Hanf – ein vielseitig einsetzbarer Überlebenskünstler

Nutzhanf ist ein vergessen gegangener Alleskönner. Martin Klöti von der Genossenschaft Glärnisch Textil sieht in diesem Rohstoff viel Potential, auch für die Landwirtschaft.

Themendbild: Martin Klöti, Präsident der Genossenschaft Glärnisch Textil.

Langstielige blass beige Halme türmen sich in der grossen Halle der Genossenschaft Glärnisch Textil in Schwändi. Mittendrin befindet sich der Verwaltungsratspräsident, Martin Klöti. Er greift eine Hand voll Halme, schüttelt sie, bis sie einigermassen parallel liegen und legt sie sich über den freien Arm. «Es handelt sich um Winterhanf. Dieser ist vor wenigen Tagen eingetroffen», erzählt er ohne seine Arbeit zu unterbrechen und fügt an, dass künftig ein spezieller Parallelmäher eingesetzt werden soll, damit die Halme direkt nach der Ernte für das maschinelle Weiterverarbeiten gerüstet sind und die Handarbeit entfällt. Doch das ist Zukunftsmusik.

Es ist die erste Lieferung Winterhanf für die Genossenschaft Glärnisch Textil. Überhaupt befindet sich das Projekt «Schweizer Nutzhanf» noch im Aufbau. «Wir möchten weg von fragwürdigen, verschwenderischen Produktions- und Konsumformen. Die Lösung liegt in der Kreislaufwirtschaft», erklärt Klöti den Genossenschaftsgedanken. Es gelte Materialien und Hilfsstoffe für die menschlichen Bedürfnisse zu gewinnen und zu verwenden, welche die Natur liefere. Diese sollen zu guten zeitgemässen Produkten verarbeiten werden. Ist die Lebensdauer der Produkte abgelaufen, müssen sie vollständig und einwandfrei zu ihrem Ursprung zurückgehen. Nicht zu vergessen sind die Produktionsbedingungen. Auch die hält die Genossenschaft im Fokus.

Es war eine Reise nach China, die Klöti als damaliger Mitarbeiter der Fachhochschule Nordwestschweiz in Zusammenarbeit mit Sulzer Textil tätigte und ihn zum Handeln brachte. «Was ich dort sah und roch, hat mich sehr bewegt», so sein Fazit. Daraufhin habe er sich Gedanken gemacht, was alles passieren muss, um die Missstände langfristig in Ordnung zu bringen. Während dieser Zeit folgte ein weiteres Schlüsselerlebnis. «Ich wollte ein T-Shirt kaufen das aus einem qualitativ hochwertigen Baumwollstoff gefertigt ist», erzählt er. Er trage seine Kleider über Jahre und bevorzuge daher Stoffe, welche diesem Anspruch standhalten. Doch auf dem Markt fand er nichts Zufriedenstellendes. Wohlwissend, dass sich Herausforderungen nicht von alleine lösen, handelte er und legte den Grundstein für die heutige Genossenschaft Glärnisch Textil.

Werden die langen Hanfhalme gebrochen, so kommen die Fasern zum Vorschein.

Ein anspruchsloser Überlebenskünstler

«Hanf ist ein Überlebenskünstler, gleichzeitig unglaublich vielseitig einsetzbar», weiss Klöti. In der Tat bietet Hanf in Form von Nüssen, Mehl und Öl Nahrung. Gleichzeitig sind die Fasern Lieferant für Textilien, Baustoff und Dämmmaterial. Selbst scheinbarer Ausschuss des Hanfs kann noch verwertet werden. Er findet seine Bestimmung als synthetische Bio –Granulate oder Hanf-Cellulose. Zu guter Letzt lässt sich aus dem Hanf sogar Energie gewinnen. «Hanf deckt unsere Lebensbedürfnisse vollständig ab. Wir müssen ihn nur richtig nutzen.»

Die Faserpflanze wächst unkompliziert, ohne Spritzmittel, ganz egal ob lange Trockenphasen oder plötzliche Regenperioden. Sie wartet einfach ab, bis bessere Zeiten kommen und gedeiht weiter. Selbst auf stark beanspruchten oder vernachlässigten Flächen soll Hanf einsetzbar sein. Entsprechend robust sind seine Fasern. Klöti ergänzt: «Wickeln sich beim Verarbeiten Fasern auf, so spickt vorher ein Teil der Maschine ab, als dass die Faser nachgibt.» Vor allem in der Schifffahrt für Segel und Seile fanden die Fasern früher ihre Anwendung.

Der Winterhanf, welcher in der Halle auf das Weiterverarbeiten wartet, hat aber einen anderen Bestimmungszweck. Er soll für Textilien genutzt werden. Da der wintergewachsene Hanf keine Früchte trägt, fällt der Mähdrescher weg. Dadurch bleiben die Stängel in ihrer ursprünglich gewachsenen langen Form bestehen. Was für stabile reissfeste Fäden spricht. Anders der Sommerhanf. Er ist in erster Linie Öl- und Nusslieferant. Das durch den Drescher verkürzte Stroh findet somit als Baumaterial seinen Bestimmungszweck.

Aus Winterhanf kann Kleidung entstehen.

Mehr Wertschöpfung möglich

Klöti ist überzeugt, dass sich die Landwirtschaft neu positionieren kann, in dem sie nebst der Ernährung einen wesentlichen Beitrag für die weiteren Bedürfnisse der Wirtschaft abdeckt. Das Ziel der Genossenschaft geht sogar noch weiter. «Wir möchten den Landwirten ermöglichen, direkt auf ihren Betrieben Halbfertigfabrikate zu produzieren. So wird die Wertschöpfung für die Betriebe erhöht. Gleichzeitig wird das Wissen der Hanfverarbeitung breit abgestützt.» Die dazu benötigten Maschinen sollen sich dank der Genossenschaft Glärnisch Textil in einer Preisklasse befinden, welche von den Landwirten auch gestemmt werden kann.

Hanf füllt derzeit die grosse Halle von Glärnisch Textil in Schwanden.

Zurzeit wächst an den verschiedensten Standorten in der Schweiz Nutzhanf. Es ist ein Anliegen von Martin Klöti, dass auch im Glarnerland und in der Linthebene Landwirte zur Produktion gewonnen werden. Das Glarnerland mit seiner langen Textiltradition verfüge noch über eine der letzten industriellen Spinnereien in der Schweiz. Grad der Winterhanf würde so unmittelbar dort verarbeitet, wo er wächst. «Das spart Transportwege und bietet abgelegenen Gebieten die Chance auf Arbeitsplätze.» Zudem wachse mit diesem Schritt die Landwirtschaft über ihre Grundfunktion als Nahrungsmittellieferantin hinaus und werde zum Partner für sämtliche Grundbedürfnisse des Menschen. Klöti mahnt: «Gerade jetzt, wo der nahe Krieg in der Ukraine wütet, sollten wir sensibilisiert sein, wie wichtig eine breit aufgestellte Landwirtschaft ist.»

 

Aus den kurzen Hanffasern wird Baustoff hergestellt.

Noch immer entwirrt er Winterhanfhalme in der grossen Halle. Demnächst werde eine, eigens für die Weiterverarbeitung dieser langen Fasern konstruierte Brechmaschine das Sortiment in Schwändi erweitern. Dann ist ein zusätzlich wichtiger Schritt getan, um starke Fäden zu spinnen und qualitativ hochwertige Stoffe zu weben. Damit nicht nur Martin Klöti zu einem langlebigen T-Shirt kommt.

Fragen an Marco Baltensweiler, Leiter Amt für Landwirtschaft des Kantons Glarus
Wie realistisch sehen sie den Anbau von Hanf im Glarnerland?
Marco Baltensweiler: Wir beschäftigen uns schon länger mit der Frage, wie sich die Landwirtschaft im Glarnerland entwickeln soll. Nebst Milch- und Fleischproduktion weist das Tal auch ungefähr 220 Hektaren fruchtfolgefähiger Boden aus, der sich für Ackerbau eignet. Winterhanf als Zwischenfrucht hat durchaus ein Potential.
Wo liegen diese Flächen?
Baltensweiler: Hauptsächlich in Glarus Nord auf den meliorierten Flächen.
Worin liegt die Schwierigkeit?
Baltensweiler: Natürlich gibt es eine Interessensabwägung zwischen den möglichen Produktionsausrichtungen. Die müssen wir im Auge zu behalten. Auch soll das bis jetzt gut funktionierende Gleichgewicht der Nutzung der Grünflächen im Tal und der Alpbestossung weiterhin intakt bleiben. Ein sensibles Vorgehen und überlegtes Handeln ist notwendig, weil sich auch nicht alle Böden zwischen Bilten, Näfels und Molis für Ackerbau eigenen.
Was würde das Realisieren des Hanfanbaus für das Glarnerland bedeuten?
Baltensweiler: Das Glarnerland war lange Zeit ein Textilkanton. Der Anbau von Winterhanf, welcher für die Textilproduktion verwendet wird, würde daher sehr gut ins Tal passen. Auch ist die Kreislaufwirtschaft, wie sie Glärnisch Textil andenkt, wertvoll für eine nachhaltigere Landwirtschaft. Wir würden damit nicht die Welt retten, doch einen Schritt in eine gute Richtung tun. bas.

 

 

 

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