen Medien oder online. Zugeschickte Kinderbilder werden ausschliesslich in der gedruckten Ausgabe publiziert.

Kinderfotos: Vier Tipps für Eltern

Pro Juventute gibt Eltern vier Tipps bezüglich des Postens von Fotos ihrer Kinder:

– Machen Sie es sich zur Gewohnheit, Ihr Kind erst zu fragen, ob es möchte, dass andere Leute ein Foto sehen. Bereits Vierjährige wissen, ob ihnen ein Bild gefällt oder nicht.

– Überlegen Sie sich sorgfältig, welche Bilder Sie von Ihren Kindern ins Netz stellen. Fragen Sie sich, wie Ihr Kind das Bild bewertet, wenn es älter ist. Könnte es sein, dass Ihr Kind vielleicht später wegen des Bildes ausgelacht oder gar gemobbt wird?

– Posten Sie keine Fotos oder Filmchen, die zeigen, wie Ihrem Kind ein Missgeschick passiert, es einen Wutanfall hat oder krank und elend im Bett liegt. Auch Fotos von nackten Kindern sollten nicht gepostet werden.

– In sozialen Netzwerken sind auch eingegrenzte Gruppen keine Garantie, dass Inhalte nicht weiterverbreitet werden. Denken Sie vor dem Posten stets daran, dass im Internet auch gelöschte Bilder nie ganz verschwinden und Sie die Kontrolle über ein Bild schnell verlieren.

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