Wenn Pflanzen den Mond spüren
Luzia Steiner aus Abtwil hat vor 37 Jahren den ersten Mondkalender gekauft. Seither gärtnert sie nach dem Aussaatkalender von Maria Thun. Sie orientiert sich bei den Gartenarbeiten an den Mondzyklen, um den Pflanzen einen guten Wachstumsstart zu geben und um die Pflanzengesundheit zu fördern.
«Gärtnern ist meine grosse Leidenschaft, und dies schon seit meiner Kindheit», erzählt Luzia Steiner. Dass die 67-jährige gebürtige Stadt-St.Gallerin, die seit 37 Jahren in Abtwil wohnt, über ein enormes Pflanzen- und Gartenwissen verfügt, ist schon zu Beginn des Gesprächs zu spüren. Und wer im Internet stöbert, bekommt es schwarz auf weiss zu lesen: Luzia Steiner ist eine – wenn nicht die – Ostschweizer Gartenpionierin. Von ihrem breit gefächerten Wissen konnten schon über 1000 Garteninteressierte profitieren. In ihren jährlichen Bio-Gartenbaukursen im Frühjahr im Botanischen Garten St.Gallen, die sie seit über 30 Jahren erteilt, vermittelt sie nicht nur ihr Wissen, sondern auch ihre gemachten Erfahrungen. Schon seit langer Zeit orientiert sich die Bioterra-Kursleiterin Luzia Steiner bei ihren Gartenarbeiten an den Mondzyklen. «Wer sich im Garten nach dem Mondrhythmus orientiert, gibt den Pflanzen einen guten Wachstumsstart und fördert die Pflanzengesundheit», ist sie überzeugt.
Den ersten Mondkalender habe sie sich im Jahr 1986 gekauft. Schnell habe sie gemerkt, dass das Gärtnern nach dem Mond Auswirkungen auf die Pflanzen habe. «Wenn ich beispielsweise am passenden Tag Keimlinge in einer ’nidsigend‘ Phase (absteigende Mondlaufbahn) pikiere, überleben alle. Früher, als ich noch nicht auf den Mondkalender geachtet und irgendwann pikiert habe, ging ein Teil davon ein.» Das habe sie fasziniert und zum Weitermachen bewogen.
Ebbe und Flut
Gärtnern nach dem Mond – ist es Mythos oder Tatsache? Luzia Steiner erklärt es an einem Beispiel. «Der Mond bewirkt mit seiner Anziehungskraft Ebbe und Flut. Er bringt mit seiner gigantischen Kraft ganze Ozeane in Bewegung. Es gibt auch Leute, die sensibel auf die Mondphasen reagieren, zum Beispiel mit Schlafstörungen oder Stimmungsschwankungen», sagt sie und ergänzt, dass auch Pflanzen sensibel seien und auf Impulskräfte des Monds und der Planeten reagieren würden.
Uralte Tradition
Das Gärtnern nach dem Mond sei eine jahrhundertealte Tradition. «Unsere Vorfahren hatten schon die Mondbahnen (’nidsigend‘ und ‚obsigend‘) beobachtet, aber nicht in dieser Genauigkeit wie wir heute.» Luzia Steiner erzählt von der deutschen Anthroposophin Maria Thun (1922–2012) und deren Erfahrungen beim Anbau von Radieschen. Diese habe festgestellt, dass an manchen Tagen eine Mehrheit der gesäten Radieschen auffallend klein und verholzt oder gar verkrüppelt blieb, während die Radieschen aus der gleichen Samentüte und auf dem gleichen Beet (einfach eine Reihe nebendran), zum Beispiel einen Tag später gesät, wunderbar grosse runde Radieschen ausbildeten. Über Jahrzehnte hat sich Maria Thun mit den Mondeinflüssen auf das Wachstum der Pflanzen befasst und sich für ihre Beobachtungen die Laufbahnzeiten von Mond und Planeten durch die Uni Giessen in Deutschland berechnen lassen. Seit 1963 erscheint nun jährlich ihr Aussaatkalender.
Wer sich beim Gärtnern nach dem Mondstand richten möchte, brauche die Daten eines Mondkalenders. Dieser werde jedes Jahr neu berechnet, erklärt Luzia Steiner.
Maria Thun hat herausgefunden und in ihrem Mondkalender festgehalten, dass an den Tagen ausgesät werden sollte, an denen die kosmischen Kräfte das Pflanzenwachstum am besten unterstützen. Dafür werden alle Pflanzen in vier Kategorien eingeteilt: Wurzel (Radieschen, Rüebli usw.) – Frucht (Gurken, Tomaten usw.) – Blatt (Salat, Spinat usw.) – Blüte (Blumen, Brokkoli bzw. Pflanzen, von denen man die Knospe erntet). Im Mondkalender von Maria Thun sind auch Zeiten markiert, die man für Saaten meiden sollte. «Diese Zeitfenster sollte man auslassen, weil dann das Pflanzenwachstum negativ beeinflusst werden kann. Sogenannte ‚gestrichelte Tage‘ entstehen, wenn Planeten die regulären Mondkräfte stören und verändern oder wenn der Mond in Erdnähe steht.» Auch das Ernten sollte an «gestrichelten Tagen» und auch an Blatttagen vermieden werden, weil die Lagerfähigkeit vermindert würde – ausser, das Gemüse sei zum Sofortverbrauch bestimmt.
Unterschiedliche Phasen
«Nidsigend» und «obsigend» sind zwei verschiedene Mondphasen, die je etwa 14 Tage dauern. «Nidsigend» bedeutet absteigende Mondlaufbahn und darf aber nicht mit dem abnehmenden Mond verwechselt werden. Dieser Zeitraum stehe für Wurzelbildung und sei geeignet, um Pflanzungen vorzunehmen. Die Energie oder der Impuls ziehe nach unten. Man spricht auch von Pflanzzeit. Dieses Zeitfenster erleichtere den Pflanzen das Anwachsen. Auch das Pikieren von Jungpflanzen gelinge deutlich besser als in der aufsteigenden Mondphase. «Obsigend» bedeutet aufsteigende Mondlaufbahn und darf aber nicht mit zunehmendem Mond verwechselt werden. Dieser Zeitraum stehe für Wachstum. Die Energie ziehe nach oben, in der gleichen Richtung wie die Mondbahn zieht.
70 Prozent Selbstversorgung
Luzia Steiner erzählt, dass beim Einzug in ihr Haus vor 37 Jahren der Garten noch ganz anders ausgesehen habe. «Es war nur ein grosser Rasen mit einer Hecke», bemerkt sie. Für Luzia Steiner stand aber fest, dass sie auf ihrem 1000 Quadratmeter grossen Grundstück einen Gemüsegarten anlegen möchte. Bereits als sechsjähriges Mädchen habe sie ihr eigenes Gartenbeet gepflegt, im Alter von 14 Jahren dann die ersten Setzlinge für ihre Mutter gezogen. Luzia Steiner zieht die meisten ihrer Gemüse- und Blumensetzlinge selber. Sie könne sich fast das ganze Jahr über mit Salaten aus dem eigenen Garten versorgen und decke zu etwa 70 Prozent den eigenen Gemüsebedarf ab. «Ich friere kein Gemüse ein, nur Beeren. Denn erntefrisches Gemüse schmeckt mir einfach besser.» Nur Tomatenüberschüsse konserviert Luzia Steiner durch Heisseinfüllen in Gläser. Bohnen säe sie zeitlich gestaffelt, damit sie von Juli bis Oktober ernten könne. Dasselbe mache sie bei der Aussaat von Salaten. Im Winter konnte Luzia Steiner rund 80 Zuckerhut-Salate ernten. Zuckerhut-Salat eigne sich besonders als Wintersalat, da er auch mit niedrigen Temperaturen bis zu minus sieben Grad zurechtkomme. «Den Löwenzahn lasse ich jeweils bewusst versamen. Denn dieser eignet sich als perfekter Wildkräutersalat im zeitigen Frühjahr.» Wichtig ist für die Abtwilerin auch, dass von Februar bis Oktober immer etwas blüht als Nahrung für Insekten. «Ich staune immer wieder, was aus einem einzigen Samenkorn entstehen kann. Zudem sind die Arbeiten im Garten für mich Kraftquelle, Entspannung und Erholung», sagt Luzia Steiner. Die Gartenpionierin verrät, dass in diesem Jahr der 24. und 25. Juni ideale Tage seien, um Herbstbohnen auszusäen. Und am 14. und 15. August sollte der Nüsslisalat ausgesät werden. Ideale Tage, um Knoblauch zu pflanzen, seien der 15. und 16. September. «Knoblauch sollte nie im Frühjahr gepflanzt werden. Die Knollen können sich nicht richtig ausbilden und sind dementsprechend nur klein. Wenn der Knoblauch im Herbst gesteckt wird, ist der Ertrag durch die längere Wachstumszeit meist auch höher als beim Knoblauch-Pflanzen im Frühjahr.»