Obstfachreise nach Holland
Anfang Juni stand eine Obstfachreise des St. Galler Obstverbands an. Diesmal ging es in die Niederlande. Nahezu 40 interessierte Obstbauern erhielten in den vier Tagen einen umfassenden Einblick in den innovativen Obstbau. Nebst dem fachlichen Teil wurde auch das Gesellschaftliche gepflegt.
Der St. Galler Obstverband startete seine Auslandsreise in Amsterdam. Nach einem kurzen Flug und gestärkt durch ein typisch höllandisches Mittagessen im historischen 1e Klas Grand Café am Hauptbahnhof, ging es auf eine gemütliche Grachtenrundfahrt. Immer wieder faszinierend ist die Entdeckung der Stadt vom Wasser aus. Historische Kaufmannshäuser und viele Brücken sowie links und rechts der Grachten unzählige Velofahrer eilig unterwegs, lassen die Fahrt zu einem Erlebnis werden. Dies dazu noch bei ungewohnt sonnigem Wetter. Wenn heute die Grachten dem Tourismus dienen, waren sie früher wichtige Transportwege zur Förderung des Handels. Seit 2010 gehört der Grachtengürtel zum Unesco-Welterbe.
Professionelle Anbautechnik
Nach einer geruhsamen Nacht in Utrecht starteten die Teilnehmer zur ersten Betriebsbesichtigung. Mark Vernooij in Cothen bewirtschaftet einen 26 Hektaren grossen Obstbaubetrieb, den er vor sechs Jahren von seinem Vater übernommen hatte. Nebst 16 Hektaren Äpfel gehören noch zehn Hektaren Birnen zum Betrieb. 700 Tonnen Früchte werden selbst gelagert. Hauptsorte bei den Äpfeln ist Elstar mit sechs Hektaren, gefolgt von Goldreinette mit drei Hektaren, und Kanzi. Bei den Birnen dominiert die Sorte Conférence. Der junge Betriebsleiter zeigt seine Innovation im Anbau von neuen Apfelsorten wie Bloss, Tessa/Fengapi und Maribelle auf. Bei den Birnen steht eine erste Parzelle der Sorte Migo. Beim Rundgang durch die Kulturen zeigt sich die hohe Professionalität in der Anbautechnik. Nichts wird dem Zufall überlassen. Gepflanzt wird auf drei Metern X 0,75 Meter. Hochstehendes Pflanzmaterial, gut ernährt, auch mit organischem Dünger, angewendeter Klickschnitt bei den Äpfeln und dem 1-2-3-Schnitt bei den Birnen, gepaart mit viel Erfahrung in der chemischen Ausdünnung und einem gezielten Pflanzenschutz, führt über Jahre in den Kulturen zu hohen Erträgen mit einem guten Output. Im Zuge der kommenden Robotisierung ist auch bereits der zweidimensionale 2-D-Baum ein Thema. Mit den neuen Sorten mit einem anderen Geschmackserlebnis steht Mark Vernooij in engem Kontakt mit dem Handel und erhofft sich ein stabileres Preisniveau als bei den herkömmlichen Sorten, wo die Schwankungen von Jahr zu Jahr gross sind.
Kirschen und Eventlokal
Am Nachmittag stand die Besichtigung des Kirschenbetriebes von Erik Vernooij in Cothen auf dem Programm. Er führt den Betrieb in vierter Generation. Sein Leben gehört den Kirschen. Nebst dem Anbau betreibt die Familie ein Kirschenmuseum. Jährlich werden grosse Anlässe durchgeführt, so unter anderem das Kirschenfestival mit circa 15 000 Besuchern. Die Verpflegung der Besucher findet dank des Eventlokals ebenfalls auf dem Betrieb statt. Auch die Teilnehmer genossen das Catering der Familie. Erik Vernooij baut auf 18 Hektaren Kirschen an, alle unter Witterungsschutz. Danebst stehen auf dem Betrieb noch einige Hektaren Birnen und sechs Hektaren Johannisbeeren. 50 Prozent der Kirschen verlassen den Hof über den Grosshandel oder gelangen direkt zum Detaillisten, 50 Prozent der Erntemenge wird direkt vermarktet. Zur Sortierung der Kirschen steht auf dem Hof eine eigene Sortiermaschine mit einer Leistung von 1000 bis 1400 Kilo pro Stunde. Verkauft werden nur Kirschen in der Grössenklasse 28 mm +. Der Betrieb ist weltweit gut vernetzt. Seine Kontakte reichen von den europäischen Staaten bis hin nach Chile. Nicht verwunderlich, sind somit etwa 50 Sorten im Anbau, teils erst in Testung. Hauptunterlage ist Gisela 5. Zur Bekämpfung der Kirschessigfliege steht den Holländern nur noch Spinosad zur Verfügung. Somit wird die Bekämpfung des Schädlings ein immer grösser werdendes Problem.
Nach der Rückkehr ins Hotel, folgte eine Stadtbesichtigung ins Zentrum von Utrecht. Utrecht ist mit seinen rund 370 000 Einwohnern nach Amsterdam, Rotterdam und Den Haag die viertgrösste Stadt der Niederlande und hat einen wunderschönen Altstadtteil mit dem Domplein, dem Dom, der zu den bedeutendsten Kirchenanlagen der Niederlande zählt. Die Anwesenheit vieler junger, flanierender Menschen liess den Schluss zu, dass in Utrecht eine Universität beheimatet sein muss, was sich bewahrheitete.
Wissenschaftsluft schnuppern
Am Vormittag des dritten Reisetages besichtigte die Schweizer Reisegruppe die Universität Wageningen. Unter der Leitung von Jan Peters erhielten sie einen Einblick in diverse Forschungsprojekte im Obstbau. Beeindruckend und auffallend war die projektbezogene Zusammenarbeit der Forschung mit den verschiedenen Partnern in der Obstbranche, so zum Beispiel mit Eignern von neuen Sorten. Bei allen gezeigten Forschungsprojekten ging es darum, die Produktion in ihrem Vorhaben in der hochstehenden Früchteproduktion bezüglich Menge und Qualität zu unterstützen. So stehen neue, rotbackige Birnensorten wie Fred, Red Conférence, Gräfin Gepa, PiqaBoo, QTee, Migo und Royal Red Comice im Vergleich. Bei den Apfelsorten werden neue Mutanten der Sorte Elstar getestet. Oder man geht der Frage nach der optimalen Anbautechnik von neuen Sorten wie Magic Star, Bloss, mit dem Ziel, hohe Früherträge von bester Qualität zu erzeugen, nach. Lehrreich waren auch die Versuche zur chemischen Fruchtausdünnung. Zum Einsatz kommen ATS, ein mehrmaliger Einsatz von BA und Ethrel. Ebenfalls ein Thema ist die Prüfung von Apfelunterlagen wie G11 und G41 im Vergleich zu M9T337. Im Kirschenanbau wird der Schnitt optimiert, mit dem Ziel, die Fruchtgrösse positiv zu beeinflussen – dies mit der Förderung von ein- bis zweijährigem Holz. Abgetragenes Holz gehört weggeschnitten. Wie in der Schweiz ist auch in Holland der Pflanzenschutzmitteleinsatz ein grosses Thema. Der andauernde Wegfall von Wirkstoffen beschäftigt auch die Holländer. In einem Versuch zeigen sie auf, was passiert, wenn künftig weitere Wirkstoffe wegfallen würden. Die Pilzkrankheit Krebs wird zunehmen. Im Zuge der Robotisierung werden Anbauformen von 2-D-Systemen verglichen.
Revolution in Baumqualität
Am Nachmittag stand die Besichtigung der Baumschule Fleuren auf dem Programm. Im Jahre 2022 durfte das in dritter Generation geführte Unternehmen den 100. Geburtstag feiern. Jährlich werden circa 1,5 bis 1,7 Millionen Obstbäume produziert. Die Hälfte der Anbaufläche steht in Deutschland, wo vor allem Apfel- und Birnbäume produziert werden. Die restlichen 50 Prozent der Fläche werden in Holland zur Produktion von Kirschen- und Pflaumenbäumen bewirtschaftet. Die Baumschule Fleuren hat den Knippbaum entwickelt.
Zur Bekämpfung der Kirschessigfliege steht den Holländern nur noch Spinosad zur Verfügung.
Dies war eine Revolution in der Baumqualität. Dieser Jungbaum ermöglicht hohe Früherträge und einen zeitnahen Vollertragseintritt. 85 bis 90 Prozent der Bäume gehen in den Export, sieben Prozent in die Schweiz. Zur Lagerung der Bäume wurde im Jahre 2008 das erste Kühlhaus erstellt. Dies ermöglicht eine hohe Flexibilität in der Baumauslieferung. Neupflanzungen werden heute bis zum längsten Tag gemacht. Auch die St. Galler Obstbauern konnten Anfang Juni noch etliche Tausend Bäume im Kühllager besichtigen. Die Baumschule Fleuren betreibt nebst der Jungbaumproduktion auch eine Versuchsparzelle in der Grösse einer Hektare. In der Testung stehen von den Obstarten Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen und Pflaumen insgesamt 190 Sorten.
Zu Besuch beim Handel
Den Abschluss der fachlichen Besichtigungen bildete am vierten Reisetag das Handelsunternehmen Vogelaar Vredehof. Das Unternehmen wurde im Jahre 1932 gegründet, damals mit dem Anbau von Äpfeln und Birnen und deren Versteigerung an Veilings. 1968 begann die Direktlieferung an die Detaillisten. Heute gehen zu 100 Prozent der Früchte an die niederländische Supermarktkette Albert Heijn. In Holland stehen vier Distributionscenter und zwei Packlager mit je zwei Sortieranlagen für Äpfel und Birnen, eine davon in Enspijk, wo die Teilnehmer eine Führung hatten. Vogelaar Vredehof pflegt eine gute Zusammenarbeit mit den Produzenten. In den Niederlanden und Belgien sind es 110 Anbauer, die eine Fläche von 2500 Hektaren Äpfel und Birnen bewirtschaften. Das ganze Jahr, also 52 Wochen, ist die Birnensorte Conférence im Angebot.
Zusammen mit Albert Heijn und den Produzenten wurde das Label «Beter voor Natuur & Boer» entwickelt. Eine regionale Produktion mit resilienten/robusten Sorten unterstreicht die nachhaltige Produktion. Angebaut werden aktuell Marken wie Magic Star und QTee und exklusiv für Albert Heijn die Sorte Sprank. Besichtigen konnten die Reiseteilnehmer auch eine zwei Hektaren grosse, sich im Aufbau befindende Agroforstparzelle direkt vor dem Packlager in Enspijk. Erstellt wurde sie im Frühling 2023. Albert Heijn beteiligt sich zu 50 Prozent an diesem Projekt. Da werden verschiedene Apfel- und Birnensorten und Wildpflanzen im Trio-System im Zirkel ohne jeglichen Pflanzenschutz angebaut, mit dem Ziel, das Ökosystem besser kennenzulernen.
Den Abschluss der Obstfachreise bildete die Stadtrundfahrt in Rotterdam mit «Splashtours» – einem Amphibienbus.