Wenn das Kalb bei der Milchkuh bleibt

Die muttergebundene Kälberaufzucht ist nicht nur idyllisch. Valentin Knaus weiss aus Erfahrung: «Besonders am Anfang braucht es Nerven.»

Die gemischte Viehherde sucht Schutz vor dem Regen.
Die gemischte Viehherde sucht Schutz vor dem Regen.

Auf den ersten Blick scheint es sich bei der aus Grauvieh, Jersey und Hinterwäldern gemischten Herde von Rebecca und Valentin Knaus um eine Mutterkuhherde zu handeln. Doch sie besteht aus Milchkühen mit ihren Kälbern. «Das System der muttergebundenen Kälberaufzucht kannte ich zuvor nicht. Für uns war es eigentlich eine Notlösung», erinnert sich Valentin Knaus. Als er mit seiner Frau 2016 den Betrieb in Pacht übernehmen durfte, wollte ihnen niemand die Milch abnehmen. Zu klein und daher nicht lukrativ, hiess es. Mutterkühe kamen für den gelernten Biolandwirt nicht infrage.

Ständige Herausforderung

Für die muttergebundene Kälberaufzucht, kurz MuKa, gibt es kein Patentrezept. Milchviehhalter müssen mit ihren Herden selbst herausfinden, was auf ihren Betrieb passt. Von zentraler Bedeutung ist die Anfangsphase direkt nach der Geburt. Wie auch in der üblichen Milch- und Mutterkuhhaltung sollen die Kälber schnellstmöglich, sicher in den ersten drei Stunden nach der Geburt, das mütterliche Kolostrum erhalten. Anschliessend wird das Kalb beim Muttertier gelassen, es entsteht eine intensive Kuh-Kalb-Beziehung. Mütter und ihre Kälber erkennen sich ab diesem Zeitpunkt am Geruch und der Stimme. Bereits nach zwei Wochen ist es möglich, aber nicht zwingend, Ammenkühe einzusetzen. Valentin Knaus rät, sich nicht zu stark auf ein System zu fixieren und flexibel zu bleiben: «Was in dieser Laktation gut läuft, funktioniert in der nächsten überhaupt nicht.» Auch nach sieben Jahren Erfahrung bleibt für ihn die MuKa-Methode eine Herausforderung. Während im letzten Jahr alle Kälber praktisch bei allen Müttern saugten, gewähren dieses Jahr die Kühe nur ihren eigenen Kälbern Zugang zum Euter.

Die Kühe von Rebecca und Valentin Knaus sind zwischen drei und 13 Jahre alt.
Die Kühe von Rebecca und Valentin Knaus sind zwischen drei und 13 Jahre alt.

Einmal täglich melken

Wie auch in der Mutterkuhhaltung empfiehlt sich in der MuKa ein separierter Kälberschlupf. Dadurch haben die Kälber einen Rückzugsort und können bei Bedarf spezifisch zugefüttert werden. Im Sommer weiden die Bruggenhof-Kühe nachts auf der Weide, die Kälber sind in ihrer Bucht. Im Stall gibt es für Kühe und Kälber je einen separierten Liegebereich, an der Fressachse können mittels eines Gatters die Kälber von den Kühen abgetrennt werden. Am Morgen wird gemolken, anschliessend dürfen die Kälber wieder zurück zur Herde und saugen an den Eutern ihrer Mütter. Nachts kommt es aufgrund der Trennung nicht zu Unruhen, erklärt Valentin Knaus: «Unsere Tiere sind an diesen Ablauf gewöhnt. Einzig die Frischgeborenen dürfen im ersten Lebensmonat 24 Stunden mit ihrer Mutter mitlaufen.» Die Kühe, auch die frisch gekalbten, werden am Morgen leer gemolken. Um Euterverletzungen vorzubeugen, melkt Valentin Knaus bei gierigen Kälbern jeweils nur drei Viertel und lässt den Rest für das Kalb übrig.

Wichtige Euterkontrolle

Am Abend werden die Kälber in die Kälberbucht gesperrt und alle Euter kontrolliert. Da es keinen zweiten Melkgang gibt, ist der Abendstall zeitlich flexibel. Doch Valentin Knaus warnt: «Am Abend muss jedes Euter genau kontrolliert werden. Nur ein kurzes Über-die-Herde-Schauen reicht nicht. Jeder, der glaubt, mit der MuKa weniger Arbeit zu haben, dem rate

Was in dieser Laktation gut läuft, funktioniert in der nächsten überhaupt nicht.

ich dringend von diesem System ab.» Ist ein Viertel nicht leer, wird dieser ausgemolken und allenfalls geschalmt. Bei Verdacht auf Euterentzündungen bleibt das Kalb über Nacht bei seiner Mutter. «Das Kalb übernimmt dann eigentlich meinen Job als Melker, bis am Morgen ist die Entzündung durch das fleissige Saugen meist abgeklungen.»

Vom Anbinde- zum Laufstall

Als Valentin Knaus die Anbindevorrichtung entfernte und den Stall zu einem Laufstall umfunktionierte, brach für drei Tage die Hölle los. «Es war ein Riesenradau im Stall, immer wieder gingen die Kühe aufeinander los. Ich sagte meiner Frau, ich habe den grössten Scheiss gemacht.» Der Verzweiflung nahe, setzte sich der junge Landwirt vor das Fressgitter und grübelte lange darüber nach, was er tun sollte. Er beobachtete seine behornte Herde und im Laufe des Nachmittags stellte er fest, dass nicht alle Kühe sich unruhig verhielten, sondern nur eine auffällig war. Kurzerhand wurde diese Kuh aus der Herde genommen. Ab diesem Zeitpunkt herrschte Ruhe im Stall. Doch in den kleinen Stallungen war es bisher nicht möglich, verschiedene Gruppierungen zu machen. Da ein Stier mit der Herde läuft, werden Kuhkälber im Alter von sechs bis sieben Monaten geschlachtet. Auch kommt es vor, dass Kühe zu kurz nach dem Abkalben bereits wieder trächtig sind. In diesem Sommer konnte der Laufhof erweitert werden. «In den nächsten Wochen wird eine zweite Tiefstreuliegefläche eingerichtet. Dann kann ich die Galtkühe und den Stier abtrennen», freut sich Valentin Knaus.

Valentin Knaus weiss aus Erfahrung, dass die muttergebundene Kälberaufzucht anspruchsvoll und nicht idyllisch ist.
Valentin Knaus weiss aus Erfahrung, dass die muttergebundene Kälberaufzucht anspruchsvoll und nicht idyllisch ist.

Mütter setzen selber ab

Auf dem Bruggenhof werden Stierkälber kastriert und bleiben bei der Herde, bis sie zwischen zehn und 15 Monate alt sind. «Die Kühe setzen ihre Kälber nach etwa zehn Monaten selber ab. Beim Melken achte ich darauf, dass eine zweimonatige Galtzeit eingehalten wird.» Doch je nach Kuh gibt es auch hier Unterschiede, weiss Valentin Knaus inzwischen. So liess eine der Grauviehkühe letztes Jahr das über zwölf Monate alte Stierkalb und das frisch geborene an sich saugen. Das FiBL empfiehlt, das Milchabsetzen und Trennen von der Mutter nicht gleichzeitig zu vollziehen. Indem jeweils nur eine Situation geändert wird, kann sich das Kalb langsam an die neue Situation gewöhnen. Einige der Kühe auf dem Bruggenhof reagieren kaum, wenn nach mehreren Monaten das Kalb von ihnen getrennt wird, doch es gibt auch die andere Situation. Valentin Knaus erinnert sich: «Einmal schrie eine Kuh fast drei Tage und Nächte. Ich wäre am liebsten ausgezogen.»

Wertschöpfung auf dem Betrieb

Betriebsleitende, die sich für MuKa entscheiden, müssen überlegen, wie sie ihre Kälber vermarkten wollen. Sind sich die Kälber gar nicht an Nuggis gewöhnt, können sie nicht einfach an einen Mastbetrieb weitergegeben werden. In der Direktvermarktung kann ein Mehrerlös für das Fleisch von Kälbern aus muttergebundener Kälberhaltung erzielt werden. Auf dem Bruggenhof wird seit einigen Monaten Hofschlachtung betrieben. «Das passt gut zu unserem ganzheitlichen Konzept. Unsere Tiere kommen auf dem Hof zur Welt, verbringen ihr Leben als Herdenverbund und sterben hier», erläutert der überzeugte Demeter-Betriebsleiter. Die Milch wird auf dem Betrieb zu Joghurt und Quark verarbeitet. Vier Kühe werden im Sommer gemolken, was täglich 15 bis 20 Liter Milch ergibt. Mit 60 bis 80 Litern fällt im Januar am meisten Milch an. «Es ist keine grosse Menge, die wir melken. Ein intensiver Milchbetrieb melkt mit einer Kuh pro Tag die gleiche Menge wie ich mit meiner ganzen Herde», erklärt Valentin Knaus schmunzelnd.

Milch- und Fleischprodukte aus der muttergebundenen Kälberaufzucht werden direkt vermarktet und finden guten Anklang bei der Kundschaft.
Milch- und Fleischprodukte aus der muttergebundenen Kälberaufzucht werden direkt vermarktet und finden guten Anklang bei der Kundschaft.

Empfehlungen statt Richtlinien

Als die beiden Quereinsteiger Rebecca und Valentin Knaus, beides nicht Bauernkinder, mit MuKa begannen, war diese Methode noch kaum bekannt. Vieles mussten sie aus eigener Erfahrung lernen und immer wieder Neues ausprobieren. Inzwischen wurde die Fachstelle MuKa gegründet, auf ihrer Schweizerkarte sind 16 MuKa-Betriebe ersichtlich und fünf weitere in der Umstellungsphase. Auch das FiBL befasst sich mit der Thematik und hat Merkblätter erstellt. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau organisierte auch schon Tagungen und besuchte mit Betriebsleitenden auch den Bruggenhof. Unter anderem war es das Ziel, anhand der besichtigten Betriebe Richtlinien zu erarbeiten. «Wir Landwirte waren uns aber einig: Die Hofindividualität ist gross und wichtig. Nicht Richtlinien, sondern Empfehlungen sollten das Ziel sein. Jeder macht es ein bisschen anders. So wie es für seine Kühe, seinen Stall und sich selbst stimmt und funktioniert.»

 

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