Knochenjob Strahler

Chäpp Bäbler aus Elm hat ein besonderes Hobby: Als Strahler sucht und findet er Kristalle. Das Strahlerhandwerk ist aber vor allem eines: Knochenarbeit.

Chäpp Bäbler ist ein erfahrener Strahler. Dieses Handwerk ist Knochenarbeit.
Chäpp Bäbler ist ein erfahrener Strahler. Dieses Handwerk ist Knochenarbeit.

In der Schweiz gibt es zehn bis 15 Berufsstrahler und ein paar 100 Hobbystrahler. Chäpp Bäbler ist einer von ihnen. Zu 60 Prozent arbeitet er als Projektleiter für Tiefbauprojekte bei der Gemeinde Glarus Süd, daneben ist er viel im Gebirge unterwegs. «Quarzkristalle gibt es im Kanton Glarus nur im Gebiet Elm, Linthal, im Tödigebiet und eventuell noch im Glärnischgebiet», erklärt Chäpp Bäbler. Das hat einen bestimmten Grund: Kristalle wuchsen über Millionen von Jahren vor allem im Granit und Gneis, der im Glarnerland nur beschränkt vorkommt. Im Glarnerland ist vor allem Flysch, Verrucano und Kalk zu finden. Auch Funde von Brokit, Calcit, Limonit oder Chlorit sind möglich. Im Kanton Wallis gibt es dagegen auch Amethyste, und im Kanton Uri und Graubünden ist der Rauchquarz beheimatet. Das ist ein Kristall, der im Gebirge natürlichem Radium ausgesetzt war und sich dunkel färbte.

Bei diesem «Quarzkristallknäuel» fiel ein Kristall auf einen anderen und wuchs weiter mit einer zweiten Generation.
Bei diesem «Quarzkristallknäuel» fiel ein Kristall auf einen anderen und wuchs weiter mit einer zweiten Generation.

In jedem Kanton in der Schweiz gibt es unterschiedliche Bestimmungen rund ums Strahlen. Strahler sind ein eigenes Völkchen und geben sich verständlicherweise bedeckt, wenn es um genaue Fundorte geht. Ein ungeschriebenes Gesetz unter Strahlern lautet, wenn ein Strahler eine Kluft aufmacht und das Werkzeug hinterlässt, darf sich kein anderer Strahler am Fundort bedienen. «Die meisten halten sich daran, aber es gibt auch Ausnahmen», zieht der Elmer Strahler Bilanz. Ebenso versehen die Strahler die Fundstelle mit Namen und Jahrzahl. Im Glarner Hinterland pflegen die Strahler einen friedlichen Umgang miteinander.

Erfahrung von 24 Jahren

Doch wie kam Chäpp Bäbler dazu, Strahler zu werden? Warum Strahlen und nicht Yoga oder Fussball? «Als meine drei Söhne noch kleiner waren, gingen wir viel wandern und klettern. Um das Ganze spannender zu machen, fingen wir an zu strahlen. Das war im Jahr 2000», erzählt Chäpp Bäbler. Seither las er unzählige Bücher zum Thema Geologie und Mineralien, beobachtete Felsstrukturen und welche Zusammenhänge er daraus schliessen konnte. Es ist ein Hobby, bei dem es viel Erfahrung braucht und das nicht in einem Schnellkurs erlernt werden kann. «Das Strahlen ist ein guter Ausgleich zu meinem Bürojob. Ich brauche die Bewegung», erklärt der Elmer. Inzwischen ist das Hobby zur Passion geworden und hätte er es nicht, würde ihm etwas Wichtiges im Leben fehlen. Und so hält er Ausschau nach Quarzbändern (manche sind zwei Meter breit, andere nur einige Zentimeter), die senkrecht zur Gesteinsschichtung verlaufen, ein Indiz dafür, dass sich möglicherweise eine Quarzkristallkluft dahinter verbirgt.

Millionen Jahre alt

Kristalle bildeten sich vor 15 Millionen Jahren, als sich die afrikanische und die europäische Kontinentalplatten ineinander verschoben. Durch die enormen Druckzonen entstanden Hohlräume, in die heisses Wasser eindrang, das Mineralien vom Muttergestein löste. Der Druck bei der Entstehung der Alpen stieg weiter und die Hohlräume kühlten ab. Es bildeten sich erste Kristalle. Die Temperatur lag idealerweise bei 300 bis 450 Grad Celsius. «Das Verhältnis von Druck und Temperatur musste stimmen», hält Chäpp Bäbler fest. Während fünf Millionen Jahren entwickelten sich die Kristalle, und vor zehn Millionen Jahren war dieser Prozess abgeschlossen. Die Vielfalt an Kristallen ist erstaunlich. Formen, Qualität und Eigenheiten variieren. Fadenquarze und Phantomquarze sind besonders. Doch bevor die Quarzkristalle ihre ganze Schönheit strahlen lassen können, ist «Chnochäarbet» angesagt.

So sieht ein typischer Klufteingang bei einem Quarzband aus. Bilder: zVg.
So sieht ein typischer Klufteingang bei einem Quarzband aus. Bilder: zVg.

Gefährliche Arbeit

Hat sich Chäpp Bäbler für eine Stelle entschieden, pickelt er ein Loch in die Felswand, das nur gerade so gross ist, dass er hindurchkommt. Die Kristallkluft kann geradeaus, nach unten oder oben verlaufen. Sie kann 20 Meter hineinführen aber auch nur 20 Zentimeter. Ausgerüstet mit Fäustel, Meissel, Brechstange und Strahlerstock, arbeitet sich der Strahler durch. Meistens ist es eng, nass, lehmig und steil. Die Werkzeuge sind auch lehmig und rutschig. Es ist mit grösster Vorsicht zu arbeiten, einerseits die eigene Sicherheit im Auge zu behalten, andererseits die Quarzkristalle nicht zu beschädigen. Quarzkristalle können durch Wasser, Kalk oder andere Mineralien irreparabel beschädigt werden. Auch wenn sie aufeinanderfallen, ist der Schaden gross. Lehm hingegen konserviert die Kristalle optimal.

Die Gefahren für den Strahler selbst sind altbekannt: Einsturz der Kluft, Sauerstoffmangel oder Steinschlag. «Aktuell muss man auch immer auf die Gewittergefahr achten», weiss Chäpp Bäbler. Oftmals ist er allein, manchmal sind sie auch zu zweit unterwegs. Um den Sauerstoff zu überprüfen, wird auch mal eine Kerze angezündet. Geht die Flamme aus, ist es gefährlich.

Sind Strahler eigentliche Bergarbeiter? «Ja, dieser Gedanke geht mir oft durch den Kopf», antwortet er. «Ich denke dann an die Bergarbeiter, die früher jeden Tag Erz aus der Grube holten, bei schlechten Licht- und Luftverhältnissen, um ihre Familie zu ernähren. Ich habe grossen Respekt vor diesen Arbeitern.» Ist der Strahler fündig geworden, bricht er die Kristalle mit dem Spezialwerkzeug sorgfältig heraus. Die Quarzkristalle funkeln ihm dabei nicht entgegen. Sie sind schmutzig, voll Lehm und Dreck. Die Qualität – ein grosses Fragezeigen. Sorgfältig packt Chäpp Bäbler die Kristalle in Zeitungspapier und legt sie in seinen Rucksack. «20 bis 30 Kilo wiegt er dann normalerweise», gibt er Aufschluss. Zu Hause werden sie mit dem Hochdruckreiniger gereinigt und in Seifenwasser eingelegt. Immer wieder werden sie herausgenommen, abgespritzt und wieder eingelegt. «Manchmal bis zu einem Jahr», fügt der Elmer an. Eine lange Zeit, könnte man denken. Aber im Verhältnis zu 15 Millionen Jahren dann doch wieder nicht.

Chäpp Bäbler lebt in Elm umgeben von Bergen und möglichen Quarzkristallfundstellen. Bild: Patricia Wichser

Chäpp Bäbler lebt in Elm umgeben von Bergen und möglichen Quarzkristallfundstellen. Bild: Patricia Wichser

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