«Ich bin den Schafen verfallen»
Ruedi Gämperli ist ein Schafzüchter der alten Sorte. Bereits sein Vater hielt Schafe, doch der Sohn wollte bessere und elegantere Tiere und steigerte sich nach und nach mit der Zucht. Heute, mit 83 Jahren, hält er noch 20 Tiere und sie geben ihm Kraft. Seine Gesundheit schränkt ihn jedoch ein.
Ruedi Gämperli ist in Bettenau aufgewachsen, dort, wo die Viehhändler seit Generationen beheimatet sind. Sein Vater hielt Schafe und das Schaf-Gen hat er geerbt. «Mit den eigenen Schafen begann ich 1961 oder 1962. Die Landwirtschaftliche Schule Flawil hatte damals noch eigene Schafe und wollte damit aufhören. Ich habe die Schafe bewundert, weil sie viel schöner aussahen als unsere. Sie wurden in einem Inserat zum Verkauf ausgeschrieben. Ich wollte zwei Auen kaufen. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, weil sie so schön waren, und darauf habe ich gleich nochmals zwei gekauft», erinnert sich Ruedi Gämperli. Die Bedingung beim Kauf sei gewesen, dass er der Schafzuchtgenossenschaft Flawil beitrete. Das tat er dann auch. Sein Vater trat nach zwei Jahren bei. Auch dieser hatte sich von schöneren Schafen überzeugen lassen.
Das Auge schärfen
Mit dem Kauf seiner eigenen Tiere war der Ehrgeiz entflammt und das Engagement für die Zucht auch. Denn nach zwei Jahren war Ruedi Gämperli bereits Zuchtbuchführer in der Schafzuchtgenossenschaft Flawil, die die grösste im Kanton wurde. 22 Jahre übte er das Amt aus. Zudem wurde er zuerst kantonaler und dann interkantonaler Schauexperte und schärfte sein Auge für das perfekte Tier immer mehr. Beobachten zu können ist für ihn die Grundlage eines guten Züchters. «Die jungen Züchter meinen hie und da, sie wüssten alles. Wenn jedoch etwas mit den Tieren nicht stimmt, rufen sie an und fragen um Rat. Wenn sie jedoch beobachtet hätten, und das mache ich täglich, wenn ich zu meinen Tieren gehe, so hätten sie erkennen können, was den Tieren fehlt», stellt er fest.
Er frage die Ratsuchenden, ob das Tier wiederkäue oder sich strecke, wenn es aufstehe. «Doch das wissen sie nicht immer.» Das Gespräch findet im «Schööfer-Stübli» in seinem «Schürli» ausserhalb von Bettenau statt. Hier ist das Zentrum seines Lebens. Der Stall und das Land darum herum gehören ihm. Auf die Alp führt er seine Tiere nicht mehr. «Ich halte sie nicht für den Wolf.» Er hält noch zwei Widder, sieben Muttertiere und Jungtiere. 20 Schafe insgesamt. «Ich bin den Schafen verfallen. Sie sind mein Lebensinhalt und geben mir Kraft. Da kann ich auch abschalten und vergesse meine gesundheitlichen Einschränkungen», verrät der 83-Jährige, der seit 13 Jahren Witwer ist. Langsam komme er jedoch an seine Grenzen.
Auf Widder gesetzt
Er habe sich von Anfang an auf das Weisse Alpenschaf (WAS) konzentriert. «Damals gab es noch in jedem Tal andere Schafe.» Heute sind mehr als die Hälfte aller Schafe in der Schweiz Weisse Alpenschafe. Ruedi Gämperli war bis zu seiner Frühpensionierung Briefträger. Als er 1967 heiratete, musste er, um das Familieneinkommen aufzubessern, mehr Schafe haben, wie er befand. Er pachtete eine Scheune in Oberuzwil und überall Land. Bis 150 Tiere hielt er lange und brachte sie auch auf die Alp. «Ich wollte mit der Zucht Vollgas geben.» Er war angetan vom Widder der hornlosen Rasse, die einst durch Einkreuzungen von Merinolandschafen und Île-de-France-Schafen mit heimischen weissen Landrassen entstanden ist.
«Der Widder ist ein Athlet, muskulös und elegant zugleich. Mir gefallen dicke Bäuche nicht. Wenn ich jeweils einen schönen Bock gesehen habe, habe ich nie aufs Geld geschaut, ich wollte ihn einfach haben», lässt er sich in sein Züchterherz blicken. Die Abstammung habe jedoch immer stimmen müssen, darauf habe er geschaut. In der Schweiz gebe es rund 1000 Widder des WAS. Noch 2021 erreichte er mit einem Widder den viertbesten Zuchtwert und 2022 mit dem gleichen den fünftbesten der ganzen Schweiz. Weil er mit der Zucht schon immer habe weiterkommen wollen und es mit der Zuchtgenossenschaft Flawil geharzt habe, hätten er und ein paar andere Züchter 1989 den Schafzuchtverein Umgebung Wil gegründet. Diesen präsidierte er acht Jahre lang und machte auch sonst alles.
Die Vorteile des WAS
«Das WAS ist ein grossrahmiges und fruchtbares Schaf mit guten Muttereigenschaften, guter Milch- und Fleischleistung, widerstandsfähig, mit korrektem Fundament. Der Kopf ist mittellang und gut bewollt. Es ist hornlos und das Vlies, die Wolle, rein weiss», wird das Schaf vom Schweizerischen Zuchtverband des Weissen Alpenschafs unter anderem beschrieben. Ruedi Gämperli sagt es so: «Das Schaf ist gross, lang, hat ein wunderbares Becken, die Beinstellung stimmt, es ist robust und kann früh lammen.» Die Linie verfolgt er zurück, achtet auf die Leistungen der Mütter und Grossmütter. «Ich habe für die Zucht viele Vorbilder gehabt, ihnen nachgeeifert und war ehrgeizig. Unterdessen gebe ich meine Erfahrungen weiter, denn so passiert Lernen», ist seine Haltung. «Die ganze Zucht läuft über die Beobachtung», ist er überzeugt. Und diese Beobachtungsgabe, die ihm von Natur aus gegeben ist, hat ihn auch zum Menschenkenner gemacht. Er erkennt auch die Zusammenhänge in der Natur um sich herum. Die Schwalben nisten im Schafstall und damit sich das Wiesel vor den Raubvögeln verstecken kann, lässt er die Brennnesseln auf der Wiese stehen. Auch ein liegen gebliebenes Rohr bietet ihm Zuflucht. «Am Morgen früh, wenn die Vögel im nahen Bärensberg singen, tönt es wie ein Konzert», schwärmt Gämperli.
Als Züchter bekannt
Mit Krankheiten und Problemen hat Ruedi Gämperli bei seinen Tieren nicht zu kämpfen. Viele Krankheiten seien ausgerottet worden. Wichtig sei die Klauenpflege. Wenn sich die Tiere gut entwickelten, dann behalte er das Futter bei. Das ist bei ihm natürliches Futter, das er dazukauft. Ansonsten weiden die Tiere auf der eigenen Wiese. Gruppenweise. Jetzt im Sommer lässt er die erste Gruppe mit einem Widder bereits um 5.30 Uhr hinaus, die zweite Gruppe um 8 Uhr. Bis am Mittag ist er meistens bei den Tieren. Er streut frisch ein, gibt Wasser, beobachtet. Während der Hitze sind die Tiere lieber im Stall. Zwischendurch liest der Züchter die Zeitung. Für ihn stimmt dieses Leben. Ein Hobby sei die Schafhaltung allerdings nicht. «Ein Hobby kann man nach Lust und Laune ausüben, aber bei Tieren geht das nicht. Dafür ist man verantwortlich, auch wenn man sich nicht von den Tieren knechten lassen sollte. Es gibt viele Vorschriften, die man einhalten muss», sagt er.
Im Frühling und Herbst verkauft er die Lämmer, die nicht für die Zucht geeignet sind. Mit Jungwiddern handelt er. Er bekommt auch immer wieder Anfragen. «In den 1970er- bis in die 1990er-Jahre hat das WAS einen Schub erfahren, das waren gute Jahre. Ich habe mir durch Qualität in Züchterkreisen einen Namen gemacht. Ich kenne Leute in der ganzen Schweiz und habe immer noch gute Kontakte. Ich weiss, wo die guten Linien und die guten Böcke sind», sagt Ruedi Gämperli erfreut. Ausstellungen waren für ihn immer ein Höhepunkt. Mit seinen vielen vorderen Rängen habe die Kasse gestimmt. Früher sei an den Ausstellungen viel mehr gehandelt worden. Heute finde der Handel im Stall statt. Seine Augen leuchten, wenn er von seinen erfolgreichen Böcken berichtet. Sein Gedächtnis erstaunt, wenn er erzählt. «Das ist mir auch von Natur aus gegeben. Ich könnte ein Buch über meine Erfahrungen und Erinnerungen schreiben», meint er.
Mehr als schwarze Schafe
In der Serie «Schafrassen» berichtet der «St. Galler Bauer» in loser Folge über Schafrassen, die im Einzugsgebiet gezüchtet und gehalten werden. In dieser Folge ist Ruedi Gämperli an der Reihe. Er hält und züchtet Weisse Alpenschafe. red.