Ruf nach bewaffneten Hirten wird laut

In Flums riss der Wolf in den letzten Wochen über 30 Schafe. Alleine auf der Alp Halde waren es rund 20 Tiere. Mit dem Angriff auf einen Herdenschutzhund hat die Situation eine neue Eskalationsstufe erreicht. Der St. Galler Bauernverband hat genug und lud zu einer Medienkonferenz auf die Alp Halde.

Der St. Galler Bauernverband lud zur Medienkonferenz auf die Alp Halde. Die Journalisten erschienen zahlreich. Bild: Mathias Rüesch
Der St. Galler Bauernverband lud zur Medienkonferenz auf die Alp Halde. Die Journalisten erschienen zahlreich. Bild: Mathias Rüesch

«Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht.» Dieses Sprichwort und der Hintergrund dieser Geschichte kann ohne Umschweife auf die sich in letzter Zeit zuspitzende Konfliktursache, insbesondere auf die zunehmende schadstiftende Wolfspopulation in der Schweiz, übertragen werden. Rund um die Rückkehr des Grossraubtiers wird hierzulande seit einigen Jahren heftig hin- und herdiskutiert. Mit zunehmenden Wolfsrudeln und damit verbundenen Rissen von Nutztieren spitzt sich die Abschussthematik zu. Denn jeweils nach kurzer Zeit verstehen die schlauen Raubtiere, die jeweilig getroffenen Herdenschutzmassnahmen zu umgehen. Der Wolf ist ein Spitzenprädator, der im Ökosystem an der Spitze der Nahrungspyramide steht und selbst keine Fressfeinde hat. Es gibt Rudel, die sich auf Beutefang von Wildtieren beschränken und somit auch für die Natur von Nutzen sind.

Doch in letzter Zeit sorgen immer mehr Problemrudel für Schlagzeilen. Also jene, die immensen Schaden bei Nutztieren anrichten. In diesem Jahr wurden bisher im ganzen Kanton St. Gallen 55 bestätigte Nutztiere von Wölfen gerissen. Rund 20 Wiederkäuer wurden auf den gehüteten und geschützten Weiden der Alp Halde im Schilstal auf 1750 Metern über Meer (Ortsgemeinde Flums-Kleinberg) gerissen. Zwölf Schafe fielen auf der Alp Fursch (Ortsgemeinde Flums-Dorf) dem «Schiltpaar» zum Opfer. Die Wildhut klärt zurzeit ab, ob das Wolfspaar Junge hat, weil Fotofallen dokumentierten, dass Futter herumgeschleppt wird.

Schutzhund schwer verletzt

Wie ernst die Lage jetzt ist, zeichnet die aktuelle Situation auf. Trotz Herdenschutzmassnahmen mit Nachtpferch und Herdenschutzhunden wurden Nacht für Nacht Attacken auf die behütete Schafherde der Alp Halde ausgeübt. Hunde und Herde wurden regelrecht von den Wölfen bearbeitet. Dabei wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die erfahrene Herdenschutzhündin Fly, einer der besten Hunde des 25-jährigen Vorarlberger Schafhirts Markus Eberle, wurde so massiv verletzt, dass sie aktuell nicht mehr einsatzfähig ist. Der Hundebesitzer Ignaz Müller ist zuversichtlich, dass die Bisswunden verheilen. Ob die Herdenschutzhündin ihr Negativerlebnis jemals abstreifen und irgendwann wieder als Wächterin eingesetzt werden kann, lässt sich noch nicht sagen.

Fass läuft über

Angriff auf Herdenschutzhunde: Diese neuste Eskalationsstufe brachte das Fass zum Überlaufen. Kurzerhand organisierte der kantonale Bauernverband eine Medienkonferenz vor Ort. Der Aufmarsch von Fernsehen, Radio und Journalisten übertraf alle Erwartungen.

Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands und Nationalrat (Mitte/SG), die St. Galler SVP-Ständerätin Esther Friedli, der Präsident des St. Gallischen Schafzuchtverbands Martin Keller und Peter Nüesch, Präsident des St. Galler Bauernverbands, verstanden es, fair und besonnen ihre Argumente zur aktuellen Lage vor den Journalisten darzulegen. Vertreter der Alpwirtschaft bezeugten, dass das «Gemetzel» durch den Wolf ihnen an die Nieren gehe.

Herde leidet unter Stress

Der 25-jährige Hirte Markus Eberle, der heuer auf der Alp Halde zu den Tieren schaut, könne kaum mehr schlafen, weil er wegen der erlebten Strapazen arg leide, sagte Patrick Mannhart, Ortsgemeindepräsident Flums-Kleinberg. Die Schafbauern würden den Hirten, der einen sehr guten Job mache, unterstützen. Derzeit befinden sich rund 660 Schafe und fünf Herdenschutzhunde auf der Alp Halde. Auch das Tierwohl der Herde leide unter dem ganzen Stress, den die stetigen Wolfsangriffe mit sich bringen. «Die Schafe sind ständig in Bewegung, sie sind nervös und aufgeregt. Ihre Füsse und Klauen leiden darunter und auch ein gewisser Gewichtsverlust ist nicht von der Hand zu weisen», sagte Patrick Mannhart.

Mit deutlichen Worten wandte sich Martin Keller, Präsident des St. Gallischen Schafzuchtverbands, an die Medienvertreter. Er verlangte die Bewaffnung der Hirten, damit sie bei Wolfsangriffen einen Verteidigungsschuss tätigen können. Dieses Unterfangen mit allen Vorgaben und Leitplanken habe sich in Frankreich bestens bewährt.

Vorwürfe von sich gewiesen

An der Medienkonferenz wurden auch geteilte Meinungen zwischen dem Amt für Natur, Jagd und Fischerei (ANJF) und Involvierten hörbar. In etwa als der Präsident der Ortsgemeinde Flums-Kleinberg, zu der die Schafalp Halden gehört, bemängelte, dass gewisse Risse trotz Fotonachweisen und anderen Beweisen nicht dem Wolf angelastet würden. Das dementierte Nathan Rudin, Fachmitarbeiter Jagd und Stellvertreter des ferienhalber abwesenden Amtsleiters Simon Meier. Aufgrund der grossen Brisanz stieg auch der St. Galler Volkswirtschaftsdirektor Beat Tinner (FDP) auf die Alp Halde auf 1750 Metern über Meer. Tinner als Bauernsohn zeigte Verständnis für die Emotionen, die aufgrund der Wolfsrisse endstanden sind. Bezüglich Abschüsse gelte jedoch das Bundesgesetz.

Für mehr Informationen zu Wolfsrissen und -nachweisen im Kanton St. Gallen klicken sie hier.

Sie sprachen: Esther Friedli, Mathias Rüesch, Beat Tinner, Markus Ritter, Martin Keller, Markus Eberle und Peter Nüesch (v.l.). Bild: Ignaz Good
Sie sprachen: Esther Friedli, Mathias Rüesch, Beat Tinner, Markus Ritter, Martin Keller, Markus Eberle und Peter Nüesch (v.l.). Bild: Ignaz Good

Was wird gefordert?

Die landwirtschaftlichen Vertreter an der Medienkonferenz vor Ort sind der Meinung, dass folgende Punkte zu überdenken sind:

– Bei schadstiftenden Wölfen, die Herdenschutzmassnahmen umgehen, muss der Verteidigungsabschuss (Tir de Défense) durch den Hirten/Älpler erlaubt sein.

– Schadstiftende Rudel, die Herdenschutzmassnahmen umgehen, müssen reguliert werden können, unabhängig davon, wie hoch der Bestand an Rudeln im jeweiligen Kompartiment ist.

– Die Kompartimentslösung, die Mindestbestände an Wolfsrudeln in starr definierten Gebieten in der Schweiz vorschreibt, ist generell zu überdenken.

– Die geplante Neuausrichtung des Herdenschutzhundewesens ist dringend rückgängig zu überdenken: Neu soll die Verantwortung ab 2025 vom Bund zu den Kantonen wechseln. Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass diese Übergabe nicht reibungslos funktionieren wird. Zusätzlich drohen verschiedene Modelle in den einzelnen Kantonen, die Leidtragenden sind schlussendlich die Alpbewirtschafter und Alphirten.

– Generell ist das Herdenschutzhundewesen in der Schweiz mangelhaft koordiniert und organisiert. Es braucht dringend einen nationalen Leistungsauftrag zur Bereitstellung von Reservehunden und eine praxisnahe Koordination. sgbv.

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