Die Appenzeller Ziege ist gefährdet
Man kennt sie vorwiegend von den traditionellen «Öberefahreten» im Alpsteingebiet. Die langhaarigen, weissen Appenzeller Ziegen zotteln der Rinderherde stolz voran. Das genügsame Nutztier kann sich aber nur mit Mühe im Schweizer Ziegenbestand behaupten.
Appenzellerziege ist vornehmlich in St. Gallen und den beiden Appenzell verbreitet.«Die Appenzeller Ziege ist sehr ruhig und überaus angenehm zu halten». Esther und Albin Grätzer mit Familie aus St.Peterzell lieben ihre Herde. Für sie sind die Ziegen fast wie Familienmitglieder. Man kümmert sich fürsorglich um deren Wohlergehen. Der Ziegenstall und der Melkstand stehen auch gleich bei Grätzers Wohnhaus in der Neckerwies. Gemolken werden die Tiere am Morgen jeweils von Esther Grätzer, am Abend besorgt dies Ehemann Albin. Wenn es erforderlich ist, können dies aber auch ihre Kinder Michael, Sabrina, Ramona und Sandra erledigen. Rund vierzig Tiere zählt die Herde momentan; fünf davon sind Ziegenböcke.
Lieber Appenzeller Ziegen als Zwerggeissen
Esther Grätzer-Müller ist in Waldstadt aufgewachsen. Ihr elterlicher Bauernhof ist nicht gross und wurde schon in ihren Jugendjahren verpachtet. Der Pächter hielt dort Appenzeller Ziegen und so lernte Esther Grätzer diese Tiere kennen und lieben. Als sie mit ihrem Ehemann Albin 1996 in St.Peterzell in der Neckerwies einzog, kam bald der Wunsch nach Ziegenhaltung auf. Zwei Zwerggeissen waren es am Anfang. Diese konnten aber die Bedürfnisse von Grätzers nicht vollumfänglich erfüllen. «Sie sind wohl herzig. Aber ihr Wesen ist ungleich hektischer als jenes der Appenzeller Ziegen, wie ich es aus meiner Jugenderfahrung eben kannte», erzählt Esther Grätzer lachend. Also überredete sie ihren Mann Albin zur Anschaffung von fünf Appenzeller Ziegen.
Käser statt Landwirt
Albin Grätzer wuchs in St.Peterzell auf einem Bauernhof auf. Landwirt hätte er eigentlich gerne gelernt. Doch seine älteren Brüder hatten schon diesen Beruf gewählt. Eine Zukunft auf dem Elternhof blieb daher verwehrt. So entschied er sich dazu Käser zu werden. Die Lehre absolvierte er auf der Wasserfluh und in Niederwil. Nach einigen Jahren Einsatz bei einem Fensterbaugeschäft kehrte Albin Grätzer wieder zu seinem gelernten Beruf zurück. Jetzt ist der Toggenburger im zweiten Jahr als Betriebsleiter in der Alpkäserei Schwägalp tätig. «Es gefällt mir hier sehr gut. Und obwohl dies eine Vollzeitstelle ist, kann ich sie gut mit dem Aufwand für die Ziegenhaltung verbinden». Da spiele aber das Mitmachen der ganzen Familie die entscheidende Rolle.
Einen guten Ziegenbock gekauft
Damit sich bei der anfänglich kleinen Herde auch einmal Nachwuchs einstellen würde, mussten die Ziegen jeweils in die Ferien geschickt werden, wie es Albin Grätzer ausdrückt. Bei einem Ziegenhalter mit Ziegenbock sollten die Tiere trächtig werden, was jeweils auch der Fall war. «Doch wir waren richtig enttäuscht, wenn wir die Ziegen eine Zeitlang nicht mehr hier hatten. Also musste ein eigener Ziegenbock her», erinnern sich Grätzers an damals. Acht Jahre ist dies her. Der erstandene Bock passte. Er war mit einem ordentlichen Abstammungsausweis versehen und die Nachzucht bei Grätzers geriet sehr zufriedenstellend. «Beim Kauf des Bocks haben wir auch ein wenig auf das Gemüt des Bocks und sein Gesicht geachtet. Das hat sich mit der andauernden Ruhe, welche in unserer Herde herrscht, wohl ausbezahlt.» Beim Ziegenzuchtverein Urnäsch ist man nun Mitglied und besucht dort die jährliche Ziegenschau. Das ist, wie für etliche andere Züchter von Appenzeller Ziegen auch, ein Jahreshöhepunkt für Grätzers. Das Zusammenkommen mit Gleichgesinnten. Das Punktieren der aufgeführten Tiere. Vor allem aber auch der Vergleich im Zuchtfortschritt mit anderen Züchtern. Da haben Grätzers schon manchen Abteilungssieg errungen, was ihnen viel Freude bereitet.
Gute Milchleistung, schlechter Gehalt
Rund 80000 Ziegen leben in der Schweiz. Gut ein Drittel davon ist im offiziellen Herdebuch des Schweizerischen Ziegenzuchtverbands aufgeführt. Sind von einer Rasse weniger als 1000 Tiere im Herdebuch eingetragen, gilt sie als gefährdet. Eine zusätzliche Rolle spielt dabei der erfasste, und womöglich zu hohe, Inzuchtgrad einer Rasse. Es existieren in der Schweiz mehrere gefährdete Ziegenrassen; die Appenzeller Ziege wird dabei als kritisch eingestuft. Ihre Ausbreitung ist vornehmlich in den Kantonen St.Gallen und den beiden Appenzell. Erfreulicherweise sind Appenzeller Ziegen seit einigen Jahren vermehrt auch in der restlichen Schweiz angesiedelt. Bezüglich Aufteilung weiblicher und männlicher Nachkommen präsentiert sich die Appenzeller Ziege als ausgeglichen und mit 1,4 Gitzi pro Wurf bewegt sie sich genau im Mittelfeld aller Ziegenrassen. Mit einer Milchleistung von knapp 600 Kilo pro Laktation rangiert die Appenzeller Ziege national auf dem dritten Platz im Rassendurchschnitt. Ihr Manko ist aber der Milchgehalt, wo sie auf dem letzten Platz steht. Auch im Inzuchtgrad weist die Appenzeller Ziege einen leicht negativen Trend auf.
Der Zucht mehr Beachtung schenken
Die Appenzeller Ziege hat regional einen grossen Wert in der Ausübung der sennischen Tradition. Das Zügeln der Kühe, das «Öberefahre», ist für viel Bauern ohne Ziegen nicht denkbar. Bei vielen Ziegenhaltern ist es dabei wichtig, dass die Tiere auch optisch überzeugen. «Mir gefällt die sennische Tradition hierzulande sehr gut. Aber es könnte schon sein, dass es einige Ziegenhalter gibt, welche der Ziegenzucht dabei zu wenig Bedeutung beimessen», vermutet Albin Grätzer einen Grund für den Zuchtstillstand der Appenzeller Ziege. Er selbst versucht mit der Zucht von geeigneten Ziegenböcken den Umstand zu verbessern. Diese präsentiert er zum Beispiel an der Ziegenausstellung in Sargans, wo seine Böcke erworben werden können. Dort kann man auch einen Fruchtbarkeitstest machen, um sicher zu gehen, dass die Ziegen von diesem Bock sicher trächtig werden. Albin und Esther Grätzer widmen bei ihrer Ziegenzucht sowohl dem Milchgehalt als auch dem Exterieur grosse Beachtung.
Die Appenzeller Ziege hat Zukunft
Vier neue Mitglieder konnte der Ziegenzuchtverein Urnäsch an der letzten Hauptversammlung aufnehmen. Dies weist darauf hin, dass diesem Tier auch in Zukunft Beachtung geschenkt wird. «Das grosse Problem ist aber jetzt der Wolf. Da überlegen sich die Bauern schon ernsthaft, ob sie die sennische Tradition noch weiterführen sollen», sinniert Albin Grätzer über die momentane Lage. Grätzers werden im Winter mit kleinen, ziemlich trockenen Siloballen gefüttert. Vier Schnitte erfahren ihre Wiesen im Sommer. Es soll im Winter feines Futter vorhanden sein. Die Ziegenmilch wird in einem Melkstand gewonnen. Abgeliefert wird sie nach Teufen für die Herstellung von Heilmitteln. Für Grätzers sind die Appenzeller Ziegen mehr als wirtschaftliche Nutztiere. «Ein unbequemer Arbeitstag verändert sich rasch, wenn du danach in den Ziegenstall gehst. Die Ruhe und die Friedfertigkeit der Appenzeller Ziegen sind für uns ein wahres Beruhigungsmittel».