Wenn der Frühling früher kommt

Der Frühling nähert sich mit grossen Schritten und er nähert sich immer früher. Das setzt Pflanzen und damit auch die Landwirtschaft unter Druck.

Der meteorologische Frühlingsbeginn ist jeweils am 1. März, der astronomische Frühling fiel dieses Jahr auf den 20. März. Daneben gibt es auch noch den phänologischen Frühlingsanfang: Dieser richtet sich unter anderem danach, wie weit Pflanzen im jeweiligen Jahr entwickelt sind. Dieser Kalender kennt insgesamt zehn Jahreszeiten und so wird der Frühling in Vorfrühling, Erstfrühling und Vollfrühling unterteilt. Ein Zeichen für den Beginn des Vorfrühlings ist die Haselblüte, die dieses Jahr lokal bereits seit Jahresbeginn auftrat. Der phänologische Frühlingsanfang lässt sich also nicht exakt vorhersagen, eilt dem meteorologischen und astronomischen aber voraus und verfrüht sich tendenziell auch immer mehr.

Kurzer Winterschlaf

In Genf treiben die Blätter des Rosskastanienreferenzbaumes im Schnitt rund zwei Wochen früher aus als vor 100 Jahren und auch im baselländischen Liestal blüht der Kirschreferenzbaum heute nicht selten bereits im März, während er 100 Jahre zuvor erst um den 20. April aufblühte. Nicht nur die Blüte von Einzelbäumen tritt immer früher auf: Ganz grundsätzlich erwachen die Pflanzen schweizweit immer öfter immer früher aus dem Winterschlaf, wie Daten von Meteo Schweiz zeigen. Die Blüte des Haselstrauchs beginnt heute im Schnitt 18 Tage früher als noch vor 70 Jahren, Buschwindröschen blühen im Schnitt zehn Tage früher. Beobachtungen, die beispielsweise auch der Schweizer Obstverband bestätigen kann, wie Direktor Jimmy Mariéthoz: «In den vergangenen 80 Jahren hat sich beispielsweise das Blühdatum von Kern- und Steinobst um rund 15 Tage nach vorne verschoben; die ersten Aprikosenbäume blühen bereits.»

Die Apfelbäume blühen im Schnitt 14 Tage früher als vor 70 Jahren.
Die Apfelbäume blühen im Schnitt 14 Tage früher als vor 70 Jahren.

Folgen im Obst- und Gemüsebau

Dass der Frühling immer früher kommt, zeigt auch der sogenannte Frühlingsindex von Meteo Schweiz. Seit gut 30 Jahren beginnt die Vegetationsentwicklung tendenziell früher als üblich – im Vergleich zu Mitte der 1950er-Jahre begann der Frühling in den letzten Jahren rund zehn Tage früher als damals. Gleichzeitig beginnt der Herbst immer später. Unsere Pflanzen blühen also immer früher, die Vegetationsphasen werden länger und die Ruhezeiten für Pflanzen kürzer.

Das hat weitreichende Folgen: Ein immer früher einsetzender Frühling erhöhe das Risiko für Spätfrostschäden, gibt Jimmy Mariéthoz zu bedenken. Die Kulturen treiben früher aus und sind, wenn es dann noch einmal bitterkalt wird, nicht mehr genügend geschützt. «Entsprechend wird der Schutz der Kulturen vor Frost immer wichtiger, ist aber derzeit teuer und oft nicht wirksam genug, weil die schützende Wärme beispielsweise durch den Biswind direkt weggetragen wird», erklärt der Direktor des Schweizer Obstverbands.

Erhöhtes Frostrisiko

Auch die Schweizer Gemüseproduzenten spüren die Veränderung: «Das Wetter beeinflusst die Arbeit der Gemüsegärtner allerdings seit jeher – sie arbeiten mit der Natur und müssen sich an die Bedingungen anpassen», sagt Markus Waber, stellvertretender Direktor des Schweizer Gemüseproduzentenverbands. Wenn die Bedingungen gut und die Felder schneefrei und trocken seien, werde in der Gemüseproduktion mit der Bodenbearbeitung und der Aussaat oder dem Pflanzen früher begonnen. «In der Anfangsphase schützen die Gemüsegärtner die Kulturen mit Vlies oder Tunneln vor der Kälte», erklärt er. Aber auch die Gemüseproduzenten hätten bei verfrühtem Frühling mit erhöhtem Frostrisiko zu rechnen.

Lange Vegetationsphasen

Eine längere Vegetationsperiode könne für das Gemüse hingegen positiv sein, meint Markus Waber weiter. Jedoch müsse das Gemüse in der freien Phase am Markt auch abgenommen werden, denn dann stehe es ungeschützt mit dem Import in Konkurrenz. Weder positiv noch negativ beurteilt Pierre-Yves Perrin, Geschäftsführer des Schweizer Getreideproduzentenverbandes, eine längere Vegetationsperiode: «Ich würde behaupten, dass dies beim Getreide sortenabhängig ist», sagt er. Spätreife Sorten würden aber sicher mehr unter einer allfälligen Trockenheit leiden. «Wir wissen, dass in den letzten Jahren gewisse Getreidearten eine ‚forcierte‘ Reife erlitten haben – spätreife Sorten beim Mais waren tendenziell stärker betroffen», erklärt Pierre-Yves Perrin.

Auch für die Obstproduzenten kann eine längere Vegetationsphase sowohl positiv als auch negativ sein. Beim Kernobst spiele die Vegetationsperiode keine Rolle. Ein früher Erntebeginn sei allerdings nicht für alle Früchte vorteilhaft – zum Beispiel bei den Zwetschgen, sagt Jimmy Mariéthoz: «Konsumenten kaufen Ende Juli wenig Zwetschgen, da diese für sie Herbstfrüchte sind.» Bei Sommerfrüchten wie Erdbeeren und Kirschen sei der frühe Erntebeginn jedoch ein Vorteil, da die Konsumierenden auf diese einheimischen Früchte warteten.

Auch Schädlinge erwachen

Ein früher Frühling hat auch Einfluss auf die Tierwelt. Was aufgrund der symbiotischen Abhängigkeit wiederum Einfluss auf die Pflanzenwelt hat: Beginnt der Frühling früher und die Obstbäume blühen bereits, bevor die Insekten, die sie bestäuben sollten, geschlüpft sind, könnten die Obstbäume fruchtlos bleiben. Die Entwicklung kann auch in die gegenteilige Richtung gehen: So nehme auch der Schädlingsdruck zu, sagt Pierre-Yves Perrin – vor allem in Jahren mit einem noch zusätzlich «warmen» Winter. So waren die Insekten dieses Jahr bereits früh aktiv, unter anderem beim Raps, erklärt Markus Waber. «Da die Pflanzen aber nicht zu früh begonnen haben zu wachsen, hat es keinen grossen Befall gegeben», ergänzt er. Die Tendenz bleibe aber so, dass kalte Winter den Schädlingsdruck reduzierten.

Grundsätzlich sei es aber schwierig vorauszusagen, wie die Schädlingspopulationen sich entwickeln würden, und es sei nicht nur von den Temperaturen, sondern auch vom Wetter abhängig, meint Markus Waber: «So war beim nassen Sommer 2021 das Aufkommen der Weissen Fliege im Kohl gebremst – wobei dann andere Kulturen wie Salate wegen der Nässe unverkäuflich wurden.» Damit sich der Schädlingsdruck erhöhe, müsse es auch eher trocken bleiben. «Insbesondere durch das vermehrte Auftreten von bestehenden, aber auch neuen Krankheiten und Schädlingen stellt der Klimawandel die Landwirtschaft auf eine harte Probe», bekräftigt aber auch Jimmy Mariéthoz. Man setze darum grosse Hoffnung in die Aktivitäten der Forschung, damit die zukünftigen Herausforderungen gemeistert werden könnten.

«Exotische» Kulturen

Gleichzeitig böten der Klimawandel und die höheren Temperaturen auch Chancen, beispielsweise für den Anbau anderer Kulturen. Beim Getreide könne Soja ein Beispiel sein oder spätere Sorten beim Maisanbau, sagt Pierre-Yves Perrin: «Je nach Jahr und Wetterbedingungen kann es aber gute Resultate geben», ergänzt er. Auch im Obstbau nimmt das Potenzial für neue Kulturen dank des Klimawandels zu: «Beispielsweise wachsen Kiwis mittlerweile gut in der Schweiz, vor allem am Genfersee, und es wurden auch schon Versuche mit dem Anbau von Tafeltrauben oder Mandeln durchgeführt», erklärt Jimmy Mariéthoz. Allerdings stünden diese Früchte in Konkurrenz zu billig importierten Früchten aus Niedriglohnländern, die oft Monokulturen betreiben würden. Und Markus Waber gibt zu bedenken, dass neue Sorten und Produkte am Markt auch nachgefragt werden und konkurrenzfähig sein müssten.

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