Regierungsrat Beat Tinner zum Projekt Wil West

Am 25. September stimmt die Bevölkerung über einen Sonderkredit für die Arealentwicklung Wil West ab. Für dieses Projekt würden 18 Hektaren Fruchtfolgefläche verschwinden. Regierungsrat Beat Tinner (FDP) nimmt im Interview zum Projekt Stellung.

Wil West von Oben.
Für das Projekt Wil West müssten 18 Hektaren Fruchtfolgeflächen verbaut werden. Es regt sich Widerstand. Bild: Wil West

Die Bevölkerung des Kantons St.Gallen wird am 25. September an der Urne über den Sonderkredit in der Höhe von 35 Millionen Franken für die Arealentwicklung (Feinerschliessung und Vermarktung) befinden (siehe Kasten). Der St.Galler Kantonsrat stimmte dem Kredit im April 2022 mit 80 Ja- zu 27 Nein-Stimmen zu.

Gegenwind erhält das Projekt von Links-Grün und auch von der SVP, die kürzlich und überraschend die Nein-Parole fasste. Auch aus bäuerlichen Kreisen ist Widerstand spürbar. Die St.Galler FDP bot dem «St.Galler Bauer» ein Interview mit Regierungsrat Beat Tinner, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements an, um über das Thema Wil West zu sprechen.

Herr Tinner, die FDP hat den «St.Galler Bauer» für ein Interview mit Ihnen eingeladen. Das riecht ein bisschen nach Verzweiflung.

Beat Tinner: Nein, so ist es nicht. Mir ist es wichtig, als Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements aufzuzeigen, welche Chancen dieses Projekt beinhaltet. Ich bin aber auch bereit, mich kritischen Fragen zu stellen und das Projekt zu erklären. Das ist meine Aufgabe. Alles andere überlasse ich dem politischen Umfeld.

Welche Chancen und Vorteile sehen sie im Projekt Wil West?

Tinner: Es ist ein Projekt in einem funktionalen Raum. Es ist Vorzeigebeispiel. Das heisst, über die Kantonsgrenzen hinweg geplant und mit Beteilung verschiedener Gemeinden. Die Infrastrukturen kann man ganz gezielt mit diesen Wirtschaftraum verknüpfen. Es ist ein Generationenprojekt. Es wird also nicht von heute auf morgen alles verbaut.

Da sind aber noch diese 18 Hektaren Fruchtfolgeflächen, die verschwinden werden.

Tinner: Den Befürchtungen, dass man Land zugunsten der Wirtschaft verbraucht, möchte ich entgegenhalten, dass es sinnvoller ist, konzentriert 18 Hektaren bereitzustellen, als wenn alle Gemeinden selbst Zonenerweiterungen vornehmen.

Es ist sinnvoller, konzentriert 18 Hektaren bereitzustellen, als wenn alle Gemeinden selbst Zonenerweiterungen vornehmen.

Ein solcher Wirtschaftsstandort bringt Zuzüger. Das ist gut für die Steuereinnahmen. Diese Zuzüger benötigen aber Wohnraum, Schulen und andere Infrastrukturen. Ist die Stadt Wil, um ein Beispiel zu nennen, darauf ausgerichtet?

Tinner: Diese Arbeitnehmenden kommen ja nicht alle auf einmal, eher in einem Zeitraum von 20 bis 25 Jahren. Und diese Arbeitnehmenden werden sich ja auch kaum alle in Wil ansiedeln. Entscheidender ist der Mix von Arbeitsplätzen, die in diesem Raum entstehen.

Warum ist das entscheidender?

Tinner: Ganz in meinem Sinne als Volkswirtschaftsdirektor und der Regierung wollen wir die Ressourcenkraft (mehr Steuereinnahmen) des Kantons St. Gallen stärken. Das ist unser oberstes Ziel.

Aber die Arbeitnehmer müssen ja trotzdem irgendwo wohnen. Egal, ob sie das in Winterthur machen, in Münchwilen oder St.Gallen. Das benötigt Platz und Fläche.

Tinner: Die Raumplanung sagt klar, dass man zuerst die Innenentwicklung fördern muss. Die bestehenden Reserven müssen sinnvoll genutzt werden. Das Raumkonzept St.Gallen will das Bevölkerungswachstum in den Zentren (grössere Städte bzw. Agglomerationen) konzentrieren und realisiert haben.

Die Bevölkerung wächst. Diese Menschen müssen essen. Für das Projekt werden 18 Hektaren «geopfert». Ist das in der heutigen Zeit und Situation und hinsichtlich der Selbstversorgung im Land noch zu verantworten?

Tinner: Der Selbstversorgungsgrad ist definiert.

In Anbetracht der aktuellen Situation oder möglichen künftigen mageren Zeiten, ist man vielleicht froh, wenn man die eigenen Kartoffeln anbauen kann und nicht importieren muss.

Tinner: Wir haben bei den Nahrungsmitteln einen Netto-Selbstversorgungsgrad von knapp 50 Prozent. Man kann es drehen und wenden wie man will, wir werden auf gewisse Importe angewiesen sein. Mit der Stärkung der Ressourcenkraft im Kanton St.Gallen und somit mit mehr Steuereinnahmen können auch die Anliegen in den bäuerlichen Kreisen finanziert werden.

Gibt es denn schon konkrete Projekte und Anliegen aus bäuerlichen Kreisen, welche die Regierung unterstützt?

Tinner: Wir sind derzeit an der Fertigstellung des Umsetzungsberichts der künftigen Landwirtschaftspolitik des Kantons St.Gallen. Wichtig ist uns der Pflanzenbau und die Milchwirtschaft. Es ist zudem eine Ausweitung bei der Digitalisierung vorgesehen. Wir wollen mit mehr Mitteln die Innovation fördern und Feldversuche am Landwirtschaftlichen Zentrum St.Gallen (LZSG) stärken.

Das gesamte Projekt wird auf Thurgauer Boden entstehen. Die 18 Hektaren Fruchtfolgeflächen sollen auch im Kanton Thurgau kompensiert werden. Diese Kompensation besteht darin, dass man den Humus auf mageren Flächen verteilt. Man hat zwar Flächen aufgewertet, aber die 18 Hektaren sind weg.

Tinner: Ja, dem ist so.

Kann man dann überhaupt von einer Kompensation sprechen?

Tinner: Den Boden kann man nicht vermehren. Diese Kompensation ist ein üblicher Vorgang. Der Kanton St.Gallen muss mindestens 12’500 Hektaren Fruchtfolgeflächen bereithalten. Wenn irgendwo etwas verbaut wird, muss man diese Fläche an einem anderen Ort kompensieren. Der Bedarf und Verbrauch gehen nicht nur für Bauten weg, sondern auch für Strassen. Im Übrigen ist es die Landwirtschaft selbst, welche die grösste Verbraucherin von Flächen ist – für die eigenen, immer grösser werdenden Ökonomiegebäude.

Das lassen wir mal so stehen. Die Regierung setzt sich sehr intensiv für das Projekt ein.

Tinner: Die Regierung hat ein klares Statement abgegeben und darum engagiert sie sich auch zusammen mit der Regio Wil für dieses Projekt. Es geht auch um Verkehrserschliessungen, diese können wir nicht isoliert betrachten. Die Siedlungsentwicklung und die Verkehrsentwicklung müssen aufeinander abgestimmt werden. Bei diesem Projekt gibt es auch neue Infrastrukturen für den öV. Wir sorgen dafür, dass diese in die Bundesplanung aufgenommen werden.

Im Übrigen ist es die Landwirtschaft selbst, welche die grösste Verbraucherin von Flächen ist – für die eigenen, immer grösser werdenden Ökonomiegebäude.

Diese neuen Infrastrukturen unterstützen die Umlagerung vom motorisierten Individualverkehr hin zum öffentlichen Verkehr. Auch ein Autobahnanschluss ist vorgesehen, ist das kein Widerspruch?

Tinner: Es braucht beides. Wir haben im Kanton St.Gallen einen öV-Anteil von 25 Prozent. Den wollen wir in Wil West auf 40 Prozent erhöhen. Der Autobahnanschluss entlastet die Stadt Wil.

Im Moment herrscht ein Fachkräftemangel. Sind sie zuversichtlich, dass diese 2000 bis 3000 Arbeitsplätze besetzt werden können?

Tinner: Wir wollen mehr Fachkräfte im Kanton St.Gallen halten. Das heisst, unsere Abgängerinnen und Abgänger der Universität St.Gallen, der Fachhochschulen und andere Weiterbildungslehrgängen sollten hierbleiben und nicht nach Zürich abwandern. Hier wird Wil West einen Beitrag leisten.

Sie sprechen explizit von Akademikern. Auf diesem Areal sollte aber sicher auch noch handwerklich gearbeitet werden.

Tinner: Es hat Platz für beides. Das Areal soll Platz für einen Mix aus Arbeiten und Wissensvermittlung werden.

Die Arbeitsplätze für die Wissensvermittlung könnte man aber in die Höhe bauen.

Tinner: Ja, das wird gemacht.

Nochmals zurück zur ursprünglichen Frage. Können die Arbeitsplätze besetzt werden?

Tinner: Der Zeithorizont liegt bei 20 bis 25 Jahren. Es wird wirtschaftliche Dellen und Veränderungen im Arbeitsmarkt geben. Aber es gibt auch Verlagerungen von der einen in die andere Branche.

Wie viel Einfluss hat die Regierung auf die Unternehmen, die sich in Wil West niederlassen würden?

Tinner: Es gibt qualitative Vorgaben über die räumliche und architektonische Ausgestaltung. Es besteht ein Arealentwicklungsvertrag. Der Kanton Thurgau und der Kanton St.Gallen tauschen sich über potenzielle Interessenten aus. Es ist nicht unser Ziel, den rstbesten zu platzieren.

Ist es für ein Unternehmen wie Tönnies beispielsweise möglich, sich in Wil West niederzulassen?

Tinner: Fleischverarbeiter sehen wir nicht auf diesem Areal. Diese Vorstellung ist ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Der Kanton St.Gallen wird seinen Einfluss geltend machen. Aber wir reden immer noch vom Hoheitsgebiet des Kantons Thurgau.

Der Kanton St.Gallen stimmt über einen Kredit ab, die Thurgauer nicht. Warum?

Tinner: Wir brauchen einen Kredit um das Areal zu erschliessen und es danach zu vermarkten. Wir wollten es nicht einfach einzonen und auf den Markt «werfen». Wir haben uns dafür entschieden, dass wir die Entwicklung beeinflussen wollen.

Was passiert bei einem Nein an der Urne?

Tinner: Bei einem Nein ist die Mitwirkung des Kantons St.Gallen in Bezug auf Vermarktung und Feinerschliessung gestoppt. Der Kanton Thurgau wird das Gebiet vermutlich trotzdem einer Einzonung zuführen. Es blieben zwei Optionen: Entweder kauft der Kanton Thurgau das Land, das im Besitz des Kantons St Gallen ist, oder man übergibt es dem Markt. Aber der Einfluss wäre verloren.

Was würde ein Nein für Sie heissen?

Tinner: Ein Nein hätte sicher folgende Botschaft: Die Bevölkerung will nicht, dass der Kanton St.Gallen Geld für eine Feinerschliessung aufwendet und sie will nicht, dass der Kanton selbst das Gebiet vermarktet. Entscheidend ist, ein Nein hätte auch eine Signalwirkung auf andere Arealentwicklungsgebiete.

Warum?

Tinner: Es würden in anderen Regionen Zweifel aufkommen. Das führt zu einer Blockade. Wenn Wil West stirbt kann man nicht einfach sagen, das ist ja nur in Wil. Ein Nein würde sich auf den ganzen Kanton auswirken.

Wenn Wil West stirbt kann man nicht einfach sagen, das ist ja nur in Wil. Ein Nein würde sich auf den ganzen Kanton auswirken.

Angenommen es gibt ein Ja – und das Projekt floppt. Wer steht dafür gerade?

Tinner: Es wird nicht floppen.

Warum nicht?

Tinner: Der Bedarf an Arbeitsplatzflächen ist da. Die Arbeitsfläche und die Verkehrsinfrastruktur sind an einem attraktiven Ort. Es wird nicht floppen.

Bei 18 Hektaren Kulturland, das verloren geht, blutet jeder Bäuerin und jedem Bauern das Herz. Wie wollen sie die Landwirte für das Projekt überzeugen?

Tinner: Indem ich den Bauern aufzeige, dass es sinnvoller ist, an einem Ort mit allen Erschliessungsmöglichkeiten Flächen zu schaffen, um die Weiterentwicklung des Kantons St.Gallen voranzutreiben. Es ist immer noch besser, als wenn jede Gemeinde für sich Zonen erweitert.

Angenommen der Fünfer steht für die Finanzen und das Weggli für etwas zu Essen. Was würden sie wählen?

Tinner: Ich nehme beides.

Wie bekommen Sie den «Füfer und s’Weggli»?

Tinner: In dem ich regional einkaufe und Produkte von den Bauern vom Ort konsumiere. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass es Steuereinnahmen braucht, um auch die Landwirtschaft finanzieren zu können, sonst geht auch das System nicht mehr auf.

Wil West kurz erklärt

Im Westen von Wil, auf dem Gebiet des Kantons Thurgau bei Münchwilen und Sirnach, soll auf 33 Hektaren ein Wirtschaftspark entstehen. Es soll ein Standort für Gewerbe- und Industriebetriebe mit 2000 bis 3000 neuen Arbeitsplätzen geschaffen werden. Dieses Areal soll eine eigene Autobahnausfahrt, einen eigenen Bahnhof und weitere Haltestellen für den Bus erhalten. Das für das Projekt vorgesehene Land liegt vollständig im Kanton Thurgau, der Kanton St.Gallen ist jedoch im Besitz von 12,4 Hektaren. Die Grundstücke gehörten früher zum Gutsbetrieb der damaligen Kantonalen Psychiatrischen Klinik Wil (heute: Kantonale Psychiatrische Dienste Sektor Nord). Für dieses Projekt würden 18 Hektaren Fruchtfolgeflächen (FFF) verbaut werden. meg.

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