Auf die Vielfalt der Natur angewiesen
Marcel und Lucia Neff führen in Lömmenschwil seit elf Jahren einen Landwirtschaftsbetrieb, den sie schon als Biohof übernommen haben. Die beiden leisten einen wichtigen Beitrag an die Biodiversität, indem sie diese schützen und fördern.
Munteres Vogelgezwitscher und zirpende Grillen sind zu hören. Auf einem Grashalm sitzt ein Bockkäfer und an einer Holunderblüte am Waldrand ein goldglänzender Rosenkäfer. Marcel Neff zeigt auf einen etwa 200-jährigen Wasserbirnen-Hochstammbaum. In der Mitte des Stammes ist er gespalten. Einst diente dieser Baum als Lieferant für Mostbirnen, heute sei er ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der Biodiversität. «Wir haben ihn nicht gefällt, denn er gehört zu einem Strukturelement von unserem Hochstammobstgarten und bietet Vögeln sowie Insekten Unterschlupf und Nistplätze», sagt Marcel Neff. Strukturelemente seien beispielsweise auch Asthaufen, Tümpel oder Trockenmauern. Am morschen Birnbaumstamm hat sich inzwischen ein natürliches Insektenhotel gebildet. Zu erkennen sind nebst Bohrlöchern von Wildbienen und Hornissen auch Löcher vom Specht – ein Zuhause für unzählige Lebewesen. «Es ist eine wahre Freude, wenn wir Holzbienen oder zwischendurch einmal ein Hermelin entdecken. Kürzlich wurde hier sogar ein Feldhase gesichtet», erzählt Lucia Neff. Marcel und Lucia Neff führen in Lömmenschwil einen Biohof. Die Biodiversität liegt den beiden am Herzen. Die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu schützen und zu fördern, ist ihnen ein grosses Anliegen.
Lebensräume schaffen
Die beiden haben den Biohof vor elf Jahren von Andreas Breitenmoser, dem Vater von Lucia Neff, übernommen. «Wir haben keine baulichen oder sonstigen Veränderungen vorgenommen und führen den Hof weiterhin biologisch mit knapp 40 Milchkühen», erzählt sie und ergänzt, dass ihr Vater einer der ersten Biolandwirte in der Umgebung gewesen sei. Die Gesamtfläche des Hofes beträgt 24 Hektaren, bestehend aus intensiv bewirtschaftetem Grasland sowie Maisanbau, Mostobst-Hochstämmern, wenig Wald und extensiver Landnutzung neben einem Bach. Zwölf Prozent des gesamten Betriebs sind Biodiversitätsförderflächen. Biodiversitätspunkte seien beispielsweise extensiv genutzte Wiesen (ungedüngte Wiesen auf Trocken- bis Feuchtstandorten, sie stellen einen wichtigen Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten dar), aber auch grosse alte Bäume sowie angelegte Stein- und Asthaufen für Reptilien und seltene Pflanzen. Zum Schutz der Gewässer darf in Bachnähe nicht gegüllt werden. Meistens sind bei einem Bach auch Hangneigungen festzustellen. «Es ist ein kleiner Beitrag, aber zum Beispiel solche Wiesen, die an ein Gewässer grenzen, können extensiv genutzt werden», erklärt Lucia Neff.
Vitamine aus der Natur
Marcel Neff ist gelernter Baumschulist und hat eine Zweitausbildung zum Landwirt absolviert. Seine Frau Lucia ist gelernte Topfpflanzengärtnerin und hat später noch die Ausbildung zur Landwirtin und zur Umwelt- und Naturfachfrau gemacht. Die beiden haben vier Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren. «Unsere Kinder lernen den respektvollen Umgang mit der Natur und werden dafür sensibilisiert, dass alle Lebewesen voneinander abhängig sind.» Neffs bieten auch «Schule auf dem Bauernhof» an, und Lucia Neff hilft im Kindergarten und in der Schule in Lömmenschwil mit, wenn es um Naturkunde-Themen geht. «Die Kinder sollen lernen, dass Obst und Gemüse saisonal gegessen werden sollte.» Oftmals würden heute Multivitaminpräparate geschluckt. «In den Blättern vom Ehrenpreis, der vor unserer Haustüre wächst, stecken viele Vitamine und Eisen – also Vitamine aus der Natur», erklärt die Bäuerin. Die meisten Kinder würden gerne Chips und Pommes essen, doch oftmals fehle das Wissen, dass es dazu Kartoffeln braucht. Es werde ihnen aber auch aufgezeigt, dass es giftige Pflanzen gibt, zum Beispiel die Wolfsmilch oder das Maiglöckchen.
Versuch starten
Neffs haben versucht, auf einem Hanggrundstück eine Wildblumenwiese anzulegen, ohne sie maschinell zu bewirtschaften. Zuerst haben sie die Wiese mit einer schwarzen Plastikfolie abgedeckt, damit das Gras unter lichtarmen Verhältnissen nicht mehr wachsen kann und durch den Lichtverlust schnell verendet. Danach haben sie den Blumensamen auf den nackten Boden gestreut. Das Ergebnis sei jedoch nicht vielversprechend ausgefallen, nur wenige Blumen seien gewachsen. Die Wiese sei vermutlich noch zu wenig abgemagert gewesen, denn die meisten Wildblumen gedeihen nur auf magerem Boden. Neffs haben aber festgestellt, dass es in einer solchen Wiese auch Gräser braucht. Denn ohne sie ist die Blumenansammlung, die daraus wächst, nicht stabil. Doch irgendwann würden die Gräser dominieren und nach einigen Jahren den Part der Blumen übernehmen. Spannend sei aber gewesen, dass sich unter der Folie einige seltene Tapezierspinnen zeigten. Von keinem Landwirt könne verlangt werden, dass er so viel Zeit in den Anbau einer Wildblumenwiese investiere. «Wir haben es einfach versucht, denn in uns beiden schlägt nach wie vor das Gärtnerherz. Letztlich geht es uns auch darum, Wiesen in Hanglagen zu optimieren.»
Niststätten für Vögel
Zur Aufwertung ihres Hochstamm-Obstgartens haben Neffs Nistkästen aufgehängt. Wichtig sei es, möglichst viele Varianten von Vogelhäusern anzubringen, um eine Vielzahl Vogelarten anzulocken. Da Rauchschwalben vorzugsweise im Inneren von Stallgebäuden nisten, hat Marcel Neff in der Scheune und im Stall Kunstnester angebracht. «Es ist erstaunlich, wie viele Schwalben jedes Jahr den Weg hierhin finden, meistens sind es zwischen 30 und 40. Unsere einheimischen Rauchschwalben kehren im Frühjahr aus den afrikanischen Winterquartieren zurück. Sie kommen immer wieder zum gleichen Nest und nutzen es über viele Jahre.» Borkenkäfer können Fichtengruppen zum Absterben bringen. «Ich möchte deshalb in unserem Wald mehr Laubbäume pflanzen, unter anderem Edelkastanien, die mit heissen Temperaturen und Trockenheit klarkommen.» An den Waldrändern seien Faulbaum, Weiden oder Hartriegel zu empfehlen
– Sträucher, die resistent sind und zahlreichen Insekten Nahrung bieten.
Blickwinkel ändern
Ob biologischer oder konventioneller Landbau: Marcel Neff ist überzeugt, dass jeder Landwirt einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität leistet. Denn jedermann sei auf die Vielfalt der Natur angewiesen. Er würde es allerdings begrüssen, dass auch bei öffentlichen und privaten Gebäuden mehr auf Biodiversität geachtet würde. Mit einfachen Massnahmen könnte bereits eine Fläche von etwa zwei Quadratmetern in ein Zuhause für Wildtiere verwandelt werden. Um den Tieren mehr Schutz und Unterschlupf zu bieten, sollten Ast-, Stein- oder Laubhaufen nicht fehlen. Wer auf bienenfreundliche Balkonpflanzen setzen möchte, pflanze beispielsweise Lavendel oder Margeriten. Aber auch Kräuter würden in den Blumenkasten passen und seien zudem insektenfreundlich. Kaum einer wisse, dass nur wenige Wildbienen überhaupt ein Insektenhotel, also Nisthilfen für Insekten, nutzen. Ein Grossteil aller 600 Wildbienenarten sind Erdnister, sie nisten also im Boden. «Ungewaschener, grober Sand kann in einen Blumentopf gegeben werden und ist somit schon eine Nisthilfe für Wildbienen», erklärt Lucia Neff. Die gelernte Topfpflanzengärtnerin benutzt den Rasenmäher nicht und lässt wilde Ecken in ihrem Garten zu. Altgrasstreifen seien ein gesunder und wertvoller Lebensraum für Tier- und Pflanzenwelt. Aus den Brennnesseln, die bei der Sitzplatztüre wachsen, könne zum Beispiel ein Risotto gekocht werden. Für manche sei der Girsch ein lästiges Unkraut. Doch die jungen Blätter seien essbar und können den Hühnern verfüttert oder sogar im Salat untergemischt werden. «Manchmal muss man nur den Blickwinkel ändern – also bewusst die Sichtweise wechseln, um etwas mit anderen Augen zu betrachten», sagt die Landwirtin.
Lebensraum Landwirtschaft
Biodiversität bildet die Grundlage für das Leben. Sie ist wichtig für die Landwirtschaft. Eine intakte Biodiversität erbringt wichtige Ökosystemleistungen, wie zum Beispiel die Bestäubung oder die natürliche Schädlingsregulierung. In dieser Serie wird aufgezeigt, was die Bäuerinnen und Bauern für die Biodiversität tun und wie sie diese unterstützen. red.