Grösste Holunderplantage der Schweiz
Familie Helfenberger in Häggenschwil hat sich auf ihrem Landwirtschaftsbetrieb vor 17 Jahren ein Standbein mit Holunder aufgebaut. Inzwischen gedeihen auf einer 3,5 Hektaren grossen Fläche Holunderbäumchen. Im Frühsommer können jeweils etwa viereinhalb Tonnen Holunderblüten geerntet werden.
Eine unverkennbar süssliche Duftschwade liegt in der Luft. Der Holunder steht zurzeit in voller Blüte und seine elfenbeinweissen Dolden verströmen ein verführerisches Aroma. Die Holunderbäumchen am Dorfrand von Häggenschwil sind nicht zu übersehen. Felix Helfenberger begrüsst hier gleich neben der Holunderplantage all die fleissigen Helferinnen und Helfer. Dann erteilt der gelernte Landwirt kurz die nötigen Anweisungen, bevor es mit dem Ernten der Holunderblüten losgehen kann.
Die Erntebedingungen seien an diesem herrlichen Frühsommertag ideal. «Die ganzen Dolden mit vollständig geöffneten Blüten werden nach einigen Tagen bei trockenem und sonnigen Wetter geerntet – aber nie, wenn sie nass sind. Denn der Regen wäscht den wertvollen Blütenstaub ab, den es für die Herstellung eines guten Produktes braucht», erklärt der 53-jährige Häggenschwiler.
Felix und Gaby Helfenberger aus Häggenschwil sowie Stefan und Monika Frieden aus Helmishub bei Muolen führen seit elf Jahren zusammen eine Betriebsgemeinschaft – mit einer Betriebsfläche von insgesamt etwa 45 Hektaren. Nebst den 2000 Bio-Holunderbäumchen gehören auch rund 60 Milchkühe sowie Hochstammbäume mit Mostobst dazu. Die Holunderplantage in Häggenschwil ist 3,5 Hektaren gross – und gilt schweizweit als die grösste.
Natürlicher Rohstoff für Drinks
«Vor 17 Jahren haben wir hier die ersten Holunderbäumchen gepflanzt. Damals hätten wir eine Tafelobstanlage von einer Hektare erneuern müssen, denn die Bäume waren überaltert. So haben wir nach einer Alternative gesucht», erklärt Felix Helfenberger die Beweggründe für den Holunderanbau. Zudem habe er über die Obstbaufachstelle in Flawil erfahren, dass Christof Schenk, der die Firma Holderhof Produkte AG in Niederwil im Jahre 2000 gegründet hat, auf der Suche nach Holunderproduzenten sei. Die Holunderblüten sind natürlicher Rohstoff für Drinks – unter anderem den Hugo sowie erfrischende Limonaden und Sirup. Holderhof-Getränke stehen in den Regalen von Coop und Migros sowie Aldi, Lidl und Globus.
Felix Helfenberger hat sich für den Anbau des Schwarzen Holunders der ertragreichen Zuchtsorte Haschberg entschieden, die sich durch grosse Dolden auszeichnet. Im Jahre 2011 haben die innovativen Landwirte Helfenberger und Frieden zusammen den Baumbestand nochmals aufgestockt, wiederum mit der Sorte Haschberg. Bereits zwei Jahre zuvor ist die Betriebsgemeinschaft mit dem Holunderanbau auf Bio-Produktion umgestiegen. Blattläuse und andere saugende Insekten schätzen den Pflanzensaft des Schwarzen Holunders sehr. Deshalb geht es ganz ohne Pflanzenschutzmittel auch im Biolandbau nicht. Felix Helfenberger setzt Neemöl zur natürlichen Schädlingsbekämpfung ein und spritzt die Holunderbäumchen in der Regel einmal im Frühjahr (etwa drei Wochen vor der Ernte). Neemöl, auch als Niem bekannt, ist ein ökologisches Mittel, das seit einiger Zeit unter anderem zur pflanzlichen Schädlingsbekämpfung eingesetzt wird. Das Öl wird aus Extrakten des Niembaumes, der in Indien und Pakistan heimisch ist, gewonnen. «In der Holunderplantage richten Wühlmäuse zum Teil erhebliche Schäden an, indem sie die Wurzeln anfressen», bedauert Felix Helfenberger. Da es sich beim Holunder um einen Flachwurzler handelt, könne er sich aber teilweise sogar nach Frassschäden wieder erholen und neue Wurzeln bilden. Für die Bienen sei der Holunder allerdings wenig interessant, da die vielen, kleinen Blüten keinen Nektar liefern. Im Obstbau wird der Holunder nicht als Strauch gezogen, sondern einstämmig als kleines Bäumchen.
Aroma und Wirkstoffgehalt
Jetzt im Juni sei der richtige Zeitpunkt, um die Blüten zu ernten – wenn Aroma und Wirkstoffgehalt am höchsten sind. Die Familien Helfenberger und Frieden sowie deren Helfer ernten jährlich etwa 4,5 Tonnen der elfenbeinweissen Blüten. Möglicherweise sei der Ertrag in diesem Jahr etwas kleiner, da es lange nass und kalt war. «Die Wärme hat gefehlt. Doch in den vergangenen Tagen konnte die Natur tüchtig aufholen», ergänzt der Landwirt. Geerntet wird in vier bis fünf Durchgängen.
Dabei müssen die Erntehelfer sehr flexibel sein, da der Zeitpunkt der Ernte zu einem grossen Teil vom Wetter abhängig sei. An diesem Morgen sind zwischen 25 und 30 Helferinnen und Helfer im Einsatz, die aufgeteilt in drei Gruppen arbeiten. Die Ernte ist reine Handarbeit. Einige der Helfer tragen Handschuhe, weil der Holunderbaumsaft die Haut angreifen kann. Die Dolden werden mit einer Baumschere abgeschnitten oder gepflückt – kurz nach der ersten Verzweigung erfolgt der Schnitt. Damit die Dolden locker und luftig liegen, werden als Sammelgefässe Eimer verwendet.
Zeitnah verarbeiten
Anschliessend werden sie in geschlossene Grosskisten geleert, die sich auf dem Traktoranhänger befinden. Zwischendurch schüttelt Felix Helfenberger die Holunderblüten in den Kisten vorsichtig auf, damit sie sich nicht erhitzen und zu gären beginnen. Die Blüten müssen nach der Ernte zeitnah verarbeitet werden. Am späteren Nachmittag hole ein Chauffeur eines Transportunternehmens die Kisten ab, damit die Holunderblüten noch gleichentags kalt angesetzt werden können.
Eine Nachblüte des Holunders sei bis im Spätsommer möglich. Wenn die Dolden verblüht sind, wachsen die dunklen Beeren nach. Daraus können beispielsweise Konfitüren, weitere Getränke und natürliche Lebensmittelfarbe hergestellt werden. Da seit einigen Jahren die Kirschessigfliege die Holunderbeeren-Ernte bedroht, werden in Häggenschwil möglichst viele Blütendolden im Frühsommer geerntet und dadurch nur noch wenige Beeren im Herbst.
Natürliche Standorte des Schwarzen Holunders sind am Waldrand, auf Wiesen und in Gärten. An apfeltauglichen, staunässefreien Lagen gedeiht der Holunder in Plantagen. Der Holunder trägt am einjährigen Holz, an dem sich im Frühjahr Seitentriebe entwickeln. Ohne regelmässigen Auslichtungsschnitt im Winter altern Holunderbäume rasch. Das zeigt sich daran, dass sich bald nur noch kleine Blüten bilden.
Irma Mäder aus Häggenschwil schneidet mit der Baumschere eine Dolde ab und legt sie in den Korb. Sie sagt, dass sie schon seit sieben Jahren hier bei der Holunderblüten-Ernte mithelfe. «Ich bin gerne hier, die Arbeit gefällt mir sehr gut. Es erinnert mich an frühere Zeiten, als wir noch selber einen Landwirtschaftsbetrieb führten.» Am gleichen Baum pflückt Kathrin Zingg aus dem thurgauischen Neukirch/Egnach Holunderblüten. Für sie ist es der zweite Arbeitstag hier in der Holunderplantage. «Meine Schwägerin hat mir davon erzählt. Es ist eine wunderbare Tätigkeit; so richtig entspannend an der frischen Luft.» Die beiden Frauen sehen aus wie gelb eingepudert. Das gehört dazu – denn an den Dolden haftet viel gelber Blütenstaub.
Felix Helfenberger hat den Holunderanbau nie bereut. Ganz im Gegenteil – er würde sich wieder dafür entscheiden. «Ein wesentlicher Vorteil ist, dass die Holunderblüten-Ernte bereits im Frühsommer anfällt und nicht im Herbst, wenn die Äpfel reif sind. Auch bin ich froh, mit der Firma Holderhof Produkte AG einen ausgezeichneten Abnehmer gefunden zu haben. Des Weiteren bin ich sehr dankbar, jedes Jahr auf zahlreiche Helferinnen und Helfer zählen zu dürfen, die Freude an der Holunderblüten-Ernte haben.»