Die Liebe zum Kultobjekt
Mario Tavella aus dem thurgauischen Bischofszell besitzt insgesamt etwa 40 Vespas und Lambrettas. Es sind alles Oldtimer, denen der gelernte Elektriker in den vergangenen Jahren neues Leben eingehaucht hat.
«Früher war es vielfach das Fahrzeug für die Landwirtschaft. Denn damit konnte alles Mögliche transportiert werden, auch Stroh- oder Heuballen», erzählt Mario Tavella und zeigt auf seine Vespa mit Jahrgang 1958. Dass diese einst tatsächlich auf einem Bauernhof zum Einsatz kam, lässt sich schnell beweisen. Mario Tavella beginnt zu lachen. Er öffnet das Gepäckfach dieser Vespa und nimmt einen «St. Galler Bauer» mit Datum vom 21. Februar 1970 heraus. Vespas und Lambrettas sind seine grosse Leidenschaft – Mario Tavella aus Bischofszell im Kanton Thurgau besitzt rund 40 Stück da-
von – alles Oldtimer, die er selbst restauriert hat.
Die Liebe zum Kultobjekt ist auch in Mario Tavellas Wohnhaus nicht zu übersehen. So entdeckt man beispielsweise in den Wohnräumen Vespas als Deko-Objekte, in der Küche eine Deckenbeleuchtung aus Vespa-Lampen oder Tafeln und Bildern der italienischen Stil-Ikone.
Angefangen hat alles schon ganz früh. Bereits als Knabe habe er gerne Velos geflickt, später kamen dann Mofas dazu. «Wir waren zu Hause vier Buben und besassen deshalb auch mehrere Töffli – beispielsweise Puch-Velux und Sachs», erklärt Mario Tavella und ergänzt, dass ihn die Technik und Fahrzeuge schon immer interessierten, und er auch stets gerne «getüftelt» habe. Wie schon damals seien auch heute nicht immer alle Original-Ersatzteile erhältlich. Da brauche es ab und zu den nötigen Erfindergeist, um etwas auszuprobieren und selbst ein passendes Teil herzustellen. Der 55-jährige Bischofszeller erzählt, dass inzwischen auch Töffli wieder voll im Trend seien. Doch dieses Kapitel habe er abgeschlossen. «Die Töfflizeiten habe ich dazumal zur Genüge ausgelebt», erzählt der gelernte Elektriker, der ein eigenes Elektrogeschäft führt, schmunzelnd.
Neues Leben einhauchen
«Ich war etwa 22 Jahre alt, als ich mir für wenig Geld eine alte spanische Lambretta gekauft habe – mein erster Roller überhaupt», erinnert er sich. Es sei ein Restaurierungsobjekt in nicht besonders berauschendem Zustand gewesen, und schon gar nicht fahrtüchtig. Kurze Zeit später sei dann eine alte Vespa dazugekommen – ebenfalls in einem desolaten Zustand – alt, verrostet und nicht mehr fahrbar. Es scheint, dass es dann Mario Tavella so richtig den Ärmel reingezogen hat. Denn seine Oldtimersammlung mit Vespas und Lambrettas ist seither stetig gewachsen – und seine beiden Zweirad-«Ladys», die er in jungen Jahren erstanden hat, besitzt er immer noch. «Es ist einfach schön, alten Vespas und Lambrettas neues Leben einzuhauchen», schwärmt er. Grundsätzlich gehe es ihm beim Restaurieren darum, ein Fahrzeug möglichst in seinem Originalzustand mit Patina wiederherzustellen. Die Verjüngungskur seiner Zweiräder soll keine «geschleckte» Version sein. In all den Restaurierungsarbeiten stecken unzählige Stunden – Freizeit und Ferien werden häufig dafür geopfert. Doch solche «Schraubferien», wie sie Mario Tavella nennt, würden für eine wunderbare Abwechslung im Alltag sorgen. Mario Tavellas Partnerin Monika Vogel teilt seine Leidenschaft. Nebst ihrer eigenen Vespa besitzt sie auch noch eine Harley. Derzeit rüstet Mario Tavella eine rosarote Vespa mit Jahrgang 1967 für seine Partnerin auf.
Und worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen einer Vespa und einer Lambretta? Vespa und Lambretta seien beides Roller. Die erste Vespa sei 1946 in Genua auf den Markt gekommen. Ihr Erfinder war der Ingenieur Corradino D’Ascanio. Der ehemalige Konstrukteur von Kriegsflugzeugen entwickelte das Konzept der Vespa kurz nach Kriegsende im Auftrag von Enrico Piaggio. Der Motorroller sollte einfach, sparsam und leicht fahrbar sowie mit den vorhandenen Produktionsanlagen zu bauen sein. Beim ersten Anblick der «Ur-Vespa» soll Enrico Piaggio gesagt haben: «Sembra una vespa!» (Sieht aus wie eine Wespe). Und somit war der Name Vespa geboren. Die Lambretta sei ein Jahr später hergestellt worden – bei Innocenti in Milano Lambrate. Auch Ferdinando Innocenti wollte ein Modell produzieren, das billig in der Anschaffung und im Unterhalt sein sollte. Mit dem Wirtschaftsaufschwung in Europa Ende der 1960er-Jahre nahm die Nachfrage nach Motorrollern ab, weil sich immer mehr Leute ein Auto leisten konnten. Die Lambretta musste um ihr Überleben kämpfen – die Produktion wurde 1971 eingestellt. Piaggio hingegen existiert heute noch.
Mario Tavella erzählt, dass er in Kalabrien geboren wurde und dort zusammen mit seiner Familie seine ersten vier Lebensjahre verbracht habe. Die Vespa habe damals schon als italienische Stil-Ikone in der Welt der Mobilität gegolten. «In den 1960er-Jahren fuhr mein Onkel einmal mit seiner 150-Kubik-Vespa von Kalabrien nach Bischofszell. Er wollte zukünftig im Sommer in Bischofszell arbeiten», weiss Mario Tavella. Doch es sei bei dieser einen Reise vom Süden Italiens in die Ostschweiz geblieben, denn eine Woche habe die Vespa-Fahrt über Land gedauert.
Weiteste Reise nach Belfast
Es sei für Mario Tavella ein unbeschreiblich herrliches Fahrgefühl, auf einer Vespa oder einer Lambretta durch die Landschaft zu rollen. «Eine Durchmischung von Freiheit, Abenteuer und ein Kopfdurchlüften mit Ferienfeeling», erklärt er. Meistens sei er mit seiner Vespa Rally 200, Jahrgang 1975, unterwegs. Mit diesem Roller sei er schon rund 45 000 Kilometer gefahren – seine weiteste Reise habe ihn in die nordirische Hauptstadt Belfast geführt.
Eine Vespa oder Lambretta fahre je nach Alter ungefähr 65 bis 100 Kilometer pro Stunde. Der älteste Roller, den Mario Tavella besitzt, hat Jahrgang 1953, der neueste stamme aus 1985.
Mario Tavella gehört seit rund acht Jahren dem «Vespa-Club» Arbon an. Gegründet wurde dieser vor 26 Jahren – heute zählt der besagte Club rund 25 Mitglieder. Einzigartige Erlebnisse seien immer wieder die gemeinsamen Ausflüge. An eine ganz besondere Reise nach Celle (D) mag sich Mario Tavella erinnern. In dieser Stadt gibt es etwa 500 restaurierte Fachwerkhäuser. Etwa 6000 bis 7000 Vespas hätten dann diese Stadt eingenommen. Die Kultfahrzeuge hätten dabei für mediterranes Lebensgefühl gesorgt. Dankbar blickt Mario Tavella auf die vergangenen Jahre zurück. «Einen Unfall hatte ich bis jetzt noch nie. Eine Panne kann es schon mal geben.» Dabei schaut er positiv in die Zukunft und sagt: «Ich freue mich auf schöne Ausflüge, auf viele Begegnungen und Gespräche mit interessanten Menschen.»
Serie Sammelfieber
In loser Folge stellt der «St. Galler Bauer» Menschen vor, die etwas Besonderes sammeln. Was sammeln sie und warum? Wie ist es zu diesem Sammelfieber gekommen? In Zusammenhang mit dieser Serie sucht der «St. Galler Bauer» weitere Sammlerinnen und Sammler, die ihre Sammlung vorstellen möchten. Bedingung ist, dass der Sammler oder die Sammlung einen bäuerlichen Hintergrund hat. Interessierte melden sich per E-Mail an redaktion@bauern-sg.ch oder telefonisch unter 071 394 60 15.