Hilfeschrei aus der Landwirtschaft

Die Direktion des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) wurde auf den Betrieb von Bruno Wagner nach Niederbüren eingeladen, um sich ein Bild der aktuellen Situation in der Landwirtschaft zu machen. Im Fokus standen die Vorgaben und Regulierungen, welche die Bauern zunehmend überfordern.

Bruno Wagner (vorne) erläutert die Herausforderungen auf seinem Betrieb.

Bruno Wagner (vorne) erläutert die Herausforderungen auf seinem Betrieb.Im Oktober 2022 reichten 30 Personen aus den Kantonen St. Gallen, beider Appenzell und Glarus eine Petition zuhanden des Parlaments ein. Die aktuelle Agrarpolitik macht den Bäuerinnen und Bauern zu schaffen. In der Petition «Für eine nachhaltige Agrarpolitik in Zusammenarbeit von Politik und Branche» machen die Petitionäre ihrem Unmut Luft. Die für die Landwirtschaft zuständigen Behörden wurden unter anderem gebeten, sich auf einen Betrieb zu begeben, um direkt vor Ort von den Herausforderungen zu erfahren. Eine siebenköpfige Delegation des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) nahm die Einladung des St. Galler Bauernverbands und der Petitionäre an und traf am Dienstag, 4. März, in Niederbüren ein.

Bruno Wagner hat für den Besuch des BLW an einer Wand im Stall 40 A4-Seiten aufgehängt. Darauf sind die Kontrollpunkte aufgeführt.
Bruno Wagner hat für den Besuch des BLW an einer Wand im Stall 40 A4-Seiten aufgehängt. Darauf sind die Kontrollpunkte aufgeführt.

 

Vollzählige BLW-Direktion

Vertreter der Bauernverbände und die Präsidenten der regionalen Bauernorganisationen empfingen die BLW-Delegation auf dem Betrieb von Bruno Wagner. Mit Direktor Christian Hofer, Andrea Leute, Bernard Belk, Gabriele Schachermayr, Jean-Marc Chappuis, Cédric Moullet und der Kommunikationsverantwortlichen Florie Marion war die gesamte Direktion des Amts erschienen. Bruno Wagners Betrieb umfasst gut 40 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. Er hält Milchkühe, Mastkälber und Zuchtschweine und betreibt Ackerbau.

Bruno Wagner führte die Gäste in den Stall, wo er an einer Wand 40 A4-Blätter aufgehängt hat. Darauf sind über 2500 Kontrollpunkte aufgeführt. «Seid ihr auf dem Laufenden? Kennt ihr alle diese Kontrollpunkte?», fragte er die BLW-Vertreter. Es sei eine Vereinfachung versprochen worden, aber nichts sei geschehen. Im Gegenteil, es sei alles viel komplizierter geworden. «Wir Landwirte werden immer mehr eingeschränkt», kritisierte er. Dass kontrolliert werden müsse, sei ihm klar. «Aber die Bauern haben Angst vor diesen Kontrollen.» Das sei belastend. Mache der Landwirt einen Fehler, müsse er bezahlen. Wenn in der Verwaltung ein Fehler passiere, werde dort niemand finanziell belangt. Wagner kam auf die 3,5 Prozent Ackerbiodiversitätsförderflächen zu sprechen, die politische Zwängerei, das Herumschrauben an den Direktzahlungsprogrammen und die fehlende Planungssicherheit. «Wir Landwirte denken in Generationen, die Politiker denken nur bis zu den nächsten Wahlen», meinte er. Die Landwirtschaft habe schon so viel für die Biodiversität getan und immer wieder werde eine Schippe draufgelegt. «Landwirte arbeiten seit jeher nachhaltig, aber in der Politik werden wir als Sündenböcke dargestellt.»

Armin Risch sprach für die Gemüsebauern.
Armin Risch sprach für die Gemüsebauern.

Kein Rosenkohl mehr

Armin Risch, Präsident der Gemüsebauvereinigung Rheintal, erläuterte die Probleme aus der Sicht der Gemüsebauern. «Viele Produzenten resignieren», machte er klar. Die Verordnungen seien zum Teil schwer zu vollziehen. Zudem müssen die Landwirte immer mehr leisten, um auf das gleiche Einkommen zu kommen. Er kritisierte die Kurzfristigkeit und Dichte der neuen Anpassungen. Als Beispiel nannte er die Produktionssystembeiträge. Man habe sich im August letzten Jahres sehr kurzfristig anmelden müssen, ohne genau zu wissen, was auf die Betriebe zukommt. Ab 2025 soll Digiflux eingeführt werden. Landwirtschaftsbetriebe werden verpflichtet, die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln digital zu erfassen. «Vielen Produzenten graut es davor», sagte Risch. Denn der Aufwand für den Produzenten, das System zu füttern, sei enorm. Weiter kritisierte er das Verbot für gewisse Pflanzenschutzmittel (PMS) respektive Wirkstoffe. Das würde dazu führen, dass in der Schweiz beispielsweise kein Rosenkohlanbau mehr möglich sei und man diesen importieren müsse.

BLW-Direktor Christian Hofer nimmt Stellung.
BLW-Direktor Christian Hofer nimmt Stellung.

Mehr Ertragseinbussen

Silvan Wagner wird dereinst den von der IP-Suisse anerkannten Betrieb von seinem Vater Bruno übernehmen. Ihm machen die neuen Biodiversitätsförderflächen (BFF) im Ackerbau zu schaffen. Er zeigte den BLW-Vertretern, über welche BFF der Betrieb verfügt und dass sie mehr als die sieben Prozent der geforderten Fläche umfasst (11,2 Prozent). Er machte klar, dass er es nicht verstünde, warum eine QII-Fläche, die direkt an einen Acker grenzt, nicht angerechnet werden könne. Er zeigte auch auf, was zusätzliche BFF respektive die Acker-BFF für den Betrieb bedeuten: «Unter anderem geht wertvolles Ackerland verloren, die Bewirtschaftung wird ineffizient und mehr Dünger muss abgeführt werden.» Auch hinsichtlich der geplanten Gewässerraumausscheidungen sieht er grosse Ertragseinbussen auf sich zukommen. «Als zukünftiger Betriebsleiter bin ich mir nicht sicher, wohin das Ganze führen soll.»

Auch Hansruedi Thoma, Präsident des Bauernvereins Toggenburg, richtete das Wort an die BLW-Leute. Seit der AP 2002 würden sich die Bedingungen ständig verändern. «Die Petition ist ein Hilfeschrei», sagte Thoma und fasste die Forderungen zusammen (siehe Kasten).

Die Vertreter der Bauernverbände und die Präsidenten der regionalen Bauernorganisationen luden das BLW ein.
Die Vertreter der Bauernverbände und die Präsidenten der regionalen Bauernorganisationen luden das BLW ein.

Keine Hintertür

Bis dahin haben sich die BLW-Leute kaum geäussert. Sie sind gekommen, um zuzuhören. Nach der Stellungnahme von Christian Hofer, Direktor des BLW, war denn auch der eine oder andere Punkt etwas klarer und man erhielt auch eine andere Sicht auf die Dinge.

«Die Politik bestimmt den Weg, das BLW ist die Verwaltung», erklärte Hofer. «Es ist auch für uns teilweise herausfordernd, die Agrarpolitik zu formulieren und mit den Kantonen umzusetzen.» Es sei ihnen beim BLW ein Anliegen, die Massnahmen so zu erarbeiten, dass man sie auch umsetzen könne. Hofer sagte, dass er selbst als praktizierender Landwirt tätig gewesen sei und die Anliegen aus der Praxis kenne. Sehr viele Mitarbeitende beim BLW hätten selbst bäuerliche Wurzeln.

Den Vorwurf, dass die parlamentarische Initiative 19.475 eine Einführung von Verordnungen durch die Hintertür sei, lässt er nicht auf sich beruhen. Er erinnerte an die beiden Agrarinitiativen im Jahr 2021 und dass auch der Bundesrat diese abgelehnt habe. Allerdings nicht, ohne Argumente zur Hand zu haben. Das Parlament hat die parlamentarische Initiative verabschiedet und diese verankert den Absenkpfad mit Zielwerten für das Risiko beim Einsatz von Pestiziden gesetzlich. Damit habe man gegen die Initiativen argumentiert, die ein Verbot von synthetischen Pestiziden verlangte. Sogar der Bauernverband habe mit diesem Argument gegen die Initiativen gekämpft. Die parlamentarische Initiative sei die Konsequenz, keine Hintertür. Die Produktionssystembeiträge seien mit der Branche erarbeitet und auch die Weidebeiträge seien aus den Reihen der Bauern gefordert worden, informierte er.

Er gibt zu, dass das agrarpolitische System sehr komplex sei. «Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir über die Bücher müssen», meinte er. Das BLW habe bereits eingebracht, dass die Agrarpolitik nicht alle vier, sondern alle acht Jahre angepasst wird. Hofer machte klar, dass das BLW kein Gegner der Bäuerinnen und Bauern sei. Die Ziele sind die gleichen.

Im Anschluss beantwortete Christian Hofer Fragen aus der Runde. Doch viele Fragen blieben offen. Die Verbände bleiben mit dem BLW in Kontakt, um weitere Anliegen klären zu können.

Forderungen der Petitionäre (Zusammenfassung)

– Der Artikel 104a zur Ernährungssicherheit soll im Rahmen der zukünftigen Agrarpolitik im Parlament beachtet werden (Abstimmung 2017).

– Anpassungen der Agrarpolitik sollen Zukunftsperspektiven, Stabilität und Planungssicherheit bieten.

– Zielkonflikte sind zu vermeiden. Wird mehr pflanzliche Produktion verlangt, soll nicht noch mehr Ackerfläche zusätzlicher BFF oder Gewässerraumausscheidungen weichen.

– Die Landwirtschaftspolitik dürfe nicht alleine in den Amtsstuben der Bundesverwaltung ausgearbeitet werden.

– Die verantwortlichen Behörden sollen sich auf den Betrieben ein Bild der Situation machen.

– Das Parlament soll dafür sorgen, dass in den Gesetzes- und Verordnungsrevisionen die Kantone mehr Gehör erhalten.

– Vereinfachung der Administration.

– Personelle Ressourcen im BLW sollen halbiert werden. meg.

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