Rück- und Ausblick auf die St.Galler Landwirtschaft

Das Jahr 2023 war unter anderem geprägt von einem nassen Frühling, der Wolfspräsenz und den Wahlen. Auch im nächsten Jahr stehen weitere Aufgaben an. Mathias Rüesch, Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbands, blickt im Interview aufs Jahr 2023 zurück und wagt einen Ausblick für das neue Jahr.

Mathias Rüesch ist Geschäftsführer des SGBV. Bild: zVg.
Mathias Rüesch ist Geschäftsführer des SGBV. Bild: zVg.

Was hat Sie als Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbands (SGBV) im Jahr 2023 am meisten beschäftigt?

Mathias Rüesch: Abgesehen von politischen Themen und Herausforderungen, habe ich einen grossen Brocken meiner Arbeitszeit der personellen Entwicklung der Geschäftsstelle in Flawil gewidmet.

Werden Dienstleistungen des SGBV ausgebaut? Welche?

Rüesch: Im kommenden Jahr dürfen wir unsere bewährten Versicherungsdienstleistungen und -beratungen auch im Appenzellerland anbieten, was mich sehr freut.

Was bedeutet der Versicherungszusammenschluss für die Versicherten?

Rüesch: Wegen des vergrösserten Teams haben wir an zusätzlicher Fachkompetenz gewonnen, von der in der Summe alle unsere Versicherten profitieren dürften. Dank unserer grossen, vielfältigen Erfahrung und unserem Know-how sind wir überzeugt, gerade auch den Bauernfamilien im Bereich der Gesamtversicherungsberatung einen zusätzlichen Mehrwert und die bestmögliche Unterstützung bieten zu können.

Eine wichtige Arbeit des SGBV ist auch die Öffentlichkeitsarbeit. Welche Projekte stehen 2024 in der Geschäftsstelle an?

Rüesch: Unser erfolgreicher Familienanlass «Vo Puur zu Puur» ist im September im Toggenburg zu Gast. Damit durften wir jede Gegend im Kanton St. Gallen einmal besuchen und den Menschen die Landwirtschaft näherbringen. Bereits jetzt sind die Vorbereitungen für unseren Messeauftritt an der Tier & Technik so gut wie abgeschlossen, und an der Olma werden wir wiederum mit einer spannenden, überraschenden Sonderschau zu Gast sein.

Das Wetter im Frühling war nicht besonders «bauernfreundlich». Der erste Schnitt erfolgte für viele Milchbauern «zu spät». Es gab zwar viel Futter, aber die Qualität hat gelitten. Gab es diesbezüglich Anfragen auf der Geschäftsstelle?

Rüesch: Anfragen gab es vor allem von Seite der nicht-bäuerlichen Presse, die sich gefühlt bei jedem Wetterumschwung nach der Befindlichkeit in der Landwirtschaft erkundigte. Solche Anfragen zeigen deutlich auf, dass es vielen Bürgerinnen und Bürgern und eben auch den Journalisten fremd ist, mit dem Wetter und seinen Kapriolen zu arbeiten. Für uns Bauern ist es selbstverständlich, dass wir uns nach dem Wetter zu richten haben, unsere Erträge und unsere Arbeitsstunden unmittelbar davon beeinflusst werden.

2023 war die Heuernte herausfordernd. Bild: Patrick Tschus, Mels
2023 war die Heuernte herausfordernd. Bild: Patrick Tschus, Mels

Am 1. Januar 2023 trat die parlamentarische Initiative 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» mit Ausnahme der Nährstoffbilanz und der 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen in Kraft. Traten in Zusammenhang mit der Einführung Probleme auf?

Rüesch: Das ganze Konstrukt war bei seiner Einführung nicht zu Ende gedacht und verursachte viel Kopfzerbrechen. Auf allen Ebenen waren wir mit Unsicherheiten und Unklarheiten konfrontiert. Gewisse Korrekturen wurden bereits wieder vorgenommen. Generell lässt sich sagen, dass mit der Einführung das schlechte Gewissen der Schweizer Bevölkerung besänftigt wurde, verschiedene Kulturen in der Schweiz nicht mehr in dieser Form angebaut werden und dafür Produkte importiert werden, um die Nachfrage zu befriedigen. Ist das sinnvoll?

Eine grosse Kostenfrage war die Anschaffung von Schleppschläuchen. Das Obligatorium trat am 1. Januar definitiv in Kraft. Wurden bis Ende Jahr noch viele Ausnahmegesuche beantragt? Rechnen Sie noch mit weiteren?

Rüesch: Ja, wir haben Kenntnis von einer grossen Zahl an Ausnahmegesuchen. Es wird auch in Zukunft weitere Gesuche geben, allerdings nicht mehr in dieser Häufung. Was wir bedauern, ist die Tatsache, dass sich verschiedene Gemeinden nicht an die Empfehlungen der Vereinigung St. Galler Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten (VGSP) hielten und für die Bearbeitung der Gesuche Gebühren erhoben haben.

Wenn wir schon beim Geld sind; der Bundesrat hat im Oktober die Vernehmlassung zu den drei landwirtschaftlichen Zahlungsrahmen für die Jahre 2026–2029 eröffnet. Die Gelder sollen um 2,5 Prozent gekürzt werden. Die Vernehmlassung dauert bis 24. Januar. Wie hat sich der SGBV dazu geäussert?

Rüesch: Der Vorstand des SGBV hat zur Ausarbeitung der Stellungnahme eine Arbeitsgruppe gegründet, die in diesen Tagen zusammenkommt, und den definitiven Wortlaut der SGBV-Vernehmlassung formuliert. Grundsätzlich muss man allerdings in Betracht ziehen, dass die Ausgaben des Bundes für die Landwirtschaft seit 20 Jahren konstant bei 3,7 Milliarden Franken liegen und heute nur noch 4,5 Prozent der Gesamtausgaben ausmachen. Alle anderen Ausgabenbereiche des Bundes sind in diesem Zeitraum gewachsen. Auch liegt das landwirtschaftliche Einkommen immer noch weit unter dem Vergleichseinkommen, wobei der Stundenlohn im Durchschnitt nur gerade 17 Franken beträgt. Nicht zu vergessen sind die Anforderungen an die landwirtschaftliche Produktion, die in den letzten Jahren und insbesondere durch die Umsetzung der Pa. Iv. 19.475 (Nährstoffverluste und Risiken beim Einsatz von Pflanzenschutzmittel reduzieren) stark angestiegen sind. Die Bauernfamilien konnten den Wert der landwirtschaftlichen Produktion trotz Rückgang der Fläche und höherer Produktionsanforderungen konstant halten. Sind unter diesen Voraussetzungen Sparmassnahmen im Agrarbudget zu rechtfertigen?

Der Wolf beschäftigte auch 2023 die Land- und Alpwirtschaft. Am 1. Juli wurde die Jagdverordnung angepasst und ab 1. Dezember 2023 sind nun auch klar definierte Rahmenbedingungen zur präventiven Regulierung von Wolfsrudeln zur Verhütung zukünftiger Schäden erlaubt. Sind Sie damit zufrieden?

Rüesch: Die aktuelle Möglichkeit zur präventiven Regulierung ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung und dringend notwendig, um der Land- und Alpwirtschaft eine Zukunftsperspektive zu bieten. Herdenschutz funktioniert nur dann, wenn gleichzeitig auffällige und problematische Rudel entfernt werden können. Es gilt abzuwarten, was die nächste Vernehmlassung der Verordnung bringt.

Der Kanton St. Gallen beantragte im November den Abschuss des ganzen Calfeisenrudels. Jenes Rudel, das im August in die Schlagzeilen geriet, weil es einer Älplerin im Calfeisental regelmässig zu nahe kam und im Weisstannental Schafe gerissen hatte. Es ist allerdings schwierig, ein ganzes Rudel zu schiessen.

Rüesch: Es beunruhigt mich, dass es den St. Galler Wildhütern seit August nicht gelungen ist, die zum Abschuss freigegebenen Jungwölfe zu erlegen und dass das Rudel noch immer durch unsere Täler streift und seine Spuren hinterlässt. Kurz vor Weihnachten wurde zwar ein Jungwolf erlegt, aber das entspricht nicht unseren Erwartungen und stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in die Wildhut nicht. Seit wir im August auf der Alp Schräa waren, gehen bei uns regelmässig glaubhafte Hinweise zum Aufenthalt des Wolfsrudels ein. Die Hoffnung, dass die St. Galler Wildhüter in der Lage sind, ihren Auftrag zu erledigen und das Rudel zu entfernen bleibt – allein die missliche Abschussquote bis jetzt, im Vergleich zu den Walliser oder Bündner Behörden, die ganz andere Zahlen zu erfüllen haben und recht erfolgreich unterwegs sind – stimmt nicht gerade optimistisch.

Im Calfeisental befindet sich ein Wolfsrudel. Dieses darf nun geschossen werden. Bild: Melanie Graf
Im Calfeisental befindet sich ein Wolfsrudel. Dieses darf nun geschossen werden. Bild: Melanie Graf

Im Oktober fanden die nationalen Wahlen statt. Der St. Galler Bauernverband unterstützte 13 bäuerliche Kandidaten. Die bisherige Esther Friedli (Ständerätin) und Markus Ritter (Nationalrat) wurden im Amt bestätigt. Doch konnte kein weiterer bäuerlicher Sitz für den Kanton St. Gallen gewonnen werden. Sind Sie darüber enttäuscht?

Rüesch: Unser grundsätzliches Ziel, mehr bürgerliche Politiker aus St. Gallen nach Bern zu senden, haben wir erfüllt. Es ist korrekt, dass wir gerne einen zusätzlichen Landwirt, eine zusätzliche Bäuerin nach Bern geschickt und auch die ersten Ersatzplätze mit unseren Kandidaten besetzt hätten. Dies ist uns insofern gelungen, dass Walter Gartmann, der seiner Partei einen zusätzlichen Sitz bescherte, der Landwirtschaft als Winzer sehr nahesteht und es mit Marco Gadient ein bäuerlicher Kandidat tatsächlich auf den ersten Ersatzplatz der SVP geschafft hat. Was mich sehr freute, war die hohe Wahlbeteiligung auf dem Lande, in bäuerlichen Kreisen. Wenn es uns gelingt, dieses grosse Engagement auch bei zukünftigen Wahlen und Abstimmungen hoch zu halten, finden wir mit unseren landwirtschaftlichen Anliegen Gehör und können unseren Kandidaten zu Sitzen in den Parlamenten verhelfen.

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Am 3. März wird der Kantonsrat neu gewählt. Das Ziel des SGBV ist es, bisherige bäuerliche Parlamentarier zu bestätigen und neue bäuerliche Kandidaten in den Kantonsrat zu bringen. Welche Strategie verfolgt der Verband, um das Ziel zu erreichen?

Rüesch: Auch hier sind wir darauf angewiesen, dass die bäuerliche, die ländliche Bevölkerung möglichst geschlossen an die Wahlurne geht und unsere Kandidatinnen und Kandidaten wählt. Eine hohe Mobilisation ist entscheidend für den Wahlerfolg des Bauernstands. Der SGBV wird den bäuerlichen Kandidaten zusammen mit den regionalen bäuerlichen Vereinigungen die notwendige Plattform bieten, um sich bekannt zu machen und um sich zu positionieren. Für die Monate bis zur Wahl haben wir eine breite Palette von Massnahmen geplant, um unsere Ziele zu erreichen.

Nach den Erneuerungswahlen in der Regierung wird das Thema Gemeindeviehschauen und öffentliche Schlachtviehmärkte thematisiert werden. Es geht dabei um Sparmassnahmen des Kantons. Wie will der Verband die Regierung von der Wichtigkeit der Schauen und Märkte überzeugen?

Rüesch: Es sind zwei völlig unterschiedliche Themen mit der Gemeinsamkeit, dass Tiere aus verschiedenen Beständen zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammen kommen und der Kanton einen gewissen finanziellen Beitrag leistet. Dann hat es sich schon mit den Gemeinsamkeiten. Die Schlachtviehmärkte sind ein wichtiges Instrument in der regionalen Vermarktung unserer Tiere, die Gemeindeviehschauen in vielen Gemeinden gelebtes Kulturgut und Tourismusmagnet. Beide haben in der aktuellen Form ihre absolute Berechtigung, und es profitieren die unterschiedlichsten Anspruchsgruppen – nicht nur die Landwirtschaft.

Welche Herausforderungen stehen im neuen Jahr zusätzlich an?

Rüesch: Neben den bereits erwähnten Themen wird uns im neuen Jahr die Abstimmung zur Biodiversitäts-Initiative beschäftigen. Aus landwirtschaftlicher Sicht sollte man den Fokus viel mehr in die Verbesserung der Qualität der bestehenden Biodiversitätsflächen legen – und das über die Landwirtschaft hinaus: Denn die Schweizer Bauernbetriebe setzen im Schnitt 19,3 Prozent ihrer Flächen oder über 190 000 Hektaren Land für die Förderung der biologischen Vielfalt ein. Das entspricht der vierfachen Fläche des Bodensees. Dazu kommen weitere Flächen, wie die rund 500 000 Hektaren extensiv bewirtschafteten Sömmerungsflächen.

Was würde bei einer Annahme passieren?

Rüesch: Bei einer Annahme der Biodiversitäts-Initiative würde die nachhaltige Energie- und Lebensmittelproduktion, aber auch die Nutzung des Waldes und des ländlichen Raums für den Tourismus stark eingeschränkt. Die einheimische Versorgung würde geschwächt und die Importe von Energie, Essen und Holz nähmen zu.

 

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