Bovine Virusdiarrhoe (BVD): Infektionszahlen steigen

Das Ausrottungsprogramm gegen die Bovine Virusdiarrhoe (BVD) läuft in der Schweiz seit 2008. Dennoch ist es nicht gelungen, die ansteckende Seuche auszurotten. Immer wieder treten Fälle auf. Die Infektionszahlen im Kanton St.Gallen sind sogar steigend.

Die BVD-Infektionszahlen steigen. Diese sogenannten PI-Kälber sind «Superspreader», sie scheiden lebenslang BVD-Viren aus. Bleiben sie unentdeckt, ist das fatal. Bild: zVg.

Die Bovine Virusdiarrhoe (BVD) ist eine komplexe und ernstzunehmende Krankheit. Sie verursacht hohe finanzielle Schäden. Das Gute: Sie ist in der Schweiz fast ausgerottet. Aber eben, nur fast. Auch nach 14 Jahren Bekämpfung, ist die Schweiz nicht zu 100 Prozent BVD-frei. Die Zahlen der amtlich BVD-freien Rindviehhaltungen dümpeln seit Jahren bei etwa 99,5 Prozent. Es treten immer wieder vereinzelte Fälle auf, bei denen die Herkunft der Infektion unklar ist. 2022 wurden in der Schweiz 26 Gesamtsperren von Betrieben verordnet. Im Kanton St.Gallen waren es zwei Betriebe. 14 Betrieben wurde ein Verbringungsverbot auferlegt, das heisst, dass einzelne trächtige Kühe für eine gewisse Zeit unter «Stallarrest» standen und nicht verstellt werden durften. Waren 2021 im Kanton St.Gallen 99,7 Prozent der Rindviehbetriebe BVD-frei, sind es Ende 2022 noch 99,49 Prozent. Doch warum steigen die Infektionszahlen und wie kommt es zu diesen «mysteriösen» Ansteckungen?

Das Virus ist komplex

Albert Fritsche ist St.Galler Kantonstierarzt und Leiter des Amts für Verbraucherschutz und Veterinärwesen. Zudem ist er Mitglied der Ständigen Kommission Tiergesundheit des Veterinärdienstes Schweiz. Er warnt davor, das BVD-Virus zu unterschätzen. Um die Ansteckungen zu vermeiden, müsse man die Komplexität des Virus kennen und verstehen, sagt er. Eine Kuh, die von BVD betroffen sei, entwickle Antikörper und bleibe unauffällig. «Steckt sich aber das Kalb in einer Frühphase der embryonalen Entwicklung (erste Hälfte der Trächtigkeit) im Mutterleib an, kann dieses zu einem persistenten, also dauernd infizierten und ansteckenden Tier werden.»

Steckt sich aber das Kalb in einer Frühphase der embryonalen Entwicklung (erste Hälfte der Trächtigkeit) im Mutterleib an, kann dieses zu einem persistenten, also dauernd infizierten und ansteckenden Tier werden.

Diese sogenannten PI-Tiere streuen lebenslang BVD-Viren und sind daher die Hauptansteckunsquelle von BVD. Diese «Superspreader» müssen zwingend und so schnell wie möglich aus dem Stall entfernt werden. «Diese Tiere sind oftmals seit Geburt Kümmerer, sie werden nicht alt und sie werden sich niemals zu einer wirtschaftlichen Kuh entwickeln», so der Kantonstierarzt. «Ein solches PI-Kalb scheidet permanent Viren aus. Je länger sich ein solches Kalb im Stall aufhält, desto grösser ist die Gefahr, dass es weitere Tiere, auch trächtige Tiere, ansteckt und dass diese wieder PI-Tiere auf die Welt bringen.»

Die Tiere stecken sich über Aerosole und Speichel auf direktem Weg bei anderen Rindern an oder indirekt über den Salzkübel, über Geräte, Kleider oder sogar über den Hund oder die Katze, die sich im Stall aufhalten. Die grösste Infektionsgefahr lauert dort, wo das frühträchtige, antikörpernegative Rindvieh aus verschiedenen Betrieben zusammenkommt: Auf der Alp zum Beispiel oder in Betrieben, wo reger Tierverkehr herrscht. Fritsche kann nicht ausschliessen, dass es auch zu einer Ansteckung in einem Transportfahrzeug kommen könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Eintrag durch einen Besucher, der sich im Stall aufhält, einen Kontrolleur oder Bestandestierarzt kommen könnte, sei gering, aber nicht ganz auszuschliessen. «Aus diesen Gründen ist es wichtig, auch auf die Hygiene im Betrieb und beim Arbeiten im Stall zu achten.»

Es ist es wichtig, auch auf die Hygiene im Betrieb und beim Arbeiten im Stall zu achten.

BVD wird überwacht

Wenn eine Krankheit ausgerottet ist, sollten auch keine Antikörper mehr vorhanden sein. Im Rahmen des laufende Ausrottungs- und Überwachungsprogramm werden bei BVD-freien Milchbetrieben zweimal jährlich Tankmilchproben untersucht. Bei Mutterkühen und Mastvieh entnimmt entweder der Bestandestierarzt jährlich eine Blutprobe von ausgewählten Tieren oder sie werden im Schlachthof beprobt. Sind im Serum keine Antikörper vorhanden, ist alles im grünen Bereich. In Betrieben ohne Schlachtungen, beispielsweise bei Viehhändlern, wird BVD über die Ohrmarke (Ohrstanzproben) der Kälber geprüft. Die Kosten für die Beprobung übernimmt die Tierseuchenkasse des Kantons. Tiere, bei denen Antikörper nachgewiesen werden, sind nicht ansteckend. Aber das positive Resultat zeigt, dass das Tier Kontakt mit dem Virus hatte. «Durch die Tests können gewisse Trends sichtbar werden», sagt Fritsche. Steigt der Trend, respektive die Antikörperzahl in der Probe stark an, kann angenommen werden, dass im Betrieb etwas nicht stimmt. Allenfalls müssen dann alle Tiere einzeln getestet werden. Denn um eine Weiterverbreitung zu verhindern, muss die Infektionsquelle so schnell wie möglich gefunden werden. Hier kommt die Tierverkehrsdatenbank (TVD) ins Spiel. «Eine Nachverfolgung des Tierverkehrs ist nur möglich, wenn jeder Tierhalter die Tiere bei der TVD korrekt an und abmeldet», sagt der Kantonstierarzt.

Eine Nachverfolgung des Tierverkehrs ist nur möglich, wenn jeder Tierhalter die Tiere bei der TVD korrekt an und abmeldet.

BVD im Betrieb, was nun?

 Wird BVD in einem Betrieb festgestellt, muss dieser für etwa zwei Wochen gesperrt und das PI-Tier entfernt werden. Eine Sperrung hat schwerwiegende Folgen für einen Betrieb. Kein Tier darf den Betrieb verlassen. Die Tiere können nicht auf die Alp gebracht oder verkauft werden. Einem mutmasslichem PI-Tier wird Blut entnommen und im Zentrum für Labormedizin (ZLM) in St.Gallen auf den BVD-Virus untersucht. Ist der Test positiv wird eine weitere Probe in ein Referenzlabor geschickt. «Die Tests sind sicher. Die erste Probe liefert das Resultat zu 97-prozentiger Sicherheit. Beim zweiten Test kann man sich dann 100 Prozent auf das Resultat abstützen», sagt Fritsche.

Eine Gesamtsperre und das Töten von Kälbern auf Anordnung, kann für die Betriebsleiterfamilie emotional sein und dagegen intervenieren. Dafür hat Fritsche Verständnis. «Aber man muss sachlich bleiben und den Tatsachen ins Auge blicken.» BVD gelte es auszurotten. «Was wäre die Alternative?» Das Kalb sei so oder so ein «Todeskandidat», das früher oder später zum Sterben verurteilt sei. Zudem werde gemäss Richtlinien eine Entschädigung für das Tier ausbezahlt. Jedes Kalb, das dann ein paar Monate nach einer Gesamtsperre oder nach einem Verbringungsverbot auf die Welt kommt, könnte wieder ein «Streuer» sein. Dann geht es von vorne los. Daher müssten solche Kühe, die kalbern in eine separate Abkalbebox gebracht werden. «Sobald das Kalb auf der Welt ist, muss es getestet werden», sagt Fritsche.

«99,5 Prozent ist nicht genug»

Albert Fritsche betont nachdrücklich, dass das BVD-Virus sehr ansteckend und der Kampf noch lange nicht vorbei sei. Die bisherige Überwachung werde auch im kommenden Jahr unverändert fortgesetzt. Man prüfe zudem, die Massnahmen gegen BVD noch weiter zu verstärken. Dazu soll auch die Branche noch stärker eingebunden werden. «Wir sind bei 99,5 Prozent BVD-freien Betrieben. Das ist nicht genug. Das Ziel ist die Freiheit, erst dann sind wir zufrieden», sagt er. Er appelliert an die Rindviehhalter, BVD ernster zu nehmen und aufmerksamer zu sein.

Folgen einer BVD-Infektion

Die BVD ist wirtschaftlich eine der bedeutendsten Tierseuchen weltweit. In Betrieben mit infizierten Tieren kann es unter anderem vermehrt zu Kümmerern und Fruchtbarkeitsstörungen (Umrindern, Aborte) sowie zu vorzeitigen Abgängen, reduzierter Milchleistung und verzögertem Wachstum kommen. In der Schweiz wurden die durch das BVD-Virus verursachten wirtschaftlichen Schäden auf 9 bis 16 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. BVD ist eine auszurottende und somit meldepflichtige Tierseuche. Wer Tiere hält oder betreut, muss Verdachtsfälle dem Bestandestierarzt oder der Bestandestierärztin melden.  In der Schweiz sind Impfungen gegen BVD verboten. admin.

 

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