«Eigene Versorgung ist wichtig»

Die Delegiertenversammlung des St. Galler Bauernverbands (SGBV) fand praktisch vor der Türe der Geschäftsstelle statt. Die aktuelle Agrarpolitik und die eidgenössischen Wahlen gaben zu reden. Im Vorstand gab es einen Wechsel.

Peter Nüesch, Präsident des St. Galler Bauernverbands (rechts), und Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands. Bilder: Ruth Bossert
Peter Nüesch, Präsident des St. Galler Bauernverbands (rechts), und Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands. Bilder: Ruth Bossert

Vergangene Woche fand in Flawil die 50. Delegiertenversammlung des St. Galler Bauernverbands (SGBV) statt. Rund 350 Delegierte fanden sich im Lindensaal ein. Dass so viele Personen an der Versammlung teilgenommen haben, dürfte wohl auch dem etwas unvorhersehbaren Wetter geschuldet sein. Der Frühling hat jedoch bereits Einzug gehalten. Das war auch dem von den Bäuerinnen Flawil liebevoll dekorierten Saal anzusehen. Auch nicht immer eitel Sonnenschein war das vergangene Jahr aus der Sicht der Landwirtschaft. Das Jahr 2022 sei ein Jahr der Widersprüche gewesen, blickte Peter Nüesch, Präsident des SGBV, zurück. Er erinnerte daran, dass die Pandemie und der Krieg in der Ukraine den Konsumentinnen und Konsumenten die Wichtigkeit der Lebensmittelversorgung in der Schweiz aufgezeigt hätten. Die Lebensmittelversorgung in der Schweiz sei während Corona sichergestellt gewesen und sei es auch jetzt während des Ukrainekriegs. In einer globalisierten Welt habe ein Krieg wie jener in der Ukraine Auswirkungen, die weit mehr als nur politische Machtverhältnisse beeinflussen würden. So werden Warnungen über eine weltweite Nahrungskrise immer lauter, und diese seien ernst zu nehmen. «Auch in der Schweiz haben wir dazu Verantwortung zu tragen. Denn für jede zweite Mahlzeit, die auf den Schweizer Tisch kommt, importieren wir Nahrungsmittel aus dem Ausland. Es ist also definitiv nicht falsch, sich Gedanken darüber zu machen, wie es um unsere Lebensmittelversorgung steht», sagte der Präsident.

Besorgt blickte er auf die aktuellen Herausforderungen der Schweizer Landwirtschaft, die sich um eine eigene Lebensmittelversorgung im Land bemüht. Die Steine aber, welche die Agrarpolitik der Landwirtschaft in den Weg lege, werden immer grösser.

Den Bogen überspannt

Über die parlamentarische Initiative wurden etliche neue Vorgaben für die Landwirtschaft ausgearbeitet. «Wir kommen nun in den ‚Genuss‘, diese umzusetzen», sagte Nüesch. Er verwies auf die neuen Direktzahlungsprogramme und die neuen Forderungen, mit denen die Landwirtschaft weiter eingeschränkt werde.

Der «gläserne» Bauer

Ab 2026 sollen alle Hilfsmittel, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, also Dünger, Kraftfutter und Pflanzenschutzmittel, in der nationalen Datenbank «Digiflux» eingetragen werden. Nüesch bezweifelt, dass dies eine Vereinfachung für die Landwirte sei, wie es das Bundesamt für Landwirtschaft versuche darzustellen. Er sehe es als höhere Überwachung des Landwirts.

Auch die «Verökologisierung» der Landwirtschaft macht Nüesch zu schaffen. Die zusätzlichen 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf Ackerfläche, welche nun auch ausgeschieden werden müssen, seien die Spitze des Eisbergs. «Vielen Bundesparlamentariern auf der links-grünen Seite ist nicht bewusst, dass wir Bäuerinnen und Bauern alles 1:1 umsetzen müssen, was das Parlament beschliesst.»

Wegweisende Wahlen

Der Präsident wies darauf hin, dass das Jahr 2023 ein politisch entscheidendes Jahr sei. Am 22. Oktober finden die eidgenössischen Wahlen statt. Ziel sei es, das Parlament wieder bürgerlicher und landwirtschaftsfreundlicher zu wählen. «Das ist der entscheidende Hebel, um wieder eine Richtungsänderung in der Agrarpolitik anzustreben.» Am 30. April findet der zweite Wahlgang für die Ständeratsersatzwahlen statt. Nüesch ist überzeugt, dass Esther Friedli die richtige Besetzung im Stöckli ist.

Allem Ärger zum Trotz – und auch wenn einzelne Voten für einen Boykott werben (siehe Kasten) – findet es Peter Nüesch zum jetzigen Zeitpunkt nicht richtig, auf Konfrontationskurs zu gehen. «Das bringt nichts, im Gegenteil. Wir müssen Allianzen schmieden, die Sympathien der Wähler auf die Seite der Landwirtschaft und der bürgerlichen Parteien bringen.» Er wies darauf hin, dass die kantonale Landwirtschaft mit dem Gewerbe und der Industrie- und Handelskammer im Kanton St. Gallen einen guten Austausch pflege. Denn auch sie seien auf eine bürgerliche Vertretung in Bern angewiesen. «Aus diesem Grund werden wir auch zukünftig die eine oder andere Abstimmungsvorlage unterstützen, die nicht nur die Landwirtschaft betrifft, sondern auch Gewerbe und Industrie.»

Gegensteuer geben

In die gleiche Kerbe schlug auch Markus Ritter, Nationalrat (Die Mitte) und Präsident des Schweizer Bauernverbands. «Vor vier Jahren haben wir verloren. Das Parlament ist nach links gerutscht. Das Resultat ist spürbar», blickte er zurück. «Jetzt müssen wir Gegensteuer geben.» Mit der Kampagne «Perspektive Schweiz», bei der Wirtschaft und Landwirtschaft am gleichen Strick ziehen, will man die eidgenössischen Wahlen am 22. Oktober zusammen gewinnen. Auch Ritter wies auf den zweiten Wahlgang für die Ständeratsersatzwahlen hin. Er warnte aber, dass es trotz des guten Resultats von Esther Friedli im ersten Wahlgang kein Spaziergang werde. «Die Linken werden alles in die Waagschale werfen.» Er betonte ausdrücklich, dass mit Esther Friedli eine fähige bürgerliche Politikerin in den Ständerat gewählt werden könnte. Dafür müssen die Bäuerinnen und Bauern nochmals voll durchmobilisieren. «Das macht ihr nicht nur für Esther Friedli, ihr macht das für die Landwirtschaft, für euch, eure Familie und eure Nachkommen.»

Regierungsrat Beat Tinner, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, überbrachte die Grussworte der Regierung. «Es ist mir wichtig, die Anliegen der Branche direkt mitzubekommen», sagte er am Anfang seiner Rede. Er sprach die Weiterentwicklung der sistierten AP 2022+ an und über die Umsetzung der Pa.Iv. 19.475. «Die Umsetzung fordert sowohl die Bäuerinnen und Bauern, die Beratung und auch die Vollzugsstellen.» Die Regelungsdichte soll auf ein vertretbares Mass gebracht werden. Das Direktzahlungssystem könne ja schon heute kaum jemandem erklärt werden.

Kleine Rochade

Peter Mosberger hat bereits im vergangenen Jahr seinen Rücktritt als Vizepräsident angekündigt. Er war insgesamt zehn Jahre im Vorstand des SGBV. Er wurde von der Versammlung unter grossem Applaus verabschiedet. «Den Dank möchte ich weitergeben an die Familien, die sich für die Öffentlichkeitsarbeit in der Landwirtschaft starkmachen», sagte Fredi Mosberger an die Versammlung gerichtet.

Der Landwirtschaftsrat empfahl den Delegierten Philipp Schönenberger aus Rossrüti zur Wahl zum neuen Vizepräsidenten. Der 33-Jährige ist bereits seit 2021 Vorstandsmitglied des SGBV. Der Biolandwirt hält Aufzuchtrinder, betreibt Ackerbau, hält Legehennen und bewirtschaftet Hochstammobstbäume. Er ist Mitglied der Partei Die Mitte und wird ab Sommer im Stadtparlament in Wil Einsitz nehmen.

Für den Vorstand kandidiert Erich Eberle. Der 38-Jährige aus Wittenbach ist verheiratet und hat drei Kinder. Auf seinem Betrieb leben 50 Milchkühe. Nebst der Milchwirtschaft sind Mostobst, Legehennen und die Direktvermarktung wichtige Betriebszweige. Erich Eberle ist Mitglied im Schulrat, im Viehzuchtverein und in der Ortspartei der Mitte.

Philipp Schönenberger und Erich Eberle wurden von der Versammlung einstimmig gewählt.

Peter Nüesch, Präsident, und Mathias Rüesch, Geschäftsführer, verabschieden Fredi Mosberger, der als Vizepräsident zurücktritt.
Peter Nüesch, Präsident, und Mathias Rüesch, Geschäftsführer, verabschieden Fredi Mosberger, der als Vizepräsident zurücktritt.

Aus der Geschäftsstelle

Geschäftsführer Mathias Rüesch zeigte auf, was die Geschäftsstelle während des letzten Jahres bewegte. Er setzte dabei den Fokus auf die Öffentlichkeitsarbeit, «in der die Landwirtschaft sichtbar gemacht wird». Man wolle nun das Projekt Schule auf dem Bauernhof (SchuB) forcieren. Das Ziel sei, in jeder Gemeinde einen produzierenden Betrieb zu finden. Die Rechnung gab keinen Anlass zu Diskussionen und wurde von der Generalversammlung einstimmig genehmigt.

Voten aus der Delegiertenversammlung

Einige Delegierte nutzten die Gelegenheit, das Wort an die Versammlung zu richten. Eine Zusammenfassung:

Ursula Egli, Bäuerin und Kantonsrätin SVP:

Sie macht darauf aufmerksam, dass bei Revisionen von Schutzverordnungen Vorsicht geboten sei. Es sei wichtig, dass Bäuerinnen und Bauern den Daumen draufhalten und sich in politischen Ämtern engagieren. Durch eine Ausweitung des Landschaftsschutzes werde die produzierende Landwirtschaft immer mehr eingeschränkt.

Walter Freund, Landwirt und Kantonsrat SVP:

Er befürchtet ebenfalls eine Einschränkung der produzierenden Landwirtschaft durch Ausscheidung zusätzlicher Biodiversitätsförderflächen. Er animierte den Vorstand des SGBV dazu, politisch alle Hebel in Bewegung zu setzen und sich zu wehren.

Christoph Zürcher, Präsident Bäuerliche Vereinigung St. Gallen-Gossau:

Er kritisierte die «unsinnige» Vorgehensweise des Bundes, um die Biodiversität zu erhöhen. Als Beispiel nannte er ebenfalls die 3,5 Prozent BFF auf Ackerflächen. Die neue Vorschrift werde dazu führen, dass mehrjährige Ökoflächen zerstört werden.

Thomas Marty, Biolandwirt:

Er machte darauf aufmerksam, dass die Stimme der Basis Einfluss auf die Verbände habe. Die Basisabende von Bio Ostschweiz seien schlecht besucht. Wenn man etwas verändern wolle, müsse man sich beteiligen.

Peter Kuster, pensionierter Landwirt, Kantonsrat SVP:

Es sei Zeit für einen Aufruf zum Boykott. «Ich würde das heute nicht mehr mitmachen», sagte er mit Blick auf die Agrarpolitik. meg.

 

Philipp Schönenberger (links) wurde von der Versammlung zum Vizepräsidenten und Erich Eberle in den Vorstand gewählt.
Philipp Schönenberger (links) wurde von der Versammlung zum Vizepräsidenten und Erich Eberle in den Vorstand gewählt.

50 Jahre St. Galler Bauernverband

Auf ein Fest zum runden Geburtstag des St. Galler Bauernverbands (SGBV) wurde verzichtet. Denn bereits 2019 feierte der SGBV zwei grosse Jubiläen. Vor 200 Jahren (1819) wurde die Landwirtschaftliche Gesellschaft des Kantons St. Gallen gegründet. Vor 100 Jahren wurde die Bauernpolitische Vereinigung des Kantons ins Leben gerufen. Die beiden Organisationen fusionierten 1973 zum St. Gallischen Bauernverband, dem heutigen SGBV, der heute ein jugendliches Alter von 50 Jahren vorweisen kann. meg.

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