Blauzungenkrankheit: Hoffen auf einen kalten Winter

Die Blauzungenkrankheit verbreitet sich derzeit in der Schweiz in rasantem Tempo. Die Unsicherheit der Schaf- und Rinderhalter ist gross. Eine Informationsveranstaltung des Strickhofs schaffte zwar ein wenig Klarheit, doch letztlich setzt man auf eine Impfung – und einen kalten Winter.

Betroffene Betriebe seit Ende August. Stand 7. Oktober. Bild: BLV

Seit Ende August 2024 sind in zahlreichen Kantonen Fälle der Blauzungenkrankheit mit dem Serotyp 8 (BTV-8) und mit dem Serotyp 3 (BTV-3) nachgewiesen worden. Insbesonders die Fälle von infizierten Wiederkäuern mit BTV-3 sind besorgniserregend. Gesamtschweizerisch sind über 350 Rinder- und über 450 Schafbetriebe betroffen. Im Kanton St. Gallen sind es neun Rinder- und 28 Schafbetriebe. Appenzell Inner- und Ausserrhoden zählen zusammen drei betroffene Rinder- und acht Schafbetriebe. Der Thurgau ist nach dem Kanton Jura am stärksten betroffen. Mit Stand 7. Oktober wurden 35 Rinderhaltungen und 73 Schafbetriebe vom Virus heimgesucht.

Die Verunsicherung der Halter von Wiederkäuern ist gross. 534 Personen nahmen an der Online-Infoveranstaltung des Strickhofs am Mittwoch, 9. Oktober, teil.

«Speichelsee» in der Krippe

Die Blauzungenkrankheit betrifft Wiederkäuer und wird über Gnitzen (kleine Mücken) übertragen. Eine Übertragung von Tier zu Tier ist nicht möglich, allerdings kann ein infiziertes weibliches Tier die Krankheit über die Gebärmutter an den Fötus weitergeben. Auch eine Übertragung beim Decken ist nicht ausgeschlossen. Die ersten Symptome zeigen sich fünf bis zwölf Tage nach Ansteckung. Die Liste der Symptome ist lang. Bei Schafen können das Fieber sein, Schwäche, reduzierter Appetit, gerötete Schleimhäute, geschwollene Lippen und Zunge. Das Tier speichelt, der Kronsaum ist gerötet, es lahmt und kann zu Aborten führen.

Rinder zeigen ähnliche Symptome; das Flotzmaul kann verkrusten und es können Rötungen an der Zitze entstehen. Wenn der Landwirt einen «Speichelsee» in der Krippe entdeckt, ist das ein Indiz, dass sich das Rind mit Blauzunge angesteckt hat. Christian Gerspach, Direktor Kliniken für Nutztiere am Tierspital Zürich, der über diese Symptome aufklärte, sagte, dass ein infiziertes Tier nicht unbedingt Symptome zeigen müsse und eine Immunität entwickeln könne. Die Mortalität (Todesfälle) bei Schafen liege jedoch bei etwa 30 Prozent, bei Rindern gäbe es für BTV-3 noch keine gesicherten Zahlen.

Tiere, welche die Krankheit überleben, erholen sich nach rund zwei Wochen wieder. Gerspach wies darauf hin, dass die Blauzungenkrankheit eine meldepflichtige Krankheit sei und auch bei Verdacht dem Bestandstierarzt gemeldet werden müsse.

Die Rolle der Gnitze

Gerspach ging auf die Rolle der Gnitzen ein. Es stechen nur die weiblichen Gnitzen. Sie tragen das Virus von Tier zu Tier. Sie sind vor allem in der Nacht und in der Dämmerung stechaktiv. Im Sommer meiden die Mücken Innenräume. In der kalten Jahreszeit kommen sie aber gerne auch in den Stall.

Die Gnitzen legen ihre Eier in feuchte Böden (auch in feuchte Liegeboxen und Mist) oder in stehendes Wasser. Die Larven machen vier Stadien durch, bevor sie sich verpuppen. Gerspach sagte, dass ein kalter Winter zwar helfen würde, die Ausbreitung der Gnitzen zu dämmen, aber stoppen könne auch die kalte Jahreszeit die Verbreitung des Blauzungenvirus nicht. Den Larven im vierten Stadium macht die Kälte nichts aus. Sie können deshalb überwintern. Betriebsleiter sind jedoch nicht ganz machtlos. Die Entwicklung vom Ei bis zur Mücke dauert 10 bis 20 Tage. «Darum sollte die Einstreu im Stall einmal in der Woche erneuert werden. Wenn die Gnitzenlarven überleben, geht es im Frühjahr wieder von vorne los.» Er empfiehlt unter anderem Weidegänge zu geeigneten Zeiten, Insektizide, das Austrocknen von Brutplätzen, Insektenschutznetze und eine gute Belüftung.

Update: Am 17. Oktober meldete das Bundesamt für Veterinärwesen BLV, dass in Absprache mit der Zulassungsbehörde Swissmedic der Impfstoff gegen BTV-3 auch in der Schweiz eingesetzt werden darf.

Gesperrte Betriebe

Wie es aussehen kann, wenn ein Betrieb von Blauzunge betroffen ist, erzählten Daniela Birrer, Landwirtin und Mutterkuh- und Schafhalterin aus Baselland, und Rilana Jensen, Betriebsleiterin im deutschen Schleswig-Holstein. Daniela Birrer entdeckte im September ein totes Rind auf der Weide. Gleichentags zeigte sich ein Schaf in einem schlechten Zustand. Dieses wurde positiv auf Blauzunge getestet. Sie sei überrascht gewesen, da die zehn Rinder erst ein paar Tage zuvor von der Alp gekommen seien.

Später seien auch die Mutterkühe von der Alp gekommen. Die Familie habe sich entschieden, die Mutterkühe nicht auf andere Höfe zu verstellen, sondern auf den Betrieb zu nehmen. «Wir waren uns des Risikos bewusst», sagte Daniela Birrer. «Wir haben die Tiere gut beobachtet.» Bei manchen Mutterkühen hätten sie zeitweise einen steifen Gang festgestellt. «Aber keines der Tiere ist stark erkrankt. Das Schaf hat sich wieder erholt. Wir hatten keinen weiteren Todesfall zu beklagen.»

Anders erlebte es Rilana Jensen. Sie hält 1000 Schafe und 90 Rinder. Sie sprach am Infoabend nur von den Schafen. Seit August hätte sie 20 bis 25 Prozent der Auen und 50 Prozent der Deckböcke verloren. Die Rinderställe wurden zu Schafställen umfunktioniert, um die kranken Tiere betreuen zu können. «Täglich haben wir tote Tiere von der Weide und aus dem Stall gezogen», erzählt sie. In den «Krankenstationen» wurden die Tiere aufgepäppelt. Ihnen wurden Aufbaupräparate verabreicht, um sie zu stärken. Mit einer Eingabespritze, die man zum Entwurmen verwendet, musste manchen Tieren Wasser eingegeben werden. Der Tierarzt verordnete Schmerzmittel und Antibiotika für die Entzündungen. «Die Tiere leiden. Sie liegen sich wund und magern ab», erzählt Rilana Jensen. Die Familie sei emotional an Grenzen gestossen. «Trotz vieler Todesfälle konnten wir Anfang September das erste genesene Schaf wieder auf die Weide bringen.» Ein Hoffnungsschimmer.

Entschädigung von Tieren

Da es sich bei der Blauzungenkrankheit um eine Seuche handelt, kommt das Tierseuchengesetz des Bundes zum Zug: «Die Kantone habe die Entschädigung so zu bemessen, dass die Geschädigten unter Anrechnung des Verwertungserlöses mindestens 60 und höchstens 90 Prozent des Schatzungswertes erhalten». Der Kanton St. Gallen entschädigt gemäss seiner Webseite 90 Prozent des Schatzungswertes. Hier gehts zu den Entschädigungsanträgen und weiteren Informationen zum Tierverkehr und Betriebssperre.  meg.

 

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