Der Torkelbaum ächzt wieder

Im Weindorf Berneck steht im Museum ein Torkelbaum aus dem Jahr 1682. Die Torkelmannschaft sorgt für den Fortbestand der uralten Tradition des Weindrucks und zeigte kürzlich, wie noch vor 100 Jahren Wein gemacht wurde.

Der zehn Meter lange Eichentorkelbaum wurde 1682 gebaut.

Der Torkel ächzt und knarrt, fast so, als würde sich ein riesiges Holztor zum Burgverlies, wie von Geisterhand öffnen. Nochmals drehen die beiden Torkelgehilfen, die «Gehülfen» an der hölzernen Spindel. Dann drückt die ganze Last des Torkelbaums auf das aufgeschichtete Druckgut und der rote Rebensaft sprudelt in den Holzzuber. Im Ortsmuseum Berneck löst sich allmählich die Spannung unter den zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauern. Dicht gedrängt haben sie das historische Erlebnis des Weindruckens wie vor 300 Jahren live miterlebt. Nun sind alle gespannt, wie der frisch gepresste Saft schmeckt, der die «Gehülfen» dem Publikum zum Probieren anbieten. Später wird der junge Wein Peter Indermaur anvertraut, der ihn auf seinem Weingut Maienhalde in Barriquefässern reifen lässt und mit aller Liebe zum Winzerhandwerk hegt und pflegt bis zum grossen Tag der «Antrinkete» am 22. Juni 2024. Dann dürfen die Winzer am Bernecker Weinfest mit dem Rheintaler «Torkel-Wii» einen ganz besonderen Tropfen präsentieren.

Die «Gehülfen» füllen die Maische aus dem Gärzuber um.

Von Thal nach Berneck transportiert

Die Bernecker sind stolz auf ihren Torkelbaum. Er sei der schönste Torkel, der die alten Zeiten überlebt habe und heute der jungen Generation zeige, wie die Winzer damals auch ohne Strom Wein produziert haben. Der Eichentorkelbaum aus dem Jahr 1682 ist ein Meisterwerk an Zimmermannsarbeit und beeindruckt durch seine motorlose Technik. Nachdem er 1930 das letzte Mal in Tal zum Einsatz kam, kauften ihn der Verkehrsverein Berneck für 2000 Franken. Ein paar wenige Bernecker Winzer, unter ihnen Hansjörg Indermaur, haben das Kulturgut 1955 auf dem Weg von Thal ins neue Domizil begleitet. Zugedeckt hinter einem Haus fristete der Torkelbaum zuerst ein eher betrübtes Dasein, bis er 1975 im Bernecker Museum wieder aufgestellt wurde und 2006 mit einem erstmaligen Druck zu neuen Ehren kommt.

Die aufgeschichteten Trauben werden mit Brettern unterlegt.

Traditionen am Leben erhalten

Seit über 1100 Jahren wachsen in Berneck Weinreben. Bis heute pflegen die Winzer mit viel Liebe das Handwerk des Rebbaus. Begünstigt durch den Föhn und das milde Klima, gedeihen die Trauben im Rheintal besonders gut und legen damit das Fundament für kraftvolle und extraktreiche Weine. In der grössten Weinbaugemeinde des Kantons St. Gallen hat Wein als Kulturgut einen besonders hohen Stellenwert. Der Verein Vinum-Berneck sorgt dafür, dass auch im Digitalzeitalter die alten Traditionen nicht in Vergessenheit geraten. Die Generation von morgen und übermorgen soll wissen, wie einst vor alten Zeiten, als es noch keinen Strom gab, die Winzer köstliche Weine herstellen konnten. Mit dem Projekt «Der Torkelbaum ächzt» zeigt die Torkelmannschaft Berneck der Bevölkerung, wie damit noch vor rund 100 Jahren Wein gepresst wurde. Kaum jemand der heute lebenden Generation hat den Torkelbaum anno dazumal, als er in Thal im Einsatz war, persönlich ächzen gehört. Doch dank überliefertem Wissen um das historische Kulturgut, konnte der zehn Meter lange Torkelbaum 1975 in Berneck wieder aufgebaut und in Betrieb genommen werden. Damit die Tradition nicht in Vergessenheit gerät, wurde 2018 die Torkelmannschaft gegründet. Im heute 17-köpfigen Team sind drei Generationen vertreten: Die drei Ü65, die Obertorkelmeister, geben ihren wertvollen Wissensschatz an die jüngeren weiter. Neun Winzer stehen mit ihren 35 bis 65 Jahren mitten im Berufsleben. Von ihren praktischen Erfahrungen können die fünf U34 profitieren. Neben den Obertorkelmeistern besteht die Torkelmannschaft noch aus Torkelmeistern und Torkelgehülfen. Diese «Stiften» müssen noch ihre Sporen abverdienen. Zuvor werden sie überall dort eingesetzt, wo anpacken und Muskelkraft gefragt ist. Nach bestandener Einarbeitungszeit werden die Kandidaten nach altem Bernecker Torkel-Reglement feierlich vereidigt und zu Torkelmeister befördert.

Ein spannender Moment, wenn der junge Wein fliesst.

Der grosse Moment, wenn der Rebensaft fliesst

Mit dem Wimmetfest anfangs Oktober, der Geburtsstunde des Rheintaler «Torkel-Wii», begann die Geschichte um die alte Weinkultur. 43 Winzer aus zehn Rheintaler Dörfern brachten gleich nach dem Wimmet 2500 Kilo Trauben in den Torkel nach Berneck. Dort wurden die Blauburgundertrauben mit ihren rekordträchtigen 97 Öchslegraden eingemaischt und vier Wochen bis zum Pressen in Gärbottichen gelagert. Die Torkelmannschaft hat sich auf den grossen Tag des Weindruckens vorbereitet. Hand in Hand arbeitet das Team, bevor der Torkel zum Ächzen kommt und der rote Rebensaft fliesst. Schwerstarbeit leisten die «Gehülfen» der Torkelmeister, deren Aufgabe es ist, die Maische aus dem Gärbottich auf das Torkelbett zu befördern und später durch Drehen der Spindel per Manneskraft, den Torkelbaum in Bewegung zu setzen. Den genauen Druckvorgang und zahlreiche Geschichten rund um den Weinbau von anno dazumal, hörten die zahlreichen Zuschauer von Felix Indermaur und Viktor Rohner. Der grosse Moment ist gekommen, nachdem das Druckgut auf dem Torkelbett aufgeschichtet und mit Brettern unterlegt worden ist: Auf Kommando von Adrian Wetli und Lukas Hutter, die als Torkelmeister-Kandidaten ihre Feuerprobe bestehen möchten, drehen die «Gehülfen» die Spindel, wodurch sich der zehn Meter lange und sechs Tonnen schwere Torkelbaum ächzend in Bewegung setzt. Durch die Hebelwirkung drücken bald 27 Tonnen auf das Traubengut. Zuerst nur ein feines Rinnsal, dann aber sprudelt der junge Wein wie ein Bächlein in den Zuber.

D: Die Zuschauer verfolgen gespannt den Vorgang es alten Weindrucks.

Zwei neue Torkelmeister

Für die jungen Winzer Adrian Wetli und Lukas Hutter folgte am Abend ein weiterer Höhepunkt. Nach bestandener Einarbeitungszeit und gelungenem Probedruck am Vortag, durften sie unter Beobachtung von Obertorkelmeister Tobias Frei sowie zahlreichem Publikum, das Zepter über das historische Ereignis im Torkelmuseum übernehmen. Die beiden Kandidaten bestanden ihre Prüfung mit Bravour. Nachdem sie Zeremonienmeister Jakob Schegg mit den Rechten und Pflichten eines Torkelmeisters vertraut gemacht hatte, wurden sie feierlich nach dem Torkel-Reglement vom 5. September 1851 der Gemeinde Berneck zu Torkelmeistern befördert und per Handgelübde am historischen Bernecker Schwörstab vereidigt.

Die Torkelmannschaft hat den Torkelbaum zum Ächzen bewegt.

 

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