Vom Hürlimann trennt sie sich nie

Livia Berchtold stand schon mit vier Jahren in der Werkstatt ihres Opas und schaute ihm beim «Schrüüble» an seinem alten Traktor zu. Seither hat die 14-Jährige schon viel gelernt. Sie weiss aber, dass sie bei ihrem Opa immer Tipps bekommt.

Livia Berchtold hat von Opa Wendolin Lehmann viel über alte Traktoren gelernt.
Livia Berchtold hat von Opa Wendolin Lehmann viel über alte Traktoren gelernt.

«Je dreckiger, desto lieber.» So erinnert sich Wendolin Lehmann an seine Enkelin Livia, wenn er an die Zeit vor zehn Jahren zurückdenkt. Livia Berchtold war damals vier Jahre alt und besuchte ihn so oft wie möglich in seiner Werkstatt. Sie war fasziniert von den Werkzeugen und natürlich vom alten Traktor, an dem ihr Opa «herumschrüübelte». Diese Faszination ist heute noch gross. Längst hat Livia gelernt, wozu welches Werkzeug dient und wie man einen alten, etwas lädierten Traktor wieder auf Vordermann bringt. Immer begleitet von Opa Wendolin Lehmann, der das Interesse seiner Enkelin mit Freude fördert. Besonders dann, als Livia sich für den Hürlimann D80 interessierte, der bei ihren Eltern in der Scheune herumstand. «Mein Urgrossvater hatte ihn 1953 gekauft, um damit den Hof zu bewirtschaften», sagt die 14-Jährige. «Bis 1995 war er immer in Gebrauch, dann bekam ihn mein Papi geschenkt und begann, ihn mit seinem ersten Lehrlingslohn zu restaurieren.» Livias Vater beschäftigte sich nur wenige Jahre mit dem Hürlimann. Bald fehlte ihm die Zeit, vor allem, als er den Betrieb übernahm, auf dem Familie Berchtold Milchwirtschaft betreibt und Poulets mästet. Das lange Herumstehen in der Scheune hat dem grünen Oldtimer aber nicht geschadet. Als Livia den Motor anliess, startete er sofort. Viel gab es an diesem Traktor nicht mehr zu tun, da ihr Vater schon fast alles restauriert hatte. Livia konnte also gleich losfahren, als sie an ihrem 14. Geburtstag im vergangenen September mit dem Führerschein im Sack auf die Strasse durfte.

Den Hürlimann kaufte Livias Urgrossvater 1953.

Geduldiger Lehrer

Livia hat den wendigen Hürlimann gut im Griff, lenkt ihn souverän in eine fotogene Position auf der gemähten Wiese und parkiert ihn neben dem roten Bucher-Oldtimer ihres Opas. Auch der glänzt in der Sonne, schliesslich hatte ihn Wendolin Lehmann sorgfältig restauriert – und gleich noch ein Mähwerk montiert. Der 70-Jährige entdeckte seine Liebe zu Oldtimern vor 20 Jahren. Know-how hatte er schon einiges von seinem Job als Mechaniker. «Zuerst hatte ich mit Maschinen gearbeitet, später dann bei der Mittelthurgaubahn und bei der Firma Rico, wo ich Fahrzeuge wartete», erzählt er. Ihn freut es, dass seine Enkelin sich so stark für Oldtimer interessiert. Er sei ein geduldiger Lehrer und lasse ihr viele Freiheiten, sagt Livia. Wendolin Lehmann erklärt: «Ich habe nie gesagt, dass eine Arbeit genau so erledigt werden muss. Denn jeder arbeitet ein wenig anders. Wichtig ist ein gutes Ergebnis.»

Trotz kleiner Schönheitsfehler ist der Hürlimann Livias ganzer Stolz.

Ferien in der Werkstatt

Nebst dem Bucher-Traktor besitzt Wendolin Lehmann noch einen Bucher-Transporter und einen Bührer OF 18, Jahrgang 1969. Diesen Oldie kaufte er bei einem Bauern im Dorf, wo der Bührer defekt herumgestanden hatte. Im Mai 2019 begannen er und Livia mit dem Restaurieren. «Zuerst musste ich ihn auseinandernehmen, danach ging es los mit der grossen Arbeit», erzählt der Oldtimer-Fan. Livia half, wann immer sie konnte. Mit gewissen Arbeiten wartete ihr Opa jeweils, bis sie Ferien hatte und Zeit bei ihm verbringen konnte. Insgesamt habe das Restaurieren über zwei Jahre gedauert, sagen die beiden. Beim Beschaffen der Ersatzteile war Livia froh, auf die Erfahrungen ihres Opas zählen zu können. «Bei den Jungen besteht die Gefahr, dass sie benachteiligt werden, weil sie noch nicht abschätzen können, was ein Ersatzteil wert ist.»

Livia lernt laufend dazu. Kürzlich etwa, als sie ihren Hürlimann vorführen musste. Zuvor hatte sie mit ihrem Opa einige Kleinigkeiten überarbeitet, doch beim Termin wurde das Lenkspiel beanstandet. Das bedeutete einiges an Arbeit, denn die benötigten Bronzebüchsen sind nicht mehr zu kaufen. «Opa hat diese dann selbst angefertigt», sagt Livia stolz.

Ihren Puch Maxi hat Livia selber fahrtüchtig gemacht.

Hoffen auf gute Lehrstelle

In einigen Jahren kann sie solche Ersatzteile vielleicht selbst fertigen, denn Livia möchte Landmaschinenmechanikerin werden. Was aufgrund ihrer Begeisterung fürs «Schrüüble» logisch erscheint, war zuerst gar nicht so klar. Sie schnupperte auch als Dachdecker und Zimmermann. Doch nun steht ihre Berufswahl fest und einige Bewerbungen hat sie bereits verschickt. «Dieser Beruf ist das Richtige für mich», sagt sie mit Überzeugung. «Da sehe ich am Abend immer, was ich tagsüber geschafft habe. Zudem interessiert mich die vielseitige Technik. In diesem Beruf muss man kreativ sein und improvisieren können.» Opa Wendolin Lehmann ergänzt lachend: «Und man darf keine Angst vor Dreck haben.»

Bleibt zu hoffen, dass Livia während ihrer Lehre genügend Zeit für alles bleibt. Abgesehen von den Pflichten auf dem Betrieb, ist sie bei der Musikgesellschaft Helvetia in Mettlen Schlagzeugerin, in der Pfadi engagiert sie sich als Leiterin und sie hält ihren Puch Maxi in Schuss. «Zuerst musste ich ziemlich daran herumbasteln, bis er gelaufen ist.»

Jüngstes Vereinsmitglied

Natürlich benötigt Livia auch etwas Freizeit, um mit ihrem Hürlimann auszufahren. Einerseits rattert sie gerne am Mittwochnachmittag durch die Gegend, andererseits ist sie bei Falso-Fahrten dabei. Denn Livia ist seit Weihnachten das jüngste Mitglied des Vereins Freunde alter Landmaschinen Sektion Ostschweiz. Unschwer zu erraten, wer ihr diese Mitgliedschaft geschenkt hat – Opa Wendolin Lehmann. «Als ich merkte, wie viel Spass sie am Fahren mit ihrem Oldtimer hat, da war der Fall klar», sagt er schmunzelnd. «An Falso-Ausfahrten nahm sie ja schon früher teil.»

Livias nächstes Projekt ist dieser Hatz. (Bild: Livia Berchtold)

Der Traum vom John Deere

Dann, als Livia und ihr Opa Wendolin Lehmann fast schon fertig sind mit ihrer Schwärmerei für alte Traktoren, überrascht Livia noch mit ihren Zukunftsplänen und Wünschen: «Als Nächstes restauriere ich einen Hatz-TL-13-Traktor. Der gehörte einem Nachbarn im Dorf, der ihn nicht mehr brauchte. Mein Papi kaufte ihn, weil er den Hartz TL 13 restaurieren wollte. Aber nun fehlt ihm die Zeit, weil wir demnächst einen Laufstall für den Betrieb bauen möchten.» Also will Livia diese Arbeit übernehmen. Mit vor Vorfreude leuchtenden Augen zeigt sie auf ihrem Handy den etwas mitgenommenen Hatz und fügt gleich an: «Aber wenn ich erwachsen bin, dann möchte ich einen grossen John Deere.» Ein Traktor dieser Marke gehört zum Maschinenpark des Betriebs, er sei aber erst 20-jährig und noch kein Oldtimer. «Ganz im Gegensatz zu den drei Ford-Traktoren, die sind schon über 30-jährig.» Mit allen ist Livia schon gefahren, zudem konnte sie schon Traktoren in der Nachbarschaft steuern: «Einen Steyr und einen Fendt», sagt sie und strahlt zufrieden. Doch trotz aller Begeisterung für diese Marken weiss Livia eines gewiss: «Der Hürlimann bleibt auf ewig bei mir.»

Freude an Oldtimern

In loser Folge stellt der «St. Galler Bauer» Oldtimer-Freunde und ihre Fahrzeuge vor. In jedem Oldtimer steckt ein Stück Zeitgeschichte. Was macht den Oldtimer für seinen Halter so besonders? In dieser Ausgabe präsentiert Livia Berchtold aus Mettlen ihren Hürlimann-Traktor. red.

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