Unterwegs mit Grosstierärzten im oberen Toggenburg

Für kranke Tiere auf dem Bauernhof sind medizinische Behandlungen oft unerlässlich. Dann sind die Tierhalter froh, wenn jemand von der Tierklinik vorbeikommt. Jemand, bei dem die nötigen Handgriffe und Medizingaben präsent sind. Und vor allem auch jemand, der seinen Beruf mit viel Leidenschaft ausübt.

Tierarzt
Die Ergebnisse der Ultraschalluntersuchung bezüglich Trächtigkeit werden notiert.

Es ist sieben Uhr morgens im Büro der Grosstierärzte Obertoggenburg in Nesslau. Flavia Tischhauser, Tiermedizinische Praxisassistentin, nimmt Anrufe entgegen. Sie notiert das jeweilige Anliegen der Tierbesitzer und trägt die Fälle in die Auftragsliste der diensthabenden Personen ein. Diese treffen ab halb acht Uhr in der Praxis ein. Tierärztin Sari Eichenberger erzählt beim Morgenkaffee von ihren Erlebnissen während dem vergangenen Nachtdienst. Ein etwas aussergewöhnlicher Ablauf einer Ziegengeburt ist das Thema. Interessiert hören die Anwesenden zu. Ein kurzes Nachfragen noch. Aber dann geht es los auf die Vormittagstour.

Nicht alles planbar

Julie Canal steigt in das Praxisauto. Die Liste ihrer Besuche führt sie hinauf ins obere Toggenburg. Die Fahrt hat kaum begonnen, da klingelt schon das Telefon. «Ja, kann ich machen. Danke Flavia, und Tschüss!» Es werden keine langen Sätze ausgetauscht untereinander. Dass im Team der Grosstierärzte Obertoggenburg ein sehr freundschaftliches Klima herrscht, ist gut zu spüren. Seit fünf Jahren arbeitet Julie Canal dort zwei Tage pro Woche. Das passe ihr, erklärt sie während der Fahrt zu Landwirt Paul Bischof in Alt St.Johann. Ein routiniertes Einparken vor der Stalltüre, Grüezi sagen per Du, und rein zum Patienten. In groben Zügen weiss die Tierärztin ja schon aus dem Telefonat, was bei diesem Mutterkuhkalb nicht stimmt. Es ist aber wohl schlimmer als angenommen. Kraftlosigkeit, schwankender Gang und nervöse Bewegungen der Pupillen sind erste Beobachtungen. Fieber habe das Kalb nicht und sein Atem funktioniere nicht aussergewöhnlich, sind die Beobachtungen des Tierhalters.

Tierarzt
Die Anzeichen einer Listeriose sind bei diesem Kalb für Julie Canal deutlich zu erkennen

Für Julie Canal ist es rasch klar. Das Kalb leidet an einer Listeriose. Schmerzmittel und Antibiotika werden zuerst verabreicht. Nun muss das Kalb möglichst bald mit einer Fünfliter-Infusion rehydriert werden. Ganz einfach ist dies nicht zu handhaben. Die Mutterkuh steht ja auch in der Stiege und das Kalb muss irgendwie zweckmässig eingesperrt werden. Der Landwirt hat bald eine Lösung gefunden und nach zehn Minuten kann die mehrere Stunden dauernde Infusion beginnen.  Einige Informationen an den Landwirt bezüglich Infusionskontrolle und Zusatzbesuch, Hände und Stiefel waschen, Adieu sagen und weiter geht’s für die Fachfrau. «Diese Aufgabe hat jetzt länger gedauert als geplant. Am nächsten Ort sollte ich auf Wunsch vor neun Uhr aufkreuzen. Das wird knapp.»

Effizient und routiniert

Der Kontakt zu den Tierhaltern soll persönlich und möglichst bedarfsgerecht sein, erzählt Julie Canal. Man meldet sich zehn Minuten vor dem Besuch meistens telefonisch noch schnell an. So sparen beide Seiten Zeit. «Auto fahren, gekoppelt mit Telefongesprächen, gehört einfach zum Tagesablauf eines Tierarztes.» Beides geschieht routiniert bei Julie Canal.

Beim nächsten Landwirt gibt es wieder ein Kalb zu behandeln. Akuter Durchfall und damit beginnende Austrocknung des Körpers ist die Diagnose. Eine Infusion wird verabreicht. Eine kurze Beratung, eine Medikamentenabgabe und man verabschiedet sich.

Tierärztin holt Medikamente ab.
Das Medikamentendepot bedeutet für die Landwirte Weg- und Zeitersparnis.

Der nächste Halt erfolgt im Dorf Wildhaus. Dort befindet sich ein Depotkästchen. Hier platziert Julie Canal einige bestellte Medikamente, die von den Landwirten der Umgebung ohne grossen Zeitaufwand abgeholt werden können.

Auto fahren, gekoppelt mit Telefongesprächen, gehört einfach zum Tagesablauf eines Tierarztes.

Jetzt führt die Fahrt zum Landwirt Thomas Bohl in Stein. Dort stehen Blutentnahmen von einigen Kühen an. Dabei geht es um vorbeugende Massnahmen gegen BVD, die Bovine Virus Diarrhoe. Diese ist in der Schweiz noch nicht gänzlich ausgerottet und soll auf diese Weise vor einer Ausbreitung in Schach gehalten werden.

Zusätzliche Dienstleistung

Unter Bestandesbetreuung versteht man eine enge Zusammenarbeit zwischen Landwirt und Tierarzt. Der Bauernhof wird regelmässig besucht. Mittels Daten aus den Milchproben der Kühe kann ein eventuelles Bestandesproblem so schneller erkannt und behoben werden. «Diese Dienstleistung bieten wir schon seit einigen Jahren an. Und die involvierten Betriebe schätzen eine solche Betreuung sehr», gibt Mirjam Scherrer Auskunft. Sie ist die Geschäftsführerin der Grosstierärzte Toggenburg. Heute stehen einige solcher Besuche an und Miriam Scherrer wird dabei von Flavia Tischhauser, der tiermedizinischen Praxisassistentin, zwecks rascherer Erledigung begleitet. Mittels Ultraschalles werden dabei Trächtigkeitsuntersuchungen bei Kühen und Rindern gemacht. Die Betriebe von Peter Frei und Ruedi Steiner in Wildhaus sind heute an der Reihe. Nicht alle Tiere sind dort wie gewünscht trächtig. Also erörtern die Tierbetreuenden und Mirjam Scherrer mögliche Verbesserungen. Es wird auch noch über vorbeugende Massnahmen gegen Wurmbefall bei Jungtieren diskutiert. Das Gespräch geschieht in lockerer Atmosphäre. Es zeigt die enge Zusammenarbeit zwischen Tierarzt und Landwirt. «Das ist ein sehr wichtiger Faktor, um im Stall Erfolg zu haben», stellt Mirjam Scherrer klar.

Ein Notfall ruft

Bald ist Mittag und Mirjam Scherrer macht sich auf den Heimweg zur Praxis. Doch dann klingelt das Telefon. Umkehren und sofort bei Bernhard Wenk in Wildhaus vorbeischauen. Bei ihm steht eine Kuh im Klauenstand. Er wollte ihr ein Leiden am linken Hinterfuss beheben. «Aber nach wenigen Schnitten mit dem Klauenmesser sah ich, dass hier ein grösseres Problem vorliegt. Und dass hier wohl nur mit fachlicher Behandlung eine Linderung möglich ist.» Mirjam Scherrer macht sich an die Arbeit. Die Wunde blutet stark. Also wird die Blutzufuhr unterbunden. Es braucht eine aussergewöhnlich umfassende Entfernung der Klauensubstanz. Zu weit ist die Ablösung von Horn und Fleisch schon fortgeschritten.

Tierärztin behandelt eine Klaue.
Manchmal kann es blutig werden. Die Klaue wächst nach einer solchen Operation aber rasch wieder nach.

Dem Bauern geht das Zuschauen nahe. «Wenn ich Miriam nicht vertrauen würde, hätte ich wohl Einhalt geboten bei diesem massiven Zurückschneiden der Klaue», sagt Bernhard Wenk. Dank viel Routine und der Verabreichung einer lokalen Betäubung kann Mirjam Scherrer die Kuh erfolgreich operieren. Jetzt noch einen festen Verband anlegen. «Da werden wir bald wieder vorbeischauen, Beni. Aber das kommt schon gut.» Eine Dreiviertelstunde hat die Operation gedauert. Und es war kalt an diesem schattigen, vereisten Platz. Voller Blut und Schmutz ist die Kleidung. Doch Mirjam Scherrers Gesicht strahlt wie zuvor. Es zeigt die pure Leidenschaft für diesen Beruf.

Ein gutes Arbeitsklima

Zwölf Uhr ist schon lange vorbei. Aber das spielt keine Rolle. Hauptsache, dass man die nötige Hilfe bieten konnte. Für Mirjam Scherrer ist Tierarzt zu sein eine Erfüllung. «Das ist aber bei allen meiner Mitarbeitenden so. Sonst passt es ja auch nicht, um Erfolg zu haben.» Die gebürtige Bündnerin arbeitet schon seit vielen Jahren im Toggenburg. Als Geschäftsführerin von Grosstierärzte Toggenburg legt sie neben grossem Fachwissen auch Wert auf passende Charaktere in ihrem Team. Man soll die Freude am Beruf angenehm miteinander erleben können, sagt sie und fügt mit einem Schmunzeln an: «So, und jetzt geht es ans Mittagessen!»

 

 

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